The SPIEL/FILM Letters #1

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In der Serie SPIEL/FILM werfen Kollege Ciprian David (negativ-film.de) und ich einen gemeinsamen Blick auf zwei Medien und ihre Verwandtschaft. In  unserem Briefwechsel werden wir uns dieser speziellen Beziehung zwischen visuellem Erzählen und interaktivem Zeigen widmen.

Lieber Ciprian,

Spiel, Film - eine Geschichte voller Missverständnisse? Ich habe vor kurzem einleitend versucht, das Thema dieser Konvergenz anzuschneiden, bleibe aber trotzdem etwas verunsichert zurück. War es auch für dich eine Überraschung, dass Games-Topoi und -Konventionen in den Film eindringen, ohne aber - das wäre meine These -  dass dies im Film in den meisten Fällen bewusst thematisiert wird? Im Unterschied zu Games, wo das dumme Ideal vom "Film zum Selberspielen" nicht und nicht sterben will?

Dringen Games-Topoi und -Konventionen in den Film ein, ohne dass dies bewusst thematisiert wird?

Die Einverleibung der Games-Sphäre durch den Film geht demnach vielleicht von thematischen Games-Referenzen (Matrix, Gamer, Avatar) über rein Ästhetisches (300, Scott Pilgrim) bis hin zu regelrechten Zwitterdingen wie eben John Hyams, wo allerdings das "neue " Medium Games, wie du in deinem Gespräch mit Michael umkreist hast, für den Aufmerksamen fast als verborgenes Paradigma und - so würde ich begeistert hoffen - als Chance zur Weiterentwicklung des Genrekinos erkennbar wird.  

In Day of Reckoning, von dir hier vorgestellt, vor allem sehe ich persönlich mit Begeisterung ein neues Actionkino, das mich  voll erwischt und beeindruckt hat: Ich hatte ja offen gestanden seit Jahren das B-Movie-Actionkino ad acta gelegt und hätte mir von keinem Van-Damme-Film je mehr erwartet als maximal ironische Selbstreferenz und müdes Straight-to-Video.

Stattdessen: Filmisch wuchtig, intelligent, hart, kompromisslos und vor allem voll mit neuen Haken und Ösen, an denen die moderne Medienrezeption des Zielpublikums sich befestigt, denn für dieses sind die erst kürzlich von den Blockbuster-Opas Lucas und Spielberg hochgehaltenen Mediengrenzen längst durchlässig geworden. Das Interview mit Macher John Hyams bestätigt, dass hier mit offenen Augen einer Konvergenz zugearbeitet wird.

Mit anderen Worten: Während Spiele nach wie vor dem Film als Ideal nachlaufen, bewegt sich dieses in seinen 100 Mutationen selbstbewusstere, weil ältere Medium zumindest in Teilen mit den aus dem Medium Games entlehnten Versatzstücken ein Stück weit selbst auf Games zu - allerdings ohne die Interaktivität. Die aber wird dafür durch Quicktime-Events und strenge Linearität in manchen Spielen zugunsten größerer Filmhaftigkeit auch immer wieder preisgegeben.

Mir ist nur nicht ganz klar, ob ich damit als begeisterter Filmfreund, aber Games-Spezialist nicht überinterpretiere. Wie siehst du das? Gibt es eine Medienkonvergenz zwischen Film und Spiel - aber nicht in dem ollen, langweiligen Sinne, dass Spiele filmisch sein wollen, sondern dass der Film sich des neuen Mediums Spiel bedient und es sich (unter?)bewusst einverleibt? Und bietet sich Universal Soldier nicht auch besonders deshalb für diese Diskussion  an, weil auch inhaltlich diese große Verwandtschaft besteht - dass nämlich Millionen von Militainment-Spielern wie die seelenlosen,  sich regenerierenden fast Unsterblichen mechanisch durch Kulissen bewegen und außer Töten kein emotionales Werkzeug zur Hand haben?

Ich hoffe gespannt auf Antworten, weiterführende Gedanken und frischen Input,

liebe Grüße aus Wien,

Rainer

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Lieber Rainer,

In Deiner Mail schriebst Du über die Konvergenz von Film und Spiel. Du hast auf ihre langweilige Dimension aufmerksam gemacht: Spiele wollen wie Filme sein.

