Herunterfahren: "The New Weird"

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Man kann auch außerhalb von Spielen und mit anderen Medien seinen Spaß haben; in Wirklichkeit ist ja sowieso alles irgendwie verbunden. Drum hin und wieder hier die Aufforderung, die sich unregelmäßig mal wiederholen wird: Herunterfahren und - in diesem Fall - ein literarisches Subgenre entdecken, das wunderbar zur Welt eines aktuellen Lieblingsspiels passt.

Man liest es jetzt wieder überall: Dishonoreds Welt sei "Steampunk", ein Modewort, das inzwischen, nach drei Dekaden des Missbrauchs, so gut wie gar nichts mehr bedeutet. Das schmerzt umso mehr, als es vielleicht eher ein bestimmter Autor und ein andres Genre waren, die für Arkanes düstere, protomoderne Industrie-Fantasy Pate standen: Dishonored ist nicht Steampunk, sondern ein Kind des "New Weird". Für alle, die durch Dishonored Lust auf diese unnachahmlich frische Spielart der fantastischen Literatur bekommen haben, ist der Brite Jeff Vandermeer mit seiner Anthologie "The New Weird" die erste Anlaufstelle.

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In unregelmäßigen Abständen scheint es nötig, die Genreschubladen zu erweitern; im Falle der neuernannten Schule des "New Weird" waren es die Genres Horror, Science-Fiction und Fantasy, die im Endeffekt einer Handvoll Autoren, angeführt von Autor und Herausgeber Jeff Vandermeer, zu eng geworden waren. Ganz wie es sich fürs 21. Jahrhundert gehört, war es eine Internetdiskussion samt kreativem Schneeball-Schreibprojekt, das die Betitelung und die vorliegende Anthologie hervorgebracht hat.

 Was ist nun New Weird? Im O-Ton:

"a type of urban, secondary-world fiction that subverts the romanticized ideas about place found in traditional fantasy, largely by choosing realistic, complex real-world models as the jumping off point for creation of settings that may combine elements of both science fiction and fantasy."

Unter diesem Dach versammeln sich zugegebenermaßen unterschiedliche Ansätze, denen aber allen ein eigener Umgang mit der Realität gemeinsam ist. Hier bricht nicht das Unheimliche in die Realität ein, sondern vielmehr ist die Realität an sich unheimlich, geheimnisvoll, verdreht oder kafkaesk verrätselt und zugleich realistisch und komplex. Das 19. Jahrhundert, mit seinen industriellen Revolutionen, sozialen Brüchen und  wankenden Wahrheiten, ist offensichtlich ein großer Ideenlieferant, der neben den angegrauten Modeströmungen des Steampunk nun auch im New Weird verwertet wird. 

Dishonored dürfte mit Vandermeers fantastischer Stadt Ambergris mehr gemeinsam haben als nur den Walfang
 

"New Weird" ist somit zuallererst eine Schublade; die in der Anthologie versammelten Beiträge zeigen aber auch, dass sich die  Autoren ganz zu Recht nicht mehr den leider von schlechter Literatur überschwemmten Popcorn-Genres SF und Fantasy, aber eben auch nicht dem immer inflationärer verwendeten Label "Steampunk" zuordnen lassen wollen. Denn literarisch liefern die allermeisten der versammelten Autoren ganz ungeachtet der mehr oder minder spekulativen Settings wunderbar verstörende, teils surrealistische Miniaturen ab, die tatsächlich ihresgleichen suchen.  Kein Wunder, dass sich mit Dishonored nun auch eine Spielewelt in den noch unverbrauchten Farben dieser Nische schmückt - Bioshock Infinite wird wohl auch diesen Weg gehen.

Die Beiträge des Sammelbandes sind sozusagen systematisch geordnet. Im ersten Teil der Sammlung finden sich Vorläufer, die quasi im Nachhinein zu Gründervätern des New Weird geadelt werden. Neben Clive Barker, dessen Körpermassengroteske "In the Hills, the Cities" aus der legendären Kurzgeschichtensammlung "Books of Blood" stammt, finden sich hier auch der ewige Geheimtipp Thomas Ligotti und Fantasy-Urgestein Michael Moorcock als Vorgänger im Geiste, und auch Mervyn Peake darf man durchaus zum Kanon hinzuzählen, auch wenn er hier nicht vertreten ist.

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Zu den aktuellen Hauptvertretern des New Weird zählt neben China Mieville eben auch der Herausgeber Jeff VanderMeer selbst, der - und hier wird es für Dishonored-Verzauberte besonders interessant - mit seinem Zyklus "City of Saints and Madmen" die beachtliche Anstrengung unternommen hat, mit Ambergris eine der bemerkenswertesten fantastischen Städte seit Jahren erfunden und mit Leben  erfüllt zu haben. Die Lust am Wissenschaftlichen entstammt merkbar einer Schulung an Jorge Luis Borges, und auch sprachlich kann VanderMeer, wie auch Ligotti, durchaus anspruchsvoll bis zur Anstrengung werden.

Dennoch: Es lohnt sich aus diesem Grund auch aus Lust am Literarischen, einen Blick in diese Sammlung zu werfen - für anspruchsvolle Dishonored-Begeisterte ganz besonders, denn ich vermute, dass sich auch abseits der schon sehr offensichtlichen und geheimnisvollen Bedeutung des Walfangs sowohl in der Welt des Spiels als auch in jener von Vandermeers Ambergris noch mehr Gemeinsamkeiten entdecken lassen. Eine kleine Einführung in diese Stadt, die getrost zu den interessantesten Städten in der an fantastischen Städten nicht armen Welt der fantastischen Literatur zählen kann, findet sich hier.

Mit Steampunk, dem von mir zu Beginn eher geschmähten, weil überall im Pop-Vordergrund stehenden Subgenre, kennt sich Vandermeer übrigens auch bestens aus: Die Anthologie Steampunk, ebenfalls von ihm herausgegeben, versammelt Vorväter, Größen und Newcomer dieser Nische und sorgt auch nach den Besuchen im New Weird für reichlich Lesespaß für heruntergefahrenen Spielefreunde mit Faible für Literatur.

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