Ist das noch Indie?

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Es ist so eine Sache mit Schubladen: Der Zeitpunkt, an dem sie sich im kollektiven Denken durchgesetzt haben, ist meist exakt jener, an dem sie bereits zu klein geworden sind. Indie ist spätestens 2014 ein Label, das für jeden etwas anderes bedeutet: Für die einen steht es für den unverständlichen Hype um Augenkrebsgrafik im ewigen 8-Bit-Pixelmatsch, für die anderen steht es pathetisch für die Zukunft des gesamten Mediums. Dabei gibt es ein Problem: Indie, also unabhängig vom Publisher zu sein, bedeutet heutzutage wenig.

Das Ökosystem, das ursprünglich mit dem Label Indie versehen wurde, ist enorm gewachsen. Damals, in den Nullerjahren, stand Independent für eine Alternative zum Normalfall in der Spieleindustrie: Spiele zu machen, das war teure Teamarbeit für Spezialisten in Großraumbüros. Die kreativen Studios, die diese Spiele oft in langen Entwicklungsjahren produzierten, wurden von großen Publishern finanziert und dirigiert, die nach Gutdünken ihre Projekte anpassten, vermarkteten und schlussendlich, meist noch als physisches Produkt auf CD und DVD, per Palettenlieferung in die Einzelhandelshäuser der Welt und dann an die Kunden brachten. Unabhängig zu sein von diesen Konzernen bedeutete also, kaum Reichweite und kaum Spieler zu haben, geschweige denn die Finanzmittel, um die Produktion eines Spieles vorzufinanzieren.

1515"The Vanishing of Ethan Carter": Früher AAA, jetzt Indie

It's the internet, stupid!

Zuallererst ist es ein struktureller Wandel: Ohne Internet gäbe es keine Indies.

Wie in vielen anderen Fällen auch war es die Revolution der globalen Vernetzung, die dieses scheinbar so alternativlose Modell ins Wanken brachte und, als Nebeneffekt, einen hohen kreativen Output ermöglichte. Die Indie-Revolution ist somit zuallererst dem strukturellen Wandel der gesamten Branche geschuldet: Ohne Internet gäbe es keine Indies. Denn dank Digitalvertrieb ist die Reichweite auch einzelner Entwickler millionenfach gewachsen; und dank kostenloser und günstiger Tools versuchen sich immer mehr Menschen an der Spieleproduktion. Das globale Publikum schätzt das alternative Preismodell, innovative Community-Einbindung und - ein Klischee mit einem wahren Kern - die Vielfalt an kreativen Ideen, die dank fehlender finanzieller Riesenerwartungen hier möglich sind.

Der Aufstieg der Indies ging mit einer Krise der traditionellen Spielentwicklung einher. Die Kosten für klassische Hochglanzspiele mit ihrem Fokus auf High-End-Grafik, cinematisches Erzählen und immer verzweifeltere Anpassung an den größtmöglichen Massengeschmack sind enorm gestiegen. Die Technik der neuen Konsolengeneration wird diese Produktionskosten noch weiter ansteigen lassen - womöglich um das Acht- bis Zehnfache.

1516"Gone Home": Millionenerfolg und Kritikerliebling

Kein Wunder, dass die Branche Experimente scheut. Das Blockbuster-Modell Hollywoods ist das neue Paradigma der großen Gamesbranche: wenige Titel, diese dafür mit größtmöglichem Mainstream-Appeal, Merchandising, Pre-Orders, DLC, PR-Kampagnen, Fortsetzungen im Jahrestakt.

Ehemalige AAA-Entwickler versuchen sich in kleineren Teams auf eigene Faust als Independents.

Neben den programmierten Blockbustern, die Millionenverkäufe generieren müssen, um dann große Profite abzuwerfen, bleibt wenig Raum für kleinere Vollpreistitel. Für einen Mittelbau, mittelgroße Studios und ihre Spiele, war in der Spielebranche in den vergangenen Jahren deshalb immer weniger Platz: Kleinere Entwicklerstudios, die mit den fünf, sechs Megasellern des Jahres nicht mithalten konnten, wurden reihenweise von ihren Publishern geschlossen. Aus ihren Reihen rekrutiert sich der jüngste Zustrom von hochprofessionellen Teams in die Indie-Szene: Ehemalige AAA-Entwickler versuchen sich in kleineren Teams auf eigene Faust als Independents.

Gone Home, eines der höchstdekorierten und bestverkauften Indie-Spiele des Jahres, wurde von ehemaligen Irrational-Games-Entwicklern rund um Steve Gaynor entwickelt; ehemalige Entwickler von Monolith (FEAR, No One Lives Forever) versuchen sich als Blackpowder Games mit Betrayer als Indies.

Auch ein Industrieveteran wie Adrian Chmielarz, lange Jahre mit dem Studio People Can Fly und Epic Games Poland in der AAA-Branche tätig, versucht, abseits des Publishersystems mit seinem neuem Studio The Astronauts und dem originellen The Vanishing of Ethan Carter zu bestehen. Das tschechische Studio Warhorse, bestehend aus Entwicklern der Mafia-Spiele, feiert mit seinem Mittelalter-Rollenspiel Kingdom Come auf Kickstarter fulminant die Unabhängigkeit. Und das sind nur die kleineren Überläufer ins Indie-Lager: Dass Legenden wie Chris Roberts (Star Citizen), David Braben (Elite: Dangerous) und Tim Schafer (Broken Age) abseits der Publisherwelt dank Crowdfunding zu neuen Höhenflügen ansetzen, ist so etwas wie eine Games-Renaissance im Indie-Kleid.

