The SPIEL/FILM Letters #2

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1255

In der Serie SPIEL/FILM werfen Kollege Ciprian David (negativ-film.de) und ich einen gemeinsamen Blick auf zwei Medien und ihre Verwandtschaft. In  unserem Briefwechsel werden wir uns dieser speziellen Beziehung zwischen visuellem Erzählen und interaktivem Zeigen widmen.

Lieber Ciprian,

dass du in deinem letzten Brief Zack Snyder derartige Großtaten zuschreibst, überrascht mich dann doch. Ich gestehe, dass ich Sucker Punch gerade einmal 30 Minuten ausgehalten habe - so beeindruckend die (Gegenbegriff!) Musikvideo-und-Werbeclip-Ästhetik der optisch wuchtigen Kampfsequenzen auch war, so leer und letztlich nichtssagend waren für mich die ärgerlich oberflächlich verrätselte Handlung mit ihren Metaebenen sowie die Hauptdarsteller, die auch als virtuelle Drahtgittermodelle nicht emotionsloser und hölzerner wirken hätten können. Für mich ist Sucker Punch nach dieser zugegeben nur fragmentarischen Sichtung eher der Beweis dafür gewesen, dass Film eben Videospiele missversteht, und zwar visuell ebenso wie strukturell. Aber ich traue deinem Urteil und werde dem Film (und auch Man of Steel) bei Gelegenheit eine zweite Chance geben - wenn du so freundlich wärst, Esteren eventuell für diese Serie analog zu deinem Artikel zu Universal Soldier vorzustellen …?

Zu deinen abschließenden Fragen: Hoho! Dass der New Games Journalism, wie du schreibst, “die schlechten Geschichten der Spiele” besser erzähle als diese selber, ist, glaube ich, ein Missverständnis. Er erzählt (oder: erzählte, denn inzwischen, so behaupte ich, sind wir in der Zeit des New New Games Journalism angelangt) Geschichten aus Spielen, oder von diesen, oder von uns in diesen Spielen - die zugegeben oft tatsächlich vom literarischen Standpunkt “schlechten” Geschichten der Spiele selbst, im Sinne ihrer gescripteten Plots, lässt er weg. Das geht natürlich bei manchen Spielen besser als bei anderen, und so ergibt sich ironischerweise der Effekt, dass ausgerechnet jene Spiele mit einer starken Story am wenigsten Stories hergeben, während solche fast oder ganz ohne Handlung - Open-World-Spiele, Sandboxspiele, MMOs, Multiplayerspiele - quasi aus sich selbst Geschichten generieren, von Dwarf Fortress über Minecraft über EVE bis hin zu virtuellen Kriegsgeschichten.

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Die Problematik des Schwingens zwischen Interaktion und Führung  heißt nicht, dass nicht große Geschichten erzählt wurden im Spiel 

Wie du sagst schreiben sich in diesen Genres die Geschichten tatsächlich von selbst, und in ihnen liegt tatsächlich, so meine ich, die revolutionäre Differenz zum Medium Film, die eigentlich unüberbrückbar bleiben muss. Hierhin passt auch die - oberflächlich auch als ignorant abkanzelbare - Aussage der Filmdinosaurier Lucas und Spielberg, dass Spiele in Bezug aufs Erzählen eher die ganz, ganz kleinen Ambitionen auspacken sollten. Diese Problematik des Schwingens zwischen Interaktion und Führung  heißt natürlich nicht, dass nicht große Geschichten erzählt wurden im Spiel - von Planescape Torment über Bioshock und Half-Life bis hin zu Portal, von Shadow of the Colossus über Heavy Rain bis hin zu Final Fantasy oder Last of Us haben es Spiele immer wieder geschafft, uns durch ihre Story in ihre Systeme hineinzuziehen. Dennoch: In all diesen Spielen hat uns nicht die Geschichte bei der Stange gehalten, sondern dass sie ein motivierendes Grundrauschen hinter der Herausforderung war, die uns die Spielmechaniken geboten haben.

Ein kurzes Abschweifen: Es ist bekanntlich nicht ganz einfach, den Begriff des Erzählens, wie er selbstverständlich im Film zur Anwendung kommt, auf Spiele anzuwenden, denn das Medium hat einerseits viele unterschiedliche Strategien des Erzählens entwickelt - von Interactive Fiction über Cut-Scenes bis hin zur Emergent Narrative -, andererseits sind Spiele aber vielleicht gar nicht jenes erzählende Medium,  wie es sich sowohl die Narratologen als auch ich selbst oft erhofft oder erträumt haben. Denn es ist eben die vertrackte Aufgabe jedes Spiels, die handelnde, unvorhersehbare Interaktion des Spielers irgendwie mit dem Erzählen in eins zu bringen. Dass das möglich ist, ist eine Grundannahme des Mediums, die mal mehr, mal weniger mit Bedeutung ausgefüllt wird - Spiele wie Beyond: Two Souls, die größtes Augenmerk auf ihre Story legen, verärgern allzu oft mit der spielerischen Interaktivität von Handyspielen. Und wenn das Gameplay nicht zum Spielen motiviert, sondern nur die Story, könnte man sich ja gleich die gesammelten Cutscenes auf YouTube als Video ansehen. Oder?

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Das cineastische Erzählen im Spiel - eine der größten narrativen Traditionen im Spiel mindestens, aus dem Stegreif geschätzt, seit Jordan Mechner, dezidiert seit (nomen est omen) Cinemaware - hechelt wahrscheinlich stets den Entwicklungen  des Films hinterher. Das zerstückelte, nicht sequentielle Erzählen - mit Rückblenden, Zeitsprüngen, Manipulationen der Zeitebene, allerallerspätestens seit Tarantino im Mainstream angelangt - findet sich im Spiel bislang allerhöchstens in Form von “20 Jahre zuvor”-Prologen. Zwei mir bekannte Ausnahmen bilden einerseits die Spiele David Cages (Beyond soll hier ja einige Tricks bieten) und andererseits, maximaler Kontrast, das wunderbare Thirty Flights of Loving, das in seinen nur 15 Minuten Spieldauer den Tarantino heraushängen lässt.

Was ist diesbezüglich an Transfers von Chancen, aber auch Krisen vom Film zu erwarten? Anders gefragt: Was würdest du dir an Transfer wünschen - in welche Richtung auch immer? Und, ganz wichtig: Hast du The Stanley Parable gespielt? Wenn nicht, dann gib mir Bescheid - dann investiere ich statt Autorenhonorar in dieses grandiose Experiment für dich.

Liebe Grüße,

Rainer

 
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