VGT goes GameStandard: Best of Indie Oktober 2014
Die monatliche Kooperation mit dem GameStandard zeigt wieder ein Best-of der schönsten Indie-Games-News.
Wiederbelebte Klassiker, frisches Hochglanz-Retro, per Kickstarter fortgeführte Kultspiele: Die an dieser Stelle wieder und wieder diskutierte Definitionsfrage - klassisch: “Ist das noch Indie?” - wird mit dem Massenerfolg unabhängig produzierter Spiele nicht gerade einfacher zu beantworten. Die “klassische” Definition, auf die in dieser Serie immer wieder verwiesen wird - ein Spiel ist “Indie”, wenn es “(a) von Anfang bis Ende ohne den Einfluss eines Publishers oder Lizenzgebers fertiggestellt und (b) von einem einzelnen Entwickler oder einem kleinen Team erstellt wurde” -, wird schon alleine dadurch wackelig, dass es im Zeitalter hauptsächlich digitaler Distribution per Download und durch Vorfinanzierung per Crowdfunding oft schlicht keinen klassischen Publisher mehr braucht.
Ein interessanter “Grenzfall” ist das weiter unten vorgestellte “DeadCore”: Von einem unabhängigen französischen Team entwickelt, ist das Spiel nach Fertigstellung vom japanischen Traditions-Publisher Bandai Namco unter die Fittiche genommen worden. Indie oder nicht? Adrien Pelov vom Entwickler 5-bit Games unterscheidet zwischen “zwei Arten der Unabhängigkeit: finanziell und kreativ”. “Unser Publisher hat uns nie aufgefordert, am Spiel irgendetwas zu ändern. Man hat uns vertraut, und wir konnten das tun, was wir als Entwickler wollten”, so Pelov. “Der Hauptvorteil für uns war dadurch sicher der direkte Zugang zu Steam, ohne den Weg über Greenlight gehen zu müssen. Außerdem wurden wir beim Debuggen und Lokalisieren unterstützt. Also ja: ich würde schon sagen, dass wir noch Indie sind.”
Wie oft schon an dieser Stelle behauptet: Eigentlich ist das Etikett unerheblich - Hauptsache, die abseits des AAA-Mainstreams veröffentlichten Spiele sind frisch, spannend und originell. Hier sind die Besten des Monats.
Legend of Grimrock 2 (Windows, 21,99 Euro)
Im Mai 2012 war der erste Teil des klassischen Dungeon-Rollenspiels Gast in der allerersten Ausgabe von “Best of Indie”, und der soeben veröffentlichte zweite Teil des Kultspiels der finnischen Entwickler ist größer, schöner, härter, abenteuerlicher, kurzum: nochmal besser als das Original und somit ein absoluter Pflichtkauf für Fans des ersten Teils sowie all jene, die ein Herz für in erstaunlicher Frische wiederbelebtes Spieldesign haben. Mit einer Vierertruppe Fantasy-typischer Abenteurer erforscht man auch hier wieder Schritt für Schritt, klassisch in 90-Grad-Drehungen, eine beeindruckende Spielewelt - diesmal nicht nur in finsteren Gemäuern, sondern auch in einer wunderbar atmosphärischen Außenwelt -, bekämpft in Echtzeit angreifende Monstern und zerbricht sich über knifflige Rätsel den Kopf.
Wie schon beim ersten Teil gesagt: In manchen alten Spielprinzipien steckt auch heute noch viel mehr Spaß als gedacht - und mit Nostalgie hat das aber gar nichts zu tun. “Grimrock 2” ist nicht “nur” ein fantastisches Indie- oder gar nur ein beeindruckendes Retrospiel, sondern abseits aller Schubladen schlicht und ergreifend ein toller, herausfordernder und sichtlich mit viel, viel Witz und Liebe gemachter Titel allerhöchster Qualität.
Dreamfall Chapters (Windows, Mac, Linux 29,99 Euro; PS4 in Vorbereitung)
Das 1999 erschienene Adventure “The Longest Journey” und sein sieben Jahre später erschienener Nachfolger “Dreamfall” von den norwegischen Entwicklern Funcom zählen für viele Fans dank fantastischer Story und toller Charaktere nach wie vor zu den Besten ihres Genres. Ragnar Tørnquist, Autor und Produzent der Serie, beschenkt nun dank erfolgreicher Kickstarter-Finanzierung als Kopf des neu gegründeten Indie-Studios Red Thread seine wartenden Fans mit dem ersten Teil eines Nachfolgers. “Dream Fall Chapters - Book One” entführt seine Spieler wieder in die parallelen Welten der Technik und der Magie und spinnt die Geschichten um Zoe und Kian weiter. Die klassischen Adventure-Mechaniken wurden um spielerische Inspirationen aus Telltales Erfolgsserien “The Walking Dead” und “The Wolf Among Us” bereichert, und so zieht “Dreamfall Chapters” seine Spieler nicht nur mit stimmungsvoller Grafik, wunderbarem Score und gewohnt mitreißender, emotionaler und intelligent geschriebener Story, sondern auch mit einigen kniffligen Entscheidungen in seinen Bann, die allerdings - nach fünf Stunden Spielzeit für diesen Teil - zum Teil erst in “Book 2” ihre Konsequenzen haben werden.
