Mehr Respekt bitte, liebe Spieleblogger
Dies ist ein Gastbeitrag von Volker Bonacker. Warum der ausgerechnet hier auf VGT veröffentlicht wird, erklärt Volker im Text.
ich habe Druck und Frust in meiner Seele
wegen einer kleinen Szene
voller heißer Luft und Ehre
vollker Klischees und all jenen
die gerne den Harten zeigen
immer auf der Straße bleiben
darum muss ich in die andere Schale der Waage steigen
(“Beweis dagegen”, Prinz Pi)
Wer die deutsche Spielebloggerszene Ende des Jahres 2013 beobachtet - ob von außen oder als Beteiligter -, wird nicht umhin kommen, sie als äußerst fragmentiert, gegeneinander unwohl gesonnen und voll von persönlichen Attacken zu sehen. Dies ist der Versuch einer Klärung, der gleichermaßen als Angebot zur konstruktiven Auseinandersetzung und Versöhnung verstanden werden will.
Das Bild ähnelt sich in den meisten Fällen: Person A veröffentlicht einen Beitrag und kaum taucht unter den Kommentierenden Person B auf, verwandelt sich die Debatte um Inhalte binnen weniger Zeilen in persönliche Angriffe und Diskreditierungen, geführt oftmals mit einer Wortwahl, die selbst Offenbacher Straßenrappern, die wissen, wer der Babo ist, die Schamesröte ins Gesicht triebe. Wie es dazu kommt? Oftmals liegen die persönlichen Probleme lange zurück, in vielen Fällen ist den Beteiligten vermutlich nicht einmal mehr klar, warum man sich eigentlich nicht mag. So nutzt man den Umstand, den Schreiber nicht für sein Geschriebenes zum Wortgefecht zu fordern, sondern aufgrund von Texten auf persönliche Inkompetenz zu schließen und mittels vermeintlich überlegener Argumente zu untermauern, dass der Verfasser schlicht dumm ist und nicht sein Text. Die Trennung zwischen Persona und Meinung findet nicht statt.
Warum eigentlich? Nun, die deutsche Spielebloggerszene ist ein recht überschaubarer, heterogener Haufen. Man kennt sich, oftmals persönlich, man weiß, wer schon wo geschrieben hat, erinnert sich an legendäre Schlagabtausche in den Kommentarspalten, folgt sich auf Twitter und hat teilweise sogar eine gemeinsame Vorgeschichte. Jeder hat schon mal irgendwo mit jedem (geschrieben) und weiß, wer mit wem kann und mit wer nicht. Es gibt jene, die schon lange dabei sind und andere, die erst vor kurzem dazugestoßen sind, es finden sich mittlerweile verschiedenste Bildungshintergründe, Darstellungsformen und Trademarks. Vor allem aber Attitüden - und daraus wird der oft falsche Rückschluss auf die Person dahinter gezogen.
in the underground, integrity lies within
Ein Beispiel: Von Akademiker über Rockstar über Zyniker bis Proll gibt es zahlreiche Rollen, die erfolgreich eingenommen und besetzt worden sind. Jeder hat so ein wenig das, wofür er oder sie steht und bekannt ist - ob das mit der Person abseits des Rechners übereinstimmt, ist zunächst uninteressant, das Internet ist schließlich vor allem als Medium der öffentlichen Selbst-Neuerfindung geeignet und das kann durchaus positive Einflüsse auf den sich Inszenierenden haben. Aber eben auch Reibungsfläche bieten. Das häufig zu beobachtende Ergebnis: Wird ein Text veröffentlicht, egal ob gut oder nicht, ist er untrennbar mit dem Image des Verfassers verbunden. Für ein Blog eigentlich ein Charakteristikum, schließlich zeichnen sich bürgerjournalistische Inhalte durch starke Personenbindung und hohen Meinungsgehalt aus. Was aber, wenn das Image der Grund und Inhalt der Auseinandersetzung ist und nicht der Gehalt der Texte? Genau dann haben wir ein Problem.
in the underground, image doesn't mean a thing
Was aber, wenn das Image der Grund und Inhalt der Auseinandersetzung ist und nicht der Gehalt der Texte?
