Small is beautiful

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Vor kurzem geisterte der Twitter-Hashtag #UnpopularGamingOpinions durch das, was dank 140-Zeichen-Diskussionen heutzutage so als Restblogosphäre durchgeht. Unter diesem Banner sammelten sich Meinungen, die nach Ansicht ihrer Verfasser unbequeme Wahrheiten in der Sphäre unseres Mediums darstellen. Die Einträge reichten von schier Blasphemischem wie "The ending to Mass Effect 3 wasn't that bad" bis hin zu Esoterischem wie "Blowing on Nintendo games is like the unicorn memory thing in Blade Runner and we're all androids" (was zum ...).

Auch mir purzelte spontan ein Sager aus den Gehirnzellen, und je länger ich in der Zwischenzeit fernab jeder digitalen Unterhaltung  darüber nachgedacht habe, desto mehr stehe ich dazu: "As long as narrative games don't get much shorter, they won't really succeed for mature audiences." 

Anders gesagt: Spiele sind zu lang, und bis sich das ändert, werden sie ein adoleszentes Nischenmedium bleiben.

Dass ich kein Fan der berühmten "120 Stunden Spielspaß!"-Versprechungen auf diversen Spielepackungen bin und derartige Warnungen lieber als Aufforderung lese, einen weiten Bogen um derartige Lebenszeitvernichter zu machen, ist kein Geheimnis. Der Grund ebensowenig: Als erwachsenem Menschen steht einem im Normalfall weniger an Freizeit zur Verfügung als denjenigen, die in der Regel de facto als Spielezielgruppe gesehen werden. Jugendliche als klassische Gameszielgruppe haben wenig Geld, aber in der Regel viel Zeit; es ist daher nur verständlich, dass aus jedem Taschengeld-Euro das Maximum an Freizeitspaß herausgequetscht werden soll. Wer 50 Prozent des Monatsbudgets für elektronische Unterhaltung auslegt, fühlt sich wohl zu Recht betrogen, wenn er nach drei Stunden vor dem "Game over" steht.

Es ist ein trauriges Faktum und Kuriosum, dass die meisten  Spiele nicht bis zum Ende gespielt werden.

Epische Spiele können fantastisch sein. Ich habe selber hunderte Stunden in Rollenspielen, Strategietiteln oder Sandkästen jeder Art verbracht. Dennoch passt sich die Wahl des Mediums primär den Anforderungen des täglichen Lebens an - und da finden hauptsächlich jene älteren Spieler, auf die immer wieder mit Stolz als statistische Durchschnittsgamer Mitte dreißig verwiesen wird, oft nur mehr schwierig die Zeit, auch nur durchschnittlich lange Kampagnen, wie sie viele narrative Singleplayerspiele bieten, bis zum Ende durchzuspielen. Es ist ein trauriges Faktum und Kuriosum des Mediums, dass die meisten Konsumenten die Spiele nicht bis zum Ende spielen - ein Schicksal, das im Film-, Literatur- oder Musikbusiness  nur die langweiligsten Vertreter ereilt.

In meinem eigenen Bekanntenkreis sind einige, die voll Wehmut an ihre eigene Zeit als Gamer zurückdenken. Sie haben gespielt, als Jugendliche sowieso und auch als Studenten - jetzt jedoch, so meinen sie zumindest zu glauben, fehlt ihnen dafür die Zeit. In Wahrheit fehlt etwas anderes: Ein kurzes Gamesformat, das nicht Casual ist, sondern diese ehemaligen begeisterten Spieler in ihrer erwachsenen Lebensrealität ernst nimmt und ihnen niederschwellig entgegenkommt.

Es gibt Titel, die mit diesen Formaten experimentieren - und bemerkenswerterweise zählen sie fast ausschließlich zu den großen Indie-Erfolgen des letzten Jahres. Das außergewöhnliche Journey etwa besticht auch durch seine Kürze, die einen entspannten Abend lang bezaubert; The Walking Dead erlaubt durch seine episodische Struktur ein Spielen, das perfekt zwischen Abendessen und Bettgehen stattfinden kann. Auch Dear Esther lässt sich so am Stück erleben, aber auch Slender, Year Walk, Botanicula und FTL brechen mit dem alten Missverständnis, dass größer automatisch besser ist.

