Pile of Fame #9
Marcus Richter: Halcyon 6
Halcyon 6 ist die mittelgute Fernsehserie in meinem Leben. Manchmal will man gar nicht mehr, keine emphatische Geschichte mit Metaebene, kein strategische Herausforderung, vor der Sun Tzu erschauert wäre, oder Action, die selbst Jet Li langsam erscheinen lässt. Einfach ein bisschen klicken und sich dabei ein kleines angenehmes Gefühl von Entwicklung und Fortschritt geben.
Halcyon 6 ist auch ein Spiel, das recht zuverlässig die Triggerpunkte “Erforsche den Weltraum” und “rundenbasierte JRPG-Kämpfe” anspricht, entsprechend ist die Geschichte ebenso banal wie ausreichend: Die Menschheit wurde von den Chruul ausgelöscht, alles, was anscheinend noch übrig ist, ist eine riesige unerforschte Raumstation namens Halcyon 6.
Jetzt muss sowohl der Weltraum als auch die Raumstation erforscht werden, dabei kommt es - ÜBERRASCHUNG - zu Kämpfen. Die funktionieren rundenweise, indem sich bis zu drei Raumschiffe/Menschen gegenüber stehen und man Spezialfähigkeiten nach dem Schere/Stein/Papier-Prinzip auslösen kann. Außerdem müssen natürlich neue Raumschiffe erforscht, Offizier*innen angeheuert und die Station ausgebaut werden. Dazu nette Pixelgrafik und ein unaufdringlicher Soundtrack.
Und ja, das ist eine Allerweltsbeschreibung und ich könnte nicht sagen, was Halycon 6 so besonders macht. Aber ich hole es in unregelmäßigen Abständen immer wieder hervor, um dieses Mal wirklich das Universum von Chruul zu befreien. Das schaffe ich zugegeben nie, ich höre meistens vorher auf, um drei Monate später wieder von vorne anzufangen, wenn ich mal wieder etwas Entspannung brauche. Wie so eine mittelgute Fernsehserie eben, von der man sich schön berieseln lassen kann.
Das Einzige, wovor ich warnen muss, ist die Version für die Switch. Für Leute, die glauben, es sei in Ordnung, einen Mauszeiger mit einem Controller zu steuern, sollte es einen speziellen Platz in der Hölle geben.
Joe Köller: Titanfall 2
Kaum eine Serie fasst den Wahnsinn der Spieleindustrie so gut zusammen wie Titanfall. Der erste Teil beweist eindrucksvoll, wie opulent und lautstark der Versuch, sich in einem übersättigten Marktsegment breitzumachen, fehlschlagen kann. Dabei hat es Titanfall 1 irgendwie geschafft, gleichzeitig fader Abklatsch und gewagtes Experiment zu sein. Ausgerechnet die himmelstürzenden Metallriesen, die dem Spiel seinen Namen geben, dürften die Call of Duty Zielgruppe verschreckt haben, die man eigentlich mit Erfahrungsprogression, Rangaufstiegen, etc. locken wollte. Aber für alle, die gerne etwas anderes als Call of Duty gespielt hätten, war der reine Multiplayer-Titel eben immer noch zu nah am Original. Obwohl dem Spiel entsprechend schnell die Luft ausgegangen ist, war Titanfall 1 dennoch kein Flop. Die Vorbestellungen lieferten immerhin genug Budget, um einen zweiten Teil nachzuschieben. Und was darf bei der Fortsetzung eines reinen Multiplayer-Spiels dabei auf keinen Fall fehlen? Logisch, eine Singleplayer-Kampagne.
Es gibt keinen logischen Grund, wieso diese Singleplayer-Kampagne gut werden hätte sollen. Im Gegenteil, es ist doch geradezu absurd, Ressourcen in einen Spielmodus zu investieren, der bestenfalls als aufgebauschtes Tutorial dient, um Spieler_innen mit der grundlegenden Mechanik vertraut zu machen und dann schleunigst in den Multiplayer-Modus zu schleusen. Den eigentlichen Kern der Erfahrung. Das Erfolgsrezept der Serie. Aber aus irgendeinem Grund wurde bei eben diesem Singleplayer-Modus weit sorgsamer gearbeitet, als eigentlich nötig und - wenn wir ehrlich sind - auch sinnvoll gewesen wäre. Das Team von Titanfall 2 ist dabei so weit über die Erwartungen hinausgeschossen, dass es nicht etwa nur eine solide Kampagne gebaut hat, sondern gleich einen der abwechslungsreichsten und kurzweiligsten Shooter der letzten zehn Jahre.