Ich will eine Allegorie bemühen, die nicht neu ist und die Angelegenheit mit der Entwicklung einer anderen Szene vergleichen. In der kurzen Zeitspanne zwischen 1979 und 1986/87 hat sich in den USA eine äußerst vitale, wenn auch kurzlebige Musikszene entwickelt: Hardcore Punk. Die US-Interpretation dessen, was wenige Jahre zuvor in England entstanden ist, zeichnet sich durch eine schnellere, rohere Spielweise aus, bezieht sich ansonsten aber auf die Kerntugend des Punkrock: Es geht nicht darum, etwas professionell zu können, sondern darum, etwas schlicht zu tun (“Do it yourself”, kurz: DIY) und damit Gegenöffentlichkeit entstehen zu lassen. Entsprechend dilettantisch kommen viele Aufnahmen der damaligen Zeit heute rüber, aber darum geht es nicht. Das simple Ziel lautet, eine eigene Kultur in den Jahren der als repressiv verstandenen Reagan-Ära zu schaffen.
Bands sprießen in diesen Tagen wie Pilze aus dem Boden, es entstehen Ballungszentren in Washington, Boston, New York und Los Angeles, streng genommen sogar in Texas. Dabei weisen die meisten Städte und Bands eigene Charakteristika auf: Es finden sich primär sozialkritische Acts (Dead Kennedys), eher anarchistisch Angehauchtes (Black Flag) und Bands, die vorrangig an der Gründung / Beteiligung von Sub-Szenen wie beispielsweise Straight Edge festgemacht werden (Minor Threat, 7 Seconds). Jahre Später werden Bands hinzukommen, die eigene Stilrichtungen entwickeln (SFA), die vorrangig für Szene-Selbstbeweihräucherung bekannt sind (Madball), Musikstile vermengen (Hatebreed), schwest avantgardistisch daherkommen (Fucked Up) oder eine eher ungesunde Portion Nihilismus (Blood for Blood) in ihren Lyrics verbreiten. Das Ganze ist ein bunter Blumenstrauß.
when the substance lacks it's plain for all to see
Von den Anfangstagen bis heute ist Hardcore vor allem für intensive Liveshows bekannt, deren Beteiligte einen körperlich aggressiven Tanzstil pflegen. So brutal das auf Außenstehende wirken mag, so koordiniert ist der Ablauf für Beteiligte. Entgegen des Dargebotenen sind feindliche Auseinandersetzungen eine Seltenheit. Es herrscht ein Regelwerk, das noch heute schlicht als “Unity” betitelt ist und gebietet, keine Spalterei zuzulassen, einander zu respektieren, bei aller Härte sportlich zu bleiben - unabhängig von ethnischer Herkunft, Sexualität oder persönlichen Ansichten. Geistiger Überbau ist eine stramm antikapitalistische, antifaschistische, zu Beginn außerdem antireligiöse und allen voran natürlich antiautoritär-libertinäre Geisteshaltung. Es geht nicht um Äußerlichkeiten, Hardcore ist kein Trend, nicht “in”, nichts, das versteht, wer sich der Sache aus falscher Motivation heraus nähert. Es gibt ein gemeinsames “Ziel”, so abstrakt es auch sein mag (und dessen Nichterreichung auch der Grund für das Aus der ersten Welle an Hardcore-Bands nur wenige Jahre nach dem Start der Subkultur ist).
