Spec Ops: The Line - Fear and Loathing in Dubai

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Das erste Opfer des Krieges ist die Unschuld. Und auch in Spec Ops: The Line beginnt alles genau so, wie man es aus Dutzenden Military-Shootern, von Gears of War über Medal of Honor und Call of Duty gewohnt ist: Gemeinsam mit zwei markige Sprüche reißenden Truppenkollegen stehen wir als US-Spezialkommando Martin Walker in einer jener staubigen Weltgegenden, in denen der Krieg gegen den Terror in CNN-Bildern und den Modern Warfares dieser Welt geführt wird. 

Spec Ops: The Line, der Third-Person-Military-Shooter der deutschen Entwickler Yager, sieht aus wie Militainment, klingt wie Militainment und spielt sich wie Militainment - zumindest auf den ersten Blick. Dass der hohe Anspruch der Deutschen gerechtfertigt ist, hier eben nicht die siebenunddreißigste Headshot-Parade samt obligatorischem US-Hurra-Patriotismus abzuliefern, wird einem erst nach und nach klar. Denn Spec Ops: The Line ist nichts weniger als der ambitionierte Versuch, der vor allem in den letzten Jahren immer größer werdenden Military-Shooter-Schwemme als Gegenpol entgegenzutreten. Spec Ops: The Line will ein Antikriegsspiel sein. Geht das? 
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Der schmale Grat

Das analoge Genre des Films, der "Antikriegsfilm", mit großen Vertretern wie "Im Westen nichts Neues", "Apocalypse Now", "Platoon" oder "Full Metal Jacket", ist beileibe nicht unumstritten: Es sei unmöglich, so die Kritiker, das Grauen des Krieges im Film so wiederzugeben, dass nicht trotz aller gegenteiliger Absichten am Ende die Lust am visuellen Spektakel des Krieges die Oberhand behalte. Umso schwieriger ist das Unterfangen wohl in einem immer noch pubertären Medium wie Games, das zu oft fest in der Terrorherrschaft des vermeintlichen Zwangs zum Spaßmachenmüssen und der Deutungshoheit splattergeiler Testosteronopfer steht. 

Die bisherigen Versuche in diese Richtung, etwa vonseiten Infinity Wards mit der berüchtigten "No Russian"-Szene in Modern Warfare 2, mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, nur zynische Provokationen zu sein, die letztlich nur eine Moral der Realpolitik gültig bleiben lassen: Der Zweck, so das Mantra der Lüge vom "gerechten" Krieg, heiligt die Mittel. Spec Ops: The Line gelingt endlich ein bemerkenswertes Kunststück: Es demonstriert, dass die Täter zugleich Opfer sind, dass es im Krieg nur falsche Entscheidungen gibt, dass auch "gute" Menschen zu schrecklichen Taten fähig sind. 

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Ins Herz der Finsternis

"Apocalypse Now" ist das eingestandene Vorbild des Spiels und wie in diesem Klassiker als auch im literarischen Vorbild, Joseph Conrads "Herz der Finsternis", erzählt The Line vom Weg hinein in ein Grauen, aus dem keiner unbeschadet entkommt. Kulisse ist ein spektakulär im Wortsinn verwüstetes Dubai, das in seinem Ruin sowohl real an den drohenden Untergang der Allianz zwischen dem Westen und den Ölstaaten als auch an Bioshocks Rapture erinnert. Die Aufklärungsmission in dessen größenwahnsinnige Wolkenkratzerruinen wird zuerst zum Evakuierungsversuch und dann zum zunehmend schaler werdenden Rachefeldzug. Der Nebel des Krieges deckt alles zu: Warum stellt sich die in Dubai verschollene 33. US-Brigade gegen uns? Welche Rolle spielt die CIA? "Do you even remember why you came here?"