Ich sehe das nicht so pointiert und finde es sogar sehr berechtigt, dass Spiele die Strukturen nachahmen, die im Film anzutreffen sind. Zu dieser Meinung kam ich als Spätzunder zum ersten Mal, während ich das dritte Uncharted gespielt habe, denn es stellte mich vor die Frage, wohin denn Spiele eigentlich wollen. Und wie André Bazin damals, in den 40ern, als er seine Realismus-Vision in Bezug auf den Film entwickelte und als größte Zuspitzung einen allumfassenden Realismus im Film für das Jahr 2000 voraussagte, neigte ich zu dem Zeitpunkt dazu, von Games dasselbe in einer mehr oder weniger nahen Zukunft zu erwarten. Es erschien mir damals naheliegend, von Spielen ein möglichst glaubwürdiges, vereinnahmendes Erlebnis zu erwarten. Zwar bin ich schon länger über diese These hinweg, doch machte ich sie zum Thema, denn sie führt zu einer wichtigen Frage: An welcher Wirklichkeit sollen sich Spiele wohl orientieren?

An welcher Wirklichkeit sollen sich Spiele wohl orientieren?

Ich kann nur annehmen, dass sie eine multimediale sein soll, allein aus wirtschaftlichen Gründen. Spielehersteller müssen eben die Lebensumgebungen der Spieler berücksichtigen, und wer spielt schon Videogames und lebt ansonsten nur in einer analogen, medienfernen Welt? Die Annahme, dass Spielewelten nach hybriden Wirklichkeitsentwürfen gestaltet sind, also nach solchen, die von Medien und ihren digitalen Räumen ebenso geprägt werden, wie von den realen, analogen Räumen, führt zur Frage, welches Medium am meisten die Wirklichkeit prägt. Da komme ich schnell auf den Film zu sprechen, auf sein ikonisches Potenzial, auf seine simplifizierten Weltmodelle und auf seine implizite gesellschaftliche Erziehungsfunktion. Ein einfaches Beispiel ist die Gut-Böse-Dichotomie, die natürlich nicht erst mit dem Film aufkeimte, die aber der Film extrem wirkungsvoll pangesellschaftlich umkodiert und propagiert hat. So haben wir diese Aufteilung der Welt zwischen Gut und Böse überall in der Gesellschaft: politisch, institutionell, ideologisch, kulturell, etc..

In anderen Worten, wo die Welt komplexer wird, findet der Film Wege, sie einfach zu erklären, so verfälschend das oft auch sein mag.

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In diesem Zusammenhang finde ich das ikonische Potenzial des Films auch sehr wichtig. Er zeigt uns Bilder und Bewegungen, die ihre Pendants in der analogen Wirklichkeit längst überlappt und ersetzt haben. Um bei Uncharted zu bleiben – in meiner Erinnerung blieb eine Taube fest verankert, ziemlich am Anfang des Spiels, die wegflog, als der junge Drake, sich auf einem Stockwerkgesims entlang bewegend, ihr zu nahe kam. Diese Taube hat mich damals sehr beeindruckt (obschon klar, dass sie nur ein Skript war). Und das nicht, weil sie sich in Wirklichkeit so verhalten würde, sondern, weil sie in einem Film als ein ungeheurer Wirklichkeitseffekt hervorstehen würde, als eine Kleinigkeit, die meistens in keinem Bezug zur Handlung steht, und uns dadurch umso mehr den Eindruck gibt, die fiktionale Welt des Films sei real, wie die unsrige.

Wirklichkeitseffekte als Erzähldispositiv existieren im Film seit mindestens 80 Jahren und wurden im Verlauf der letzten sieben Jahrzehnte immer wieder zum Gegenstand der diskursiven Auseinandersetzung, aber es funktioniert nach wie vor. Warum also sollen Games nicht davon profitieren? Sie haben ja den zusätzlichen Vorteil, von der Erfahrung eines älteren Mediums Gebrauch zu machen und, zusätzlich, dessen Mechanismen in einer neuen, entsprechend weniger familiären und somit ideell frischeren Umgebung umzusetzen.

Aber es gibt auch den Umkehrschluss. Filme, die eine Spieleästhetik bedienen, sehen wir vermehrt, besonders im Genrekino. Ich meine hiermit nicht Filme, die das nur pseudoreflektiert machen, wie etwa Scott Pilgrim vs. the World oder Crank 1 und 2, welche vortäuschen, sich an einer Levelstruktur entlangzuhangeln, um ihre Story zu erzählen und ihre Gemeinsamkeit mit Games durch grafische Artefakte belegen, sondern Filme, die Gamesstrukturen und -motive zum Erzählparadigma erklären.

