Kleine Form zum Fürchten
Es ist so eine Sache mit der Angst: Sie ist ein Gefühl, das uns so körperlich erfassen kann, dass es weh tut. Trotzdem - oder gerade deswegen - mühen wir uns seit Jahrtausenden damit ab, dieses Gefühl künstlich herzustellen, das im Augenblick lebt und nicht lange in gleicher Intensität erlebt werden kann. Die kurze Form hat deshalb Tradition im Horrorgenre: Kurzgeschichte und Kurzfilm können oft verstörender und nachhaltiger jenen Schrecken auslösen, der in der langen Form oft durch Leerläufe und Wiederholungen leidet.
Bei Spielen als jüngstem Medium ist das genauso: Klar gibt es die Horrorklassiker des Survival-Horror-Genres wie Resident Evil, Silent Hill, FEAR oder Dead Space, doch auch diese Spiele können ihre intensivsten Angstmomente nicht über den mehrere Stunden langen Spielverlauf ungebrochen aufrechterhalten. Gute Voraussetzung für die junge Nische der Homemade-Horror-Games, die erst kürzlich mit dem Mini-Hype um Slender ins Rampenlicht gerückt ist..
Do it yourself
Dass es nicht viel braucht, um ganz schön effektiv Gänsehaut zu erzeugen, beweist in letzter Zeit eine Reihe von Horror-Spielen, die zwei Eigenschaften gemeinsam haben: Erstens verzichten sie auf Längen - die Stundenmarke an Spieldauer wird selten überschritten - und zweitens machen sich immer mehr "Amateure" daran, ihre Vision vom Horrorspiel wahr werden zu lassen. Games-Bastelkits wie Unity, die frei verfügbar sind und unter anderem auch das Spielen direkt im Browser ermöglichen, lassen die Prognosen von Anna Anthropy in ihrem Buch "Rise of the Videogame-Zinesters" wahr werden: Spiele zu erstellen ist nach kurzer Einarbeitung für so gut wie jeden möglich, und die ins Netz gestellten Experimente sind in der Regel gratis downloadbar.
Gerade im Bereich des Homemade-Horrorspiels hat sich in den letzten Monaten viel getan; mit dem kleinen Medienrummel um das Horrorspiel Slender hat sogar ein kleiner Hype die gruselige Nische kurz erhellt. Im Folgenden ein Überblick über die besten Homemade Horror-Games.
Slender
Es begann mit einer "Urban Legend" aus den Tiefen des Internet: 2009 bringt ein Photoshop-Wettbewerb mit dem Thema "Create Paranormal Images" auf Something Awful die Gestalt des gesichtslosen, dürren "Slender Man" hervor. Slender, das kostenlose First-Person-Horrorspiel zur Figur dieses Schwarzen Mannes ohne Gesicht, ist ein Paradebeispiel für Minimalismus: Nur mit einer Taschenlampe bewaffnet ist der Spieler im nächtlichen Wald auf der Suche nach acht Notizzetteln und muss darauf achten, möglichst keinen Blickkontakt zum übernatürlichen Verfolger zu bekommen.
Der Horror ergibt sich hier aus dem meisterhaften Zusammenspiel von höchst effektivem Sounddesign und unheimlich-verstörendem Monster. Statt sich durch genauere Beschreibung weiter den Gruselspaß zu verderben, sollten sich angstresistente Spieler mit Kopfhörern im abgedunkelten Zimmer unvoreingenommen dem Schrecken von Slender hingeben. Nicht ganz zu Unrecht ist um Slender ein kleiner Medienhype entstanden - es ist wahrscheinlich das ausgereifteste Horrorspiel seiner Art.
SCP 087
Das heißt aber nicht, dass die anderen Vertreter des Home-Made-Horrors weniger unheimlich sind. Noch ein Schrecken aus dem Internet: Die SCP-Foundation ("Secure, Contain and Protect") ist ein Wiki, das auf den ersten Blick eine wissenschaftliche Protokolldatenbank darstellt. Mit einem Satz beschrieben: Sollte es auf diesem Planeten so etwas wie Area 51 oder die paranormale Abteilung des FBI tatsächlich geben, wäre SCP wohl das trockene Aktenarchiv.