Spielerisch solide, fügt The Line dem Erfolgsrezept seiner Genrekollegen rein spielmechanisch wenig Essentielles hinzu, erzählt dafür eine verstörend nihilistisch-tragische Geschichte, in der die Entscheidungen des Spielers aber letztlich vorgezeichnet bleiben: "There is no alternative", doch das Spiel lässt einen gnadenlos durch die Leichenberge dieser Entscheidungen wandern - ein maximaler Kontrast zu den klinisch-präzisen "surgical strikes" anderer Spiele, in denen bekanntlich auch Zivilisten nicht vorkommen dürfen, weil das nur zu Ärger führt. Und so wie sich Martin Walker im Verlauf der etwa acht bis zehn Stunden dauernden Kampagne äußerlich vom All-American Hero zu einem verdreckten, blutbeschmierten Wrack am Rande seiner psychischen Grenzen wandelt, steigt im Spieler ein Gefühl hilfloser Abscheu vor dem auf, was er hier anrichtet. Statt Machismo und Heldenmut serviert Spec Ops: The Line Zweifel und Verzweiflung. 

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Spielerisch kann dieser Spagat nicht ganz durchgehalten werden: Während die Cutscenes beeindruckend düster und schonungslos vom Albtraum Krieg erzählen, läuft der Spieler den Großteil der Zeit doch wie in anderen Shootern von Deckung zu Deckung und tötet Hunderte von Feinden - gemein ausgedrückt könnte man von einem nicht-interaktiven "Antikriegsfilm" in den Cutscenes rund um einen eher herkömmlichen Shooter-Anteil sprechen.

Auch die moralisch-ethische Entscheidungsfreiheit etwa eines Mass Effect oder auch nur eines Alpha Protocol fehlt, doch diese Kritik würde die große Leistung der Entwickler verkennen: Durch die Story sensibilisiert, zeigen sich die erschütternden Details, die andere Shooter ausblenden, und durch die nur scheinbare Entscheidungsfreiheit wird die Botschaft des Spiels noch deutlicher: Es gibt kein richtiges Leben im falschen Krieg, und an den wenigen Stellen, an denen wir wählen können, sind unsere Entscheidungen wahrscheinlich nicht die richtigen. Spec Ops: The Line nutzt auf höchst intelligente Weise sein Genre und dessen Konventionen, um die Spieler zum Nachdenken anzuregen - eine Leistung, die tatsächlich beachtlich ist.

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Achterbahnfahrt in den Abgrund

Erbringt Spec Ops: The Line nun tatsächlich den Beweis, dass ein "Antikriegsspiel" überhaupt möglich ist? Vielleicht hilft bei der Antwort ein Blick zurück in die Filmgeschichte, zum Beginn eines der ersten großen Antikriegsfilme, "Im Westen nichts Neues": 

"Diese Geschichte ist keine Anklage und kein Geständnis, am wenigsten aber ein Abenteuer. Denn der Tod ist kein Abenteuer für diejenigen, die ihm ins Gesicht schauen. Sie will einfach versuchen, von einer Generation von Männern zu erzählen, die vom Krieg zerstört wurden, obwohl sie seinen Kugeln entkamen."

 So unglaublich das vor kurzem noch schien: Spec Ops: The Line hat bewiesen, dass auch Spiele diese Geschichten erzählen können.

Denn während andere Vertreter seines Genres bombastische Abenteuerparks mit reaktionär-patriotischem Schießbudenballern bleiben, ist Spec Ops: The Line eine Achterbahnfahrt durch ein Schlachthaus, die in einem Abgrund endet. Man wollte ein Spiel machen, in dem man sich als Spieler auch mal schlecht fühlt, sagte Leveldesigner Jörg Friedrich in einem Interview. Das ist gelungen. Alleine dafür ist den Entwicklern höchster Respekt zu zollen.

Jeder auch nur halbwegs der englischen Sprache mächtige Spieler sollte sich unbedingt die Originalfassung des Spieles ansehen; warum ausgerechnet das Spiel eines deutschen Studios mit deutschen Sprechern auf dem Niveau billigster C-Movies vertont wurde, bleibt ein trauriges Geheimnis.

Dieser Text erschien zuerst für fm4.

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