Klar ist die mit vergleichsweise geringen Budgets entwickelnde Indieszene auch inhaltlich und thematisch mutiger - immerhin hängen vom kommerziellen Erfolg oder Misserfolg eines Indietitels nicht hunderte Arbeitsplätze und absurde Millionenbeträge ab -, aber vielleicht sollte sich die klassische Spielebranche auch in Bezug auf das Format etwas vom flexiblen Untergrund abschauen. Es gibt einen Markt für kurze Spiele, es gibt eine Zielgruppe, die es begrüßt, wenn ein Spiel an einem Abend fertiggespielt ist - und diese Zielgruppe ist es auch gewohnt, für einen solchen Abend im Kino oder Restaurant gar nicht so wenig Geld auszugeben.

Warum nimmt sich die große Branche nicht der auf diese Weise seit Jahren unterversorgten potenziellen Spielerschaft an? Warum nicht episodische Hochglanzspiele entwickeln, die zum Preis einer Kinokarte, einer Cola und eines Kübels Popcorn zwei bis drei Stunden  Spaß bieten? Warum nicht dafür auf bereits entwickelte Engines, aber dafür verschiedene Settings, originelle Ansätze oder ein Serienformat setzen? Was spräche gegen thematische Serien analog zu Serienformaten wie Black Mirror oder Twilight Zone? Vielleicht würde es ja sogar funktionieren, kurze, originelle Spinoffs bereits bestehender Vollpreistitel als One-Shots von zwei bis drei Stunden Länge anzubieten - zwei Stunden knackiges Singleplayer-Abenteuer im CoD-Gewand, ein Abend Horrorerlebnis im Dead Space-Setting, ein Kurztrip ins Uncharted-Universum?

Wenn Spiele auch formal zur  erwachsenen Zielgruppe passen, tritt auch das Medium als Ganzes einen Schritt ins Erwachsenenleben.

Im Filmbereich ist aktuell ein Paradigmenwechsel im Gange, der entscheidend mit den Formatlängen zu tun hat: Dank Abo-TV und nicht zuletzt Downloads, legal oder illegal, läuft gerade das episch lange TV-Serienformat dem klassischen 90-Minutenformat des Spielfilms den Rang als avanciertestes Erzählmedium ab. Vielleicht wäre es umgekehrt im Medium Games an der Zeit, ebenso radikal in die andere Richtung zu gehen: Kürzere Spiele, die im Ausgleich dazu für ihr erwachseneres Publikum anspruchsvoller oder zumindest ohne Längen und damit spannender erzählen, mit einem radikal anderen Preissystem abseits des bisherigen Vollpreisparadigmas.

Wenn es dieses Angebot gibt, wird es vielleicht auch den jetzt immer wieder zu beklagenden Exodus erwachsener Spieler aus dem Medium nicht mehr geben; und möglicherweise lassen sich auch viele, die mit Bedauern wegen erwachsenem Zeitbudget irgendwann Games den Rücken gekehrt haben, so zu einer Rückkehr bewegen (ich weiß, dass es zumindest mir gelungen ist, ein paar Ex-Spieler wieder anzufixen). Damit wäre vielleicht auch der Fluch eines manchmal ewig pubertär erscheinenden Mediums zu brechen; wenn Spiele nicht nur thematisch und inhaltlich für Erwachsene gemacht werden, sondern auch formal, durch kürzere Formate, zur Lebensrealität einer erwachsenen Zielgruppe passen, tritt auch das Medium als Ganzes einen Schritt ins Erwachsenenleben.

Drum stehe ich dazu: Spiele sind zu lang. Und ja, bis sich das ändert, werden sie ein adoleszentes Nischenmedium bleiben. Das heißt nicht, dass das Langformat weg muss; doch ein besser an erwachsenes Zeitmanagement angepasstes Kurzformat könnte nicht nur neue, alte Spieler, sondern mit ihnen auch vielleicht erwachsenere Themen und experimentellere Formate ins Medium bringen. Bei den genannten Beispielen aus dem Indiebereich, aber auch im leider noch ans Vollpreismodell gekoppelten DLC-Modell zeigt sich bereits eine Hinwendung zu kürzeren Formaten; mit Sicherheit lassen sich aber auch bei Games wie im Medium Film durch Experimente mit anderen Größen noch spannende Entwicklungen beobachten. 

Small is beautiful! Und dass weniger oft mehr ist, spricht sich auch bei Games noch durch.

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