Lean forward, lean back: Play!
Dishonored ist einer der am heißesten erwarteten Titel des Jahres. Große Hoffnungen setzt die Spielergemeinde vor allem in das offene Spieldesign, das verschiedene Lösungsansätze und kreative Vorgehensweisen in der Fantasy-Steampunk-Rachesaga ermöglichen soll. Hoffentlich freuen wir uns aber nicht zu früh, denn Julian Roby von Arkane berichtet Erstaunliches von den Playtests zu Dishonored:
People would just walk around. They didn’t know what to do. They didn’t even go upstairs because a guard told them they couldn’t. They’d say “Okay, I can’t go upstairs.” They wouldn’t do anything.
Die Lösung des Entwicklers für den hoffnungsfrohen Steampunk-FPS-Hybriden, der in Kürze erscheint? Es wurden in den Levels besonders auffällige Hinweise angebracht, wie die Spieler denn das sich stellende Problem lösen könnten - so konnten auch die vielen Testspieler, die angesichts der nicht ausdrücklich gezeigten "richtigen" Herangehensweise überfordert waren, ihr gewohntes Erfolgserlebnis feiern. Auf die Idee, in der Open-World-Sandbox von Dishonored selbst durch Beobachtung oder schlichtes Ausprobieren voranzukommen, waren viele der Spieletester schlicht nicht gekommen. Kein Wunder: Moderne Blockbuster - und ein solcher will Dishonored werden - geben sich alle Mühe, in ihren Spielern durch Tutorials, Hint-Systeme und möglichst große Eindeutigkeit nur ja keinen Frust aufkommen zu lassen.
Denn merke: Ein Spiel MUSS Spaß machen.Und Spielspaß, vor allem bei potenziellen Blockbustern, stellt sich hauptsächlich dann ein, wenn an keinem Ort intellektuelle Überforderung besteht. Level- und Rätseldesign, so das ungeschriebene Credo auf dem Weg zum Massenerfolg, sollten selbst den DAG, den dümmsten anzunehmenden Gamer, nicht überfordern - wenn der nämlich wegen zu hohen Anspruchs keinen Spaß hat, könnten ja Metascore und Verkaufszahlen leiden.
Es ist daher wohl kein Zufall, dass sich besonders die größten aller großen Spiele, vor allem die Militainment-Serie Call of Duty, die meiste Mühe geben, ihre Spieler nicht intellektuell zu überfordern. "Do whatever this man says": Die Aufforderung, die man im ersten Akt erhält, sagt eigentlich schon alles, ebenso wie die Tatsache, dass die KI-Kollegen unter Umständen schon mal ganz alleine weiterspielen, wenn man als Spieler auch von diesem Minimum an Hirnaktivität überfordert sein sollte - kein Wunder, dass John Walker von RockPaperShotgun Modern Warfare 3 und seine bombastischen Lookalikes aus diesen Gründen als "un-games" bezeichnet.
Es wäre wohl zu billig, für dieses ahnungslose Verweigern des grundsätzlichen Spieltriebes - was geht? - hier dem Früher-war-alles-besser-Reflex aller alten Säcke ever zu folgen, aber ganz ohne diesen Seitenhieb auf die Moderne und ihr fatales Schielen auf den größtmöglichen Markt geht es nicht. Spiele, je größer, desto eher, sind seit jeher bemüht, die Hürden zwischen ihren Spielern und dem Spielspaß einzureißen und ihnen nur ja keine Knüppel zwischen die Beine zu werfen - der Kunde ist schließlich König.
Das war nicht immer so, wie auch kürzlich Chet Bolingbroke, jener Mann, der als Spielearchäologe alle Computerrollenspiele seit 1979 spielt, bestätigte:
What we've lost is the investment of any real intellectual effort on the part of the player. Older games forced you to make maps, record quests, record exhaustive notes, and solve puzzles. Newer games give you quest pointers and describe in excruciating detail exactly where you need to go and what you need to do when you get there. I don't even understand why there are so many walkthroughs for Skyrim since the game gives you a living walkthrough as you progress.
Sackgassen und grausamen Zeitdiebstahl zu vermeiden ist das eine - den Spieler wie ein Kleinkind an der Hand zu nehmen und möglichst bruchfrei mit Spaßendorphinen zu überschwemmen das andere Extrem. Da erscheint es nur logisch, dass angesichts der modernen Furcht vor dem abschreckenden Unfun eine neue Welle von besonders harten Spielen die Rückkehr zum Masochismus und die neue Härte feiert. Dark Souls, das von Slate-Autor Michael Thomsen erst heuer nicht zuletzt wegen seiner Weigerung, dem Spieler entgegenzukommen, als seelenlose Lebenszeitverschwendung angeprangert wurde, erntete im Gegenzug dafür von Brainy Gamer Michael Abbott nicht zuletzt wegen seiner Unbarmherzigkeit das ehrfurchtsvolle Prädikat, als "Dojo of the Soul" fungieren zu können - ein maximaler Kontrast.
Natürlich sind Spiele aber auch oft mehr als nur Zerstreuung. Das Gegenteil zur Zerstreuung ist - Sprachphilosophie ahoi! - die Sammlung, hübsch befremdwortet: die Konzentration. Nicht, dass das Spielerlebnis hier eines von dauernder Über-, aber doch eines von Forderung ist: Es gilt, bewusst nicht-triviale Entscheidungen zu treffen, die unter Umständen auch nicht erfreuliche Konsequenzen haben. Schlüsselwörter hier wären "bewusst" und "nicht trivial" - ein Headshot in de_dust braucht zugegeben Konzentration, wird aber, Skillz vorausgesetzt, wohl eher aus dem Bauch als aus dem Bewusstsein erzielt.
Um auf Dishonored zurückzukommen: Es ist und bleibt wohl eine Frage des Geschmacks, ob man sich von Arkanes hoffnungsfrohem Blockbusteranwärter mehr Zerstreuung oder Konzentration erwartet - den Spieletestern war's offenbar zu anstrengend, weshalb nun wohl ein Kompromiss ansteht, der anspruchsvolleren Spielern den Spaß am Selber-Tüfteln verwässert.
Eine mögliche Variante, beide Zielgruppen zufriedenzustellen, stellte ein anderer großer Hoffnungsträger, Bioshock Infinite, vor Monaten in den Raum: Der angekündigte "1999-Mode" des Titels soll der ewig über den Mainstream und den Verfall der Gamessitten jammernden Oldschool-Meute den Wind aus den Segeln nehmen, während zugleich im "normalen" Spiel auch der weichgespülteste Gelegenheits-Gamer von heute nicht in seinem handwarmen Flow gestört wird.