SPIEGEL macht blöd. Warum auch positive Computerspiel-Artikel nicht besser sind als ihr Ruf

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"Spielen macht klug", so titelt DER SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe (3/2014). Hätte man doch bloß vor zehn Jahren schon so etwas Positives über Computerspiele geschrieben! Hoppla, hat man ja. Aber mangelnde Aktualität hin oder her, Hauptsache es gibt endlich wieder Gutes über Computerspiele zu sagen, oder? Gastkommentator Christian Huberts ist anderer Meinung.

Vor zehn Jahren habe ich tatsächlich noch innerlich gejubelt, wenn der etablierte Journalismus dem Medium Computerspiel positive Seiten abgewinnen konnte. In Zeiten sogenannter "Killerspiele" war jedes Häppchen Kulturoptimismus herzlich willkommen. Mittlerweile machen mich die Auswüchse dieser Form von Berichterstattung aber nur noch müde. Ein lahmarschiges journalistisches Narrativ wurde durch ein neues, lahmarschiges journalistisches Narrativ ersetzt.

Wo vor zehn Jahren jeder Ausbruch adoleszenter und/oder gesellschaftlicher Gewalt garantierter Aufhänger für oberflächliche Games-Berichterstattung war, erfüllt nun jede Form der Nutzbarmachung von Computerspielen – abseits reiner Unterhaltung – den selben Zweck. Das ist positiver Kulturpessimismus. Nicht mehr die schädliche Wirkung, sondern der Fokus auf den pragmatischen Nutzen von Computerspielen führt zu einer Marginalisierung und Reduzierung des Mediums. Da sich auch der Markt für Medienwirkungsstudien auf positive Befunde umgestellt zu haben scheint, muss der interessierte Journalismus nicht lange nach dem passenden Thema recherchieren. Let me google that for you! Computerspiele waren einst berichtenswert, weil sie uns schaden, nun sind sie berichtenswert, weil sie uns nutzen. Aber nicht alle Games. Nein, eben auch nur die, die in erster Linie Werkzeug, Therapeut, Beruhigungsmittel, Lehrer oder Wirtschaftsfaktor, also nützlich sind.

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Man respektiert eine Kultur nicht, indem man nur darüber nachdenkt, was sie wirtschaftlich, pädagogisch, medizinisch für uns leisten kann.  

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lte Vorurteile in neuer Verpackung. So kann man als Journalist mit dem Zeitgeist gehen, Computerspiele irgendwie voll spannend finden und trotzdem entspannt den Löwenanteil ihres kulturellen Outputs ignorieren. Die eigenen, veralteten und jahrelang reproduzierten Vorurteile werden derweil als Artikeleinstieg recycled: "Digitale Spiele machen gewalttätig und einsam. Dachte man." Nein, dachtet ihr. Denkt ihr wahrscheinlich auch jetzt noch. Nur stürzt ihr euch nun auf alles mit "serious" im Namen. Aber wo Ernst ist, da ist eben auch das Kindische, das Banale, das Nutzlose, das Selbstgenügsame, das Künstlerische, das Berührende und das schlicht Unterhaltsame. Das wird jedoch schon im Editorial mit dem Verweis auf ein dubioses "mehr" weggewischt. Aufarbeitung von Vorurteilen und unvoreingenommene Beschäftigung mit allen Aspekten der Computerspielkultur sieht anders aus.

Es offenbart sich ein Kulturverständnis, wie es schräger und fragwürdiger nicht sein könnte. Man respektiert eine Kultur nun mal nicht, indem man ausschließlich darüber nachdenkt, was sie wirtschaftlich, pädagogisch, medizinisch etc. für uns leisten kann. Nicht die Computerspielkultur selbst steht im Fokus, sondern ihre Schnittpunkte mit der bildungsbürgerlichen Komfortzone. Game-Berichterstattung im Print-Journalismus, das ist ewige Annäherung an das Zumutbare, ohne je mit diesem obszönen Gegenstand in Berührung zu kommen, der angeblich unsere Zeit vernichtet und nicht mit offensichtlichem Nutzwert entschädigt.

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ier wird es jedoch erst interessant. Hier fängt kritische Auseinandersetzung überhaupt erst an. Wenn nicht mehr Studienergebnisse, Verkaufsrekorde und Buchveröffentlichungen eine Nähe zum Gegenstand simulieren, sondern eine wirkliche Berührung stattfindet. Und die muss ja noch nicht einmal positiv verlaufen. Wenn ich eine Filmkritik lese, steht da auch mal etwas von platten Charakteren, sexistischen Stereotypen, peinlichen Dialogen, dröger Kameraführung und anderen, viel besseren Filmen. Das funktioniert, weil die Autoren ihren Gegenstand kennen, ihn in seiner Vielfalt erfahren und genutzt haben, crossmediale Bezüge herstellen können und in der Lage sind, auch Laien ihre Position zu vermitteln. Doch wie soll das funktionieren, wenn sowohl Redakteure und Autoren als auch die Leserschaft im Print-Journalismus mit Computerspielen fremdeln?

Nie geht es in derartigen Artikeln um die Computerspiele selbst.

Die aktuelle SPIEGEL-Titelgeschichte wäre eine Möglichkeit gewesen, einfach anzufangen, den Leser mit journalistischem Geschick ins Unerwartete und Unerhörte zu stoßen. Für den Forschungsstand und die Expertenmeinungen reichen auch die Randspalten, in die bislang die eigentlichen Computerspiele abgeschoben werden. Ich wünsche mir Kritik an Games. Vernichtende, erhellende, lückenlose, gut recherchierte und von Erfahrung geprägte kritische Auseinandersetzung mit einem Gegenstand der Kultur. Im Zentrum der Texte, nicht in ihrer Peripherie. Aber ich bekomme immer nur “Filme/Bücher/Theater sind besser”- oder “Computerspiele machen klug/gesund/erfolgreich/was Filme machen”-Artikel. Nie geht es um die Computerspiele selbst.

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So bleibt ein leidlich brauchbarer Text, der erbitterten Nicht-Spielern durchaus Interessantes und vorher Unbekanntes zu Computerspielen anbieten kann, ohne dabei weh zu tun oder Vorurteile grundsätzlich zu erschüttern. Benedikt Plass-Fleßenkämper bietet auf seinem Blog eine ausführliche inhaltliche Kritik

Auch in Zukunft wird man den SPIEGEL-Lesern noch erklären müssen, dass es großartige Spiele ohne Nutzen gibt. Ja, auch und manchmal ganz besonders die "Ballerspiele". Und man wird ihnen erklären müssen, dass es bessere und einfacher zu bedienende Jump'n'Runs, Shooter, Wimmelbilder, Puzzles, Racer und Quizspiele gibt als im offiziellen SPIEGEL-Spiel. Man wird erklären müssen, dass es ganz andere Games gibt als die aus den Randspalten. Man wird ihnen Links zu kleinen aber tollen Browsergames für den Einstieg schicken müssen. Links zu kritischen, verständlichen Spielkultur-Magazinen wie der WASD

Und sogar einen Link zur Netzwelt von SPIEGEL ONLINE, die größtenteils erfüllt, was die Print-Ausgabe nur verspricht. Nein, der SPIEGEL macht nicht immer klug. Aber Spielen kann man ja trotzdem.

 
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