if the deal is right then respect is where it should be
Das für mich heute noch Faszinierende: Es herrscht trotz aller Diversifikation ein hohes Maß an Konsens, Lagerkämpfe finden wenn, dann auf musikalischer Ebene statt (beispielsweise der Sampler “Boston, not L.A.”). Im Inneren zeichnet sich Hardcore durch die Fähigkeit zur Selbstkritik aus. Das oben angesprochene Violent Dancing wird beispielsweise längst nicht von allen Bands kommentarlos akzeptiert, überliefert ist ein Zitat der Band Bad Brains, das (sinnhaft) lautet: “Wir haben heute Abend einige schöne Frauen hier und ich will, dass sie nach der Show alle noch ihre Zähne haben.” Überhaupt wird ständig hinterfragt, beleuchtet, kritisiert und das nicht durch eine politisch korrekte “Szenepolizei”, sondern im Sinne des gemeinsamen Vorankommens.
Das liest sich aus heutiger Sicht furchtbar sozialromantisch, aber bedenkt man, dass die Szene 2013 zwar anders ist, sich dabei aber weiterhin auf eine gewisse Grundvereinbarung beruft (und überhaupt mal die Leistung vollbracht hat, auch über 30 Jahre nach der Ersterwähnung noch fortzubestehen), wird klar, was ein “Kodex”, so krude und unverständlich er auch anmuten mag, zu leisten in der Lage ist.
for the fakes and frauds it's a fucking fashion show
Nun will ich die Spieleblogger nicht politisieren, das würde angesichts der wenigen Titel, die sich für derartige Auseinandersetzungen eignen, auch wenig Sinn machen. Es geht auch nicht darum, eine Szenebibel zu erarbeiten, an die sich dogmatisch zu halten hat, wer dazugehören will. Im Gegenteil: Es geht darum, Andersartigkeit zu respektieren, ihre Existenz zu unterstützen, zeigen, dass es eine Gesellschaft abseits der Gesellschaft gibt. Ganz einfach. Hardcore trägt noch immer eines im Herzen und das ist: Egal woher du kommst, egal wer du bist, wenn du open-minded drauf bist, Lust auf die Szene hast, dann komm rein, wir sind eine Familie und du kannst dazugehören und einen Beitrag welcher Art (Konzerte organisieren, Flyer verteilen, Proberäume suchen, Bands gründen, Filme von Shows drehen, Fotos machen, Sit-ins veranstalten oder auch nur kochen) auch immer leisten. Da, schon wieder diese klebrige Sozialromantik. Aber so schaut’s aus. Wer’s nicht glaubt, schaut das nächste mal rein, wenn die Stuttgarter Band Empowerment in der Stadt spielt. In keiner Jugendsubkultur ist mir soviel Offenheit und Freundlichkeit entgegengebracht worden wie hier. Trotz Shows, die die Anmutung von Straßenschlachten haben. Ich bin immer heil herausgekommen - verantwortlich dafür war der Typ neben mir, vor mir, hinter mir und ein unausgesprochenes Vertrauen gegeneinander. Weil’s um die Sache geht, nicht um den Einzelnen.
total compromise will have them sell their soul
Einigen wir uns vorab darauf, dass es um eine gemeinsame Sache geht - egal wer daran teilnimmt
Genau das ist es, was ich gerne auch bei deutschen Spielebloggern finden würde. Die Community ist schließlich von ähnlich überschaubarer Größe, ähnlich ausdiversifiziert in Sachen Stil und Eigenheiten. Respektieren wir diese Unterschiede, gestehen wir Individualität ein. Sehen wir, dass hinter den Äußerungen immer noch ein Mensch steht und wir außerdem ein Bild diesem Menschen haben, eine Interpretation seiner Online-Persona und ob uns das schmeckt oder nicht, soll sich doch jeder inszenieren können, wie er sich inszenieren will. Hinterfragen wir die Inszenierung nicht, sondern nehmen wir sie schlicht als gegeben hin. Einigen wir uns vorab darauf, dass es um eine gemeinsame Sache geht - egal wer daran teilnimmt (damit das nun nicht zu liberal klingt: natürlich gibt es Grenzen, deren Überschreitung der Sanktion bedarf, die notfalls bis hin zum Ausschluss gehen kann. Ich setze ein wenig voraus, dass man das gedanklich in den vorangegangen Satz von selbst hineingeschrieben hat).