Sicher, um in den Genuss dieser Erfahrung zu kommen, muss man sich auch ein wenig auf den Wahnsinn der Serie einlassen, denn die Hintergrundgeschichte rund um Rebellenmiliz und Großkonzern, die ihren Konflikt aus irgendeinem Grund mithilfe von riesigen Robotern austragen, ergibt von vornherein überhaupt keinen Sinn. Entsprechend hoch ist Titanfall 2 allerdings anzurechnen, dass es gar nicht erst versucht eine epische Geschichte über den Kampf zwischen Gut und Böse oder die Opfer des Krieges zu erzählen. Stattdessen konzentriert es sich auf die persönliche Ebene, in Form der Freundschaft zwischen dem Rebelleninfanteristen Jack Cooper und dem Titan BT-7274, der nach dem Ableben seines Vorbesitzers dringend einen neuen Piloten braucht. Als Protagonist entpuppen wir uns in der Rolle von Jack Cooper selbstverständlich als Naturtalent im Steuern von Mechs und räumen zusammen mit BT in klassischer Buddy-Cop Manier auf dem umkämpften Planeten Typhon auf.
Dabei beeindruckt Titanfall 2 vor allem mit seinem Tempo. Denn während wir im Riesenroboter eher behäbig durch die Landschaft stapfen, gehören für Piloten Sprungdüsen und Jetpack zur Standardausrüstung, mit deren Hilfe wir rasant an Wänden entlanggleiten oder durch die Luft fliegen. Zudem gönnt sich die Kampagne in den rund fünf Stunden Spielzeit keinerlei Längen, sondern jagt uns durch eine Vielzahl abwechslungsreicher Schauplätze: mal geht es auf dem gewaltigen Förderband einer Fertigungsanlage zur Sache, dann wird auf dem Rücken fliegender Transportschiffe gekämpft. Zu den Highlights des Spiels gehört ein Forschungslabor, dass wir auf zwei unterschiedlichen Zeitsträngen (zwischen denen man auf Knopfdruck wechseln kann) einerseits als brennende Ruine und andererseits als schwer bewachte Festung erkunden. Dass so viel Kreativität in den Seitenstrang eines Multiplayer-Shooters geflossen ist, hat mich überrascht wie nur wenige Spiele zuvor.
Robert Glashüttner: Circa Infinity/Breaker
Sieben Jahre alt wird der beliebte geometrisch-abstrakte Reaktions- und Konzentrationstest namens Super Hexagon dieses Jahr. Terry Cavanaghs frenetisches, im pixeligen Retrostil in Szene gesetzte Rotations-Game könnte man damit bereits problemlos als Klassiker bezeichnet, den es für eine Vielzahl an Systemen gibt - von C64 (Micro Hexagon) bis hin zu iOS. Neben der hypnotisierenden Herausforderung schätze ich vor allem die Unmittelbarkeit des Spiels. Game öffnen, drei mal tappen, drücken oder klicken, und schon ist mal mittendrin. Der oft bemühte und mittlerweile schon etwas abgenutzte Spruch "Easy to learn, hard to master" ist hier keine Marketingphrase, sondern tatsächlich Spielprinzip. Man muss das Game aber auch lernen wollen, denn Super Hexagon kann spielerisch und audiovisuell erst mal einschüchternd wirken. Beim Bewegen der Figur weiß man zunächst nicht, worauf man achten, wonach man sich richten soll. Die unnachgiebig rotierenden geometrischen Formen lassen oft nur kleine Lücken für unseren Avatar - ein winziges Dreieck! - offen, und währenddessen peitscht uns der Chiptune-Soundtrack von Chipzel nur so um die Ohren.
Drei Jahre danach, im Spätsommer 2015, ist mit Circa Infinity ein weiteres abstraktes Rotationsspiel erschienen, bei dem aber nicht die Welt, sondern wir uns auf Kreisen bewegen. Wir wechseln von außen nach innen und wieder zurück. Je länger man spielt, desto mehr Ebenen kommen hinzu. Auch hier sollte man sich vom Game hypnotisieren lassen, um vollends in seinem Kaninchenbau aufgehen zu können. Dabei ist vor allem das Bewegen auf den Kreisen eine ungewöhnliche Sache, die uns unsere Synapsen wesentlich mehr verknotet als konventionellere Games, die auf einer horizontalen oder vertikalen Ebene stattfinden. Ungewohnt ist es unter anderem deshalb, weil die klassischen Eingabemöglichkeiten von Tastatur und Joypad für das Bewegen auf Kreisen nicht wirklich geeignet sind. Denn es gibt zwar auch bei Kreisen links, rechts, oben und unten - aber die Reise von Punkt A nach Punkt B verläuft ganz anders! Das Arcade-Game Tempest aus 1981 löst dieses Problem mit einem Spinner als Eingabegerät, der übrigens auch schon bei PONG zum Einsatz gekommen ist. Doch unabhängig vom Eingabegerät will die Navigation auf runden Ebenen geübt sein. Die (rotierenden) Kreise verlangen von uns, dass wir unsere automatisierten Steuerungstechniken im Gehirn neu programmieren.