Wer meint, dass 2014 Indie immer noch gleichbedeutend ist mit mehr oder weniger amateurhaftem Spieleprogrammieren im elterlichen Hobbykeller, unterschätzt die strukturelle Umwälzung der Branche, die auch zu mehr Vielfalt ermutigt. Denn kleine Teams bedeuten immerhin auch, dass nicht Millionen verkauft werden müssen, um Gewinn zu machen. Das ermuntert zu kreativen Experimenten, die der Mainstream seit Jahren vermissen lässt.

1517Neue Tools: CryEngine (Ryse) um 10 $ pro Monat

Neue, mächtige Tools

Die Zeiten, in denen Indie mit popeliger Retrografik gleichgesetzt wurde, sind vorbei.

Indie ist mehr als nur ein Hype, es ist eine Umwälzung, die Bestand haben wird. Das zeigen die immer professioneller, schöner und spannender werdenden Spiele, die auf den lukrativen Markt drängen - und die Tools, mit denen sie in Zukunft entwickelt werden. Längst ist etwa der Klassiker Gamemaker durchaus für einträgliche Hits wie Hotline Miami salonfähig, und mit dem mächtigen Freemium-Development-Tool Unity lassen sich auf Knopfdruck die Systemgrenzen zwischen Browsern, aber auch Mac, Linux, iOS und Windows überspringen. Dass mit Unity nicht nur Indie-Spiele, sondern auch Hochglanzprodukte entwickelt werden können, zeigt übrigens Blizzards Sammelkartenspiel Hearthstone.

Dass sich vor kurzem auch zwei ganz Große der Welt der Hochglanzgrafik für kleine Entwickler geöffnet haben, macht den Umschwung noch deutlicher: Sowohl die mächtige Cryengine des Grafikspezialisten Crytek als auch die Unreal Engine 4, beides Werkzeuge, die bislang hauptsächlich von großen Publishern gegen beträchtliche Summen lizenziert werden konnten, stehen mit neuen Subskriptionsmodellen nun auch kleinen und kleinsten Studios zur Verfügung. 19 US-Dollar pro Monat plus fünf Prozent Gewinnbeteiligung will Epic für seine mächtige Unreal Engine 4, der deutsche HerausfordererCryengine verlangt gar nur 9,90 Dollar pro Monat. Auch wenn die Blockbuster der traditionellen Publisher dank hundertköpfiger Entwicklerteams die Grafikspitze halten werden - die Zeiten, in denen Indie mit popeliger Retrografik gleichgesetzt wurde, sind vorbei.

1518"The Stanley Parable": Kommerziell erfolgreiches Experiment

Was heißt da Indie?

Je größer, professioneller und lukrativer das Ökosystem der Indies wird, desto nutzloser wird der Begriff für jene, die ihn ursprünglich für sich beanspruchten - und nicht nur deshalb, weil der klassische Publisher längst von Quasimonopolisten in Form von Download-Plattformen wie Steam und Marktplätzen wie Apples App Store oder dem PSN abgelöst wurde. Noch halten viele Beobachter und Begleiter der Szene offiziell an ihrer Philosophie des Undergrounds als Gegenentwurf zum Mainstream fest.

Dies zeigt sich auch im Independent Games Festival, das 2014 bereits zum 16. Mal im Rahmen der GDC stattfand. Denn die Preisträger der jährlich vergebenen Awards sind nicht nur Indies auf dem Papier, sondern atmen den Geist von Indie; Papers, Please als großer Gewinner versucht sich genauso wie der letztjährige Sieger Cart Life an Politik- und Gesellschaftskritik, und auch die Preisträger The Stanley Parable und Device 6 sind außergewöhnliche Experimente, die nicht nur in ihrer Vertriebsform "alternativ" sind.

Off the hype

Die Schublade Indie ist zu klein geworden, eine einheitliche Szene existiert nicht mehr. 

Der Befund passt: Die Schublade Indie ist zu klein geworden, eine einheitliche Szene existiert nicht mehr. Sie ist zersplittert in große Indies, die von AAA herabsteigen, einzelne Stars wie Markus "Notch" Persson oder Jonathan Blow, mehr oder weniger profitable Kleinstudios - und die Hunderttausende Köpfe zählende Masse all jener Entwickler, die für Game-Jams oder ihre Projekte auf IndieDB und GameJolt unermüdlich kleinste, meist kostenlose Spiele liefern, wie sie zum Beispiel kürzlich im medial vielbeachteten Pirate Bay Bundlevor den Vorhang geholt wurden.

So ist es nur logisch, dass dieses Jahr zum ersten Mal der Begriff Indie im Namen der größten europäischen Indie-Veranstaltung fehlt. "Ich versuche den Begriff Indie so weit wie möglich zu vermeiden, was auch ein Grund zur Namensänderung von A Maze. Indie Connect zu A Maze. / Berlin war", sagt Thorsten Wiedemann, der das Games-Festival in Berlin initiierte und leitet."Somit ist A Maze. off the hype und kann sich dem Wesentlichen widmen: Spiele auszuzeichnen, die in keine Schublade passen."

Dieser Text erschien im Vorfeld der A MAZE 2014 für golem.de.

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