all the negative all the useless influence
Was ist diese gemeinsame Sache? Einfach gesprochen: Spiele. Nur darum machen wir das schließlich. Weil wir nicht nur konsumieren, sondern das Konsumierte besprechen wollen, weil wir das Verlangen haben, unsere Meinung zu dem, was wir am Bildschirm erlebt haben, kundzutun. Je facettenreicher die Art der kundgetanen Meinung ist, desto besser. Wir gewinnen durch Unterschiede nur. Wenn wir sie respektieren. Wenn wir es uns zum Vorsatz machen, für bunte Vielfalt zu stehen und uns auch dann dran halten, selbst dann, wenn wir etwas lesen, das uns nicht passt. So lange es nicht völlig bar jeden gesunden Menschenverstandes ist, kann man drüber reden - und das mit einer geistigen Offenheit, die zuallererst einmal respektiert, dass jemand anders eine andere Ansicht vertritt. Ohne Schuldzuweisungen, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne Fingerpointing, sondern mit dem Ziel, gemeinsam etwas zu schaffen, das alle weiterbringt.
all the emptiness all the violent detriment
Warum habe ich das hier veröffentlicht, bei Videogametourism? Nun, ich will mich zuallererst vom möglicherweise auftauchenden Vorwurf freisprechen, eine Vorreiterrolle einnehmen zu wollen. Die will ich überhaupt nicht. Ich will das hier nicht losgetreten haben, ich will lediglich eine Idee in den Raum gestellt haben - was draus gemacht wird, ist nicht in meiner Hoheit, soll das auch gar nicht sein. Genau deshalb findet diese Idee auf “neutralem” Boden statt, an einem Ort, wo andere moderieren, nicht in meinem digitalen Wohnzimmer. Hier kann jeder kommentieren, ohne zu fürchten, dass alter Beef mit dem Betreiber schnell wieder hochkocht. Deshalb habe ich Rainer auch gebeten, das hier veröffentlichen zu dürfen. Ziel soll sein, den Blick nach vorne zu richten und das geht vermutlich dann am Besten, wenn man erst einmal bei Null anfängt.
makes no sense. makes no sense. makes no sense.
Mehr Miteinander, mit allen Unterschieden, ungeachtet der jeweiligen Images, inklusive aller Personen-Inszenierungen.
Das ist nicht der einzige Grund. Ich habe in den vergangenen Tagen auf verachtendste, inhumane Weise selbst mit Dreck geworfen, mich selbst in die Niederungen dessen begeben, wogegen ich die vergangenen Absätze angeschrieben habe. Und ich will’s nicht mehr sehen. Es soll anders werden und das, ohne dass wir hier ellenlang drüber streiten, wer es wann losgetreten hat oder schuldig und unschuldig ist. Das ist immer noch eine “Szene” und das hier ist mein Beitrag dazu. So lange und teils von historischer Verblendung (es gibt nämlich auch echt beschissene Hardcore-Bands. Ja, das meint euch, Terror, ihr Unterhemdenprolls!) gezeichnet er geworden ist, so wünsche ich mir doch, dass die einfache Quintessenz verstanden wird: mehr Miteinander, mit allen Unterschieden, ungeachtet der jeweiligen Images, inklusive aller Personen-Inszenierungen. Mehr Trennung von Person und Meinung. Mehr Respekt.
Mehr Besinnung auf das, worum es uns allen im Grunde immer noch geht: Über Spiele schreiben in einer Art, die wir in den etablierten Medien nicht oder in nicht ausreichender Weise finden. Es selbst besser machen, DIY, jeder wie er kann. Vor allem aber zusammen.
(post scriptum: die verwendeten Zwischenheadlines stammen aus dem Song “Step Down” der (natürlich) Hardcore-Band Sick of it All.)