Dazu gehören für mich ebenfalls am prominentesten die Filme von Zack Snyder. Mich begeistert bei ihm schon die Tatsache, dass er in seinem Werk immer auf der Suche nach einem alternativen Referenzmedium für das Storytelling zu sein scheint – 300 und Watchmen orientierten sich an Comics; Sucker Punch und Man of Steel orte ich dezidiert als Filme, die an die Erzählstrukturen der Games herangewachsen sind. Ich denke, dass diese Filme über Games nach Wegen suchen, die eine Stagnation des Science-Fiction-/Fantasy-/Actionkinos umgehen könnten.

Diese Stagnation stellen wir ja indirekt zur Diskussion im Gespräch mit John Hyams, und sie bezieht sich auf die Tatsache, dass der aktuelle Tenor, seit Jahren, darin besteht, mit möglichst vielen Schnitten eine gewisse Orientierungslosigkeit des Publikums herbeizuführen, die im besten Fall in einem Wow-Effekt münden soll. In dieser Kategorie wären für mich alle Großen zu orten, wie Christopher Nolan, Michael Bay, etc.

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Zack Snyder unterscheidet sich hiervon insofern, als dass er Videogames, zumindest in meinen Augen, etwas abzugewinnen versucht und dies ihm meistens auch gelingt. Sucker Punch ist ein Hybrid zwischen Film und Games, konzipiert als Beat-em-Up mit einer Levelstruktur, welcher sich aber einer sehr filmisch umgesetzten Alice im Wunderland-Metapher bedient, um solide zwischen beiden Künsten verankert zu sein. Natürlich herrschte bei den meisten Kritikern Ratlosigkeit als er rauskam, denn seine Erzählökonomie hatte kaum etwas mit Filmdramaturgie zu tun – es war einfach zu viel Spektakel für den Kinogänger. Aber durch das Prisma der Konvergenz gesehen, fällt mir kein Film ein, dem das opulenter und besser gelingt. Dieses Biest, ließe sich behaupten, muss man erstmal packen lernen. 

Dieses Biest, ließe sich behaupten, muss man erstmal packen lernen.

Man of Steel sehe ich grundsätzlich nicht sehr unterschiedlich – er operiert eben mit anderen Verfahren und konstruiert einen Film in großen Teilen aus Cut-Scenes (die natürlich nicht interaktiv sein können) und Trigger Events. Beide Verfahren standen für mich extrem im Vordergrund als ich den Film sah und führten zu einem eher enttäuschenden Filmerlebnis, weil mir schlicht die Interaktionsmöglichkeiten fehlten, die ich im Regelfall damit assoziieren würde. Aber ebendiese Verfahren führten dazu, dass sich der Film etwas frischer anfühlte, unbekannter, dass ich rückwirkend Zack Snyder mehr zu schätzen lernte und gespannt auf die Richtung warte, die er mit Sicherheit im Filmemachen prägen wird.

Um aber der Ursache dieser Tendenz der zwei Künste zur Konvergenz nachzugehen, denke ich, sollen wir uns fragen, wie sich diese schnelle Montage im Science-Fiction-/Fantasy-/Actionfilm auf das Medium auswirkt, was sie beseitigt und was verschwindet damit zunehmend aus dem Film. Ein erster, weil naheliegender Gedanke wäre für mich die Story. Die verschwindet eben zunehmend - im Film wird sie episodisch oder stereotypisch, die Drehbuchautoren und Regisseure spielen mit ihr meistens auf formeller Ebene, auf einer Ebene der Variationen, wie in der Musik.

Blickt man Richtung Spiel, so stellt man zunächst fest, dass die Story anfangs so gut wie abwesend war und immer mehr Bedeutung gewonnen hat. So ging es doch auch mit dem Schreiben über Spiele - irgendwann kam der New Games Journalism (ist es schon zehn Jahre her?) und erzählte die schlechten Geschichten der Spiele besser, als es die Games selber machten. Liegt es daran, dass die Story eines Games sich immer beim Spielen schreibt und eher als unfertig zu betrachten ist? Oder daran, dass das Medium eine Weile brauchte, um Geschichten erzählen zu können? Oder rede ich mir einiges schön?

Ich freue mich auf deine Antwort!
Ciprian

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