Auch meine ersten Schritte in Breaker waren von Ratlosigkeit und Steuerschwierigkeiten geprägt. Ein PONG-artiges Paddle bewegt sich dabei nicht von oben nach unten oder von rechts nach links - sondern, erraten, im Kreis. Aus der Mitte kommen Projektile in zwei Farben geschossen, die wir mit dem Schläger retournieren können. Doch die Bewegungsrichtung sollte immer stimmen! Denn die Farbe des Schlägers wechselt stets, wenn wir die Richtung wechseln. Breaker ist ein Tanz der pixeligen Farbkugeln, der immer schneller und unübersichtlicher wird, je mehr Zeit vergeht. Sich auf eine Farbe, und damit eine Richtung, zu konzentrieren, macht Sinn und sorgt dafür, dass Chaos und Überforderung erst mal außen vor sind. Aber was wäre ein abstrakter Reaktions- und Konzentrationstest ohne fiese Schwierigkeitssteigerungen? Schon nach den ersten paar Minuten befeuern uns manche Gegner mit derart dichten Projektilwellen, dass nur schnelles, gezieltes Reagieren hilft. Hier fordert uns die Steuerung am Kreis mal wieder ordentlich heraus. Denn die nötige Routine stellt sich nicht so schnell ein, wie man es gerne hätte. Gleichzeitig sollte man sich auch nicht selbst überfordern. Die oberste Regel beim Spielen von Bullet-Hell-Games trifft auch hier zu: Immer in der eigenen Geschwindigkeit spielen, Muster in den Schüssen finden und sich vor allem nicht aus der Ruhe bringen lassen. Breaker vom australischen Indie-Entwickler Daniel Linssen ist ein verstecktes, kleines Meisterwerk und ein würdiger inoffizieller Nachfolger von Super Hexagon, übrigens mit einem fantastischen Chiptunes-Soundtrack von Dubmood ausgestattet. Das Game gibt es exklusiv auf Itch.io als Teil von The 2018 Fantastic Arcade Bundle.
Rainer: Hoplite
Auf meinem Smartphone wechseln die Mobile Games aus beruflichen Gründen rasend schnell, einen besonderen Platz hat allerdings ein Spiel, das ich vermutlich auch auf jedes einzelne meiner zukünftigen Telefone, Smart Glasses und Neuro-Implantate aufspielen werde: Hoplite. Es ist für Android gratis und kostet auf iOS läppische 3,50 Euro, also bitte: Statt weiterzulesen, holt es euch einfach und lest dann weiter. Falls ihr Zeit habt, denn ich vermute eher, ihr werdet Hoplite spielen.
Ihr seid noch da? Na gut, dann erkläre ich doch, worum’s geht: Hoplite ist faszinierendes Taktik-Schach, in dem ein einsamer griechischer Krieger mit trügerisch simplen Regeln Runde um Runde gegen eine stetig anwachsende Gegnerschar ankämpft. Mit jedem Schritt, den unser Krieger auf dem Hexfeld-Spielfeld macht, bewegen sich auch die pro Kerkerlevel mehr und gemeiner werdenden Ungeheuer; Ziel ist der stetige Abstieg, um das goldene Vlies aus Level 16 zu holen. Mit Schwert, Schild und Speer lässt sich die Gegnerschar bekämpfen, Altäre in jedem Level bieten Heilung oder diverse Upgrades an; die reichen von simplem “Mehr HP” über neue Kampffähigkeiten wie das Durchbohren zweier Gegner bis hin zu esoterischeren Kombinationen, etwa “Wenn du drei Kills hintereinander schaffst, bekommst du HP zurück”. Dem Zufall ist dabei nur die - recht simple - Generierung der Level sowie die Auswahl an möglichen Upgrades überlassen, denn wie sich die Gegner verhalten werden, ist jederzeit vorher einschätzbar und muss wohlbedacht werden - das geht nicht so weit wie in Into the Breach, aber als Strategiespiele ganz ohne Glücksfaktor bewohnen beide irgendwie dieselbe Nische.
Die nächste Verwandtschaftsbeziehung verbindet Hoplite mit den einzigartigen Taktik-Rogue-likes des Games-Zauberers Michael Brough, denn da wie dort wird aus einfachen Regeln erstaunliche Komplexität und Spieltiefe generiert. Was Hoplite allerdings den doch recht esoterischen Spielen Broughs voraus hat, ist seine sympathische Geradlinigkeit. Ein Spiel, das man immer und immer und immer wieder spielen kann und das auf jedes mobile Spielgerät gehört.