Postkarte von Agata: Fiesta demonica

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Agata Góralczyk ist als Langzeitreisende in virtuellen Welten unterwegs. Einmal im Monat schickt sie uns eine Postkarte - diesmal aus Guacamelee.
 
Lieber Rainer,
 
mein ehemals weißes Hemd klebt mir am Rücken vom Schweiß harter Feldarbeit. Die letzten Tauperlen sind von den saftig grünen Agavenblättern mit der sengenden Sonne verschwunden. Iguanas verharren ganz still. Ich heiße Juan und bin ein einfacher Bauernjunge auf den Agavenfeldern Mexikos.
 
Ich mache mich auf den Weg in den Ort. Das verdorrte Gras am Wegesrand und das Blau der Agaven weichen bald der weißverputzten Ordnung von Pueblucho. Wie schick doch das Dorf heute ist. Señoritas tragen ihre schönsten Kleider. Männer mit Sombreros zwirbeln die Schnurrbärte nochmal nach. Gitarren werden gestimmt. Erste Trompetentöne liegen in der Luft. Überall laufen kleine Kinder und Hühner aufgeregt herum. Selbst die Kirche ist mit bunten Fähnchen geschmückt.
 

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Ein Fest steht an: Día de Muertos - der Tag der Toten. Und während die Dorfbewohner alles mit Blumen, Kerzen und Schmuck behängen, weiß ich, dass dieses Jahr etwas mit dieser Feier nicht stimmt. Das Tempo hat sich geändert, das Guitarrón gibt einen anderen Rhythmus vor. Jemand hat die ewigen Gesetze der Lebenden und der Toten verletzt. Die Calaveras und Calacas des Jenseits kommen dieses Jahr nicht zum Feiern. Ein anderer Tanz steht an. Aber niemand sieht die Gefahr.
 
Im Dschungel verstecken sie sich, in den wilden Wucherungen des endlosen Urwalds. In den Ruinen alter Tempel werden Adlerkrieger in ihrem gerechten Schlaf gestört. Von der Zeit zerstörte Mosaike erwachen wieder zum Leben. Sie tragen alte Masken mit Juwelen, Federn und geheimen Symbolen besetzt.
 
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Meine Maske ist schlicht. Es ist an der Zeit die Haut des Agavenjungen abzustreifen und zum Krieger zu werden. Sich in den Kampf von Gut und Böse zu werfen. Ich springe und trete zum Rhythmus der neuen Musik, die die Mariachi aufspielen. Die langegezogenen Töne der Trompete spielen meine Hymne. Das Blut  rasselt wie Maracas in meinem Kopf. Die gezupften Seiten der Gitarre geben mir Tempo.
 
Ich schlage und schleudere meine Gegner wie ein Akrobat in einem komplexen Tanz: tap tap, tap, tap tap tap. Meine Finger fliegen über die Knöpfe, die Sequenzen brennen sich ins Gehirn, die Tastenfolge drückt sich wie von selbst. Tranceartig.
 

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Tempelmauern bröckeln, rot fauchende Dämonen erwachen. Ich springe von Tag zu Nacht, vom Leben in den Tod und zurück. Hauptsache weiter tanzen, Hauptsache den Rhythmus halten. Wer abrutscht ist tot und wird in der gleichen Hölle explodierender Farben wiedergeboren. Immer und immer wieder.
Irgendwann verschwindet die Anspannung. Der Körper wird ganz locker, die Augen folgen sanft den bekannten Bewegungen. Tap, tap, tap. Ich bin ein Held, ein Luchador, ein Retter, ein Heiliger.
 
Deine Agata
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