Akte SCP 087 - ein paranormales Treppenhaus - ist einer der populärsten Einträge in diesem Archiv des virtuellen Grauens. Und SCP 087 lässt sich betreten. SCP 087 ist weniger Spiel als vielmehr ein faszinierend subtiles Experiment in Sachen Furcht. Hier gibt es noch weniger klassische Spielelemente als in Slender, sondern vielmehr eine Installation, eine virtuelle Architektur, die einzig und allein dazu erbaut wurde, Furcht auszulösen. Highlight ist auch hier der fantastische Ambientsound, der sich vom unheimlichen Drone zur betäubenden Kakophonie steigert - Aphex Twin und Trent Reznor lassen grüßen.
Mit dem ambitionerteren Titel SCP - Containment Breach widmet sich die Community übrigens inzwischen bereits einem anderen Artefakt des SCP-Universums - nicht weniger gruselig und sozusagen das spielerische Gegenteil zu Slender: Wer hier den Blick nur kurz vom verstörend bewegungslosen Monster abwendet - und sei es nur, um zu blinzeln (!) -, hat ausgespielt.
Hide
Wer sagt aber, dass es überhaupt unheimliche Grafik braucht, um Spannung und Angst zu erzeugen? Hide, als Experiment für einen Internet-Games-Contest entstanden, spielt in minimalistischer Retrografik meisterhaft auf der Klaviatur unserer Ängste und lässt uns ebenso im verschneiten Wald allein - nur dass wir hier von ungesehenen Wesen mit Lampen und Sirenengeheul gnadenlos verfolgt werden.
Fast bis zur Abstraktion entschlankt, ist Hide ebenso wie der Verwandte im Geiste, Vlambeers Yeti Hunter, ein Erfahrungsraum mit minimalistischem spielerischen Anteil, aber dafür einer Extraportion Atmosphäre. Und auch hier ist etwas Selbstreflexion durchaus beabsichtigt: Warum tut man sich das an? Die Antwort liegt irgendwo im 8-bit-Schnee verborgen - wie in SCP 087 ist auch hier der Weg das Ziel.
A Mother's Inferno
Doch es geht auch weniger abstrakt: Schon in den ersten Sekunden von A Mother's Inferno wird ein Kind von übernatürlichen Mächten entführt, der (Alb-)Traumlogik folgend hetzt der Spieler in der First-Person-Perspektive der Mutter durch einen sich in ein Höllenszenario verwandelnden Zug. Bewaffnet mit einer Glasscherbe sieht man sich zunehmend grotesker werdenden Dämonen gegenüber, folgt traumwandlerisch den bizarren Anweisungen der Unterweltbewohner und verliert zunehmend den Boden der Realität unter den Füßen.
A Mother's Inferno, Abschlussarbeit an der dänischen Games-Akademie DADIU, ist ein kurzes Stück First-Person-Survival-Horror, das in psychedelischen Bildern und fragmentierter Erzählweise auf höchst intelligente Art und Weise zur Interpretation auffordert. A Mother's Inferno ist mehr David Lynch als Wes Craven und setzt eher auf Verstörung als auf Schockeffekte. Auch das Vorgängerprojekt des Machers David Adler, 1916 - Der unbekannte Krieg, ist für Thrillseeker einen Blick wert.
Pandora's Box
Apropos David Lynch: Ganz andere, aber ebenso subtil-grauenhafte Wege geht Pandora's Box, das Freeware-Spiel der Brettspielmacher Terrorbullgames: Im simplen "Choose your Own Adventure"-Stil driftet man als Spieler zwischen Wahn und Realität.
Hier gibt es keine Monster oder tödliche Bedrohungen, dafür aber ein sich ständig änderndes Gleiten durch eine verunsicherte Welt zwischen Geisteskrankheit und plötzlicher Nüchternheit - ein Motiv, das nicht nur aus dem Subgenre des Asylum-Horrorfilms, sondern auch vom längeren Korsakovia von den Machern des Indie-Hits Dear Esther bekannt ist.
Wer nach all den kurzen Homemade-Horror-Thrills Lust auf etwas ausgefeilteren Indie-Grusel mit etwas längerer Spieldauer hat, hat die Qual der Wahl: Mit dem inzwischen zum Kultklassiker aufgestiegenen Amnesia - The Dark Descent hat das schwedische Entwicklerteam Frictional Games schon 2010 die Benchmark in Sachen Horrorspiel auch für den Mainstream etwas höher gelegt. In Lone Survivor wiederum finden Retro-Freunde eine wunderschön atmosphärische Hommage an das subtile Grauen der Silent Hill-Reihe und im gerade erst erschienenen Horror-Adventure Anna eher rätsellastige Horrorkost.
Man sieht: Indie und Horror gehen zusammen - wie Angst und Schrecken. Angenehme Gänsehaut!
Dieser Text erschien zuerst für fm4.