Wer intelligente, atmosphärische Adventures liebt, ist “Dreamfall Chapters” einen Besuch schuldig - und auch wenn die Vorgeschichte für Neueinsteiger zu Beginn wiederholt wird, ist das Nachholen der Serienvorgänger für Freunde außergewöhnlicher Spiele eine Empfehlung wert.
TRI (Windows, Mac, Linux 12,99 Euro)
Nach zwei skandinavischen ein deutsches Qualitätsprodukt: “TRI - Of Friendship & Madness” ist das aus einem Ludum-Dare-Experiment entstandene Puzzle-FPS des Entwicklerduos Rat King. Dank hinreißender, eigenständiger Optik und frischer Gameplay-Ideen wird das sympathische Spiel mit dem Faible für japanische Mythologie zu weit mehr als noch einem Eintrag ins Genre der von “Portal” geschaffenen Puzzle-Nische im First-Person-Segment. Dank “TRI-Kanone” dürfen Spieler in den verwinkelten, wunderschön in Cartoon-Optik gestylten Tempellabyrinthen sich ihren ganz eigenen Weg zu Fuchsstatuetten und einer Unzahl an Geheimnissen basteln. Die Rätseldichte ist niedriger als etwa im verkopften “Antichamber”, denn hier ist oft auch Improvisation Trumpf.
“TRI” ist ein durch und durch gelungenes Puzzle-Abenteuer aus der First-Person-Perspektive, das durch Style, Witz und Mut zur Offenheit die eine oder andere winzige Unebenheit verzeihen lässt.
DeadCore (Windows, Mac, Linux 9,99 Euro)
Dass das aus einem Game-Jam entstandene “DeadCore” trotz Publisher Bandai Namco in dieser Serie auftaucht, ist seiner Geschichte geschuldet: Entstanden aus einem Game-Jam, entwickelt von sechs französischen Freunden und zuvor unter dem Namen “Deadlock” auf der Indie-Plattform Desura populär - da ändert auch der finale Publisher-Deal bei Release wenig an der Indie-Street-Cred. Das stylische Science-Fiction-FPS lässt seine Spieler wie die in dieser Serie bereits gewürdigten Titel “A Story About My Uncle” und “Cloudbuilt” große Sprünge machen. Der Aufstieg auf den scheinbar endlosen, von Sicherheitssystemen und sonstigen Hindernissen gespickten Turm verlangt waghalsige Sprünge, perfektes Timing, gute Reflexe - und dank Trial & Error eine akzeptable Portion Leidensfähigkeit.
“DeadCore” ist im Kern ein Jump’n’Run-Platformer in 3D; wer nur mit Schrecken an die Alienwelt Xen in “Half-Life” und ihre für viele Spieler zu frustrierenden Sprungrätsel zurückdenkt, ist gut beraten, um das mit weiter wachsende Subgenre der First-Person-Jumper einen weiten Bogen zu machen. Alle anderen erfreuen sich an der präzisen Steuerung, der originellen Herausforderung und der leisen Lust am Masochismus.
Door Kickers (Windows, Mac, Linux 19,99 Euro)
Ein sehr europäisches “Best of Indie” wird von einem Team aus Rumänien abgerundet: “Door Kickers” von Killhouse Games aus Bukarest überrascht mit einem knackigen, soliden Taktik-Mix vor martialischer Kulisse. Als SWAT-Team der Polizei ist es die Aufgabe des Spielers, diverse knifflige Einsätze quasi auf dem Reißbrett sekundengenau zu planen und möglichst perfekt zu Ende zu bringen. Wie aus Klassikern wie “Rainbow Six” oder dem Indie-Hit “Frozen Synapse” bekannt führt nur der kluge, aufeinander abgestimmte Einsatz aller Teammitglieder zum Erfolg.
Geiseln retten, Bomben entschärfen, Bösewichte ausschalten: Bei all diesen Missionen wird “Door Kickers” seinem Namen dank stets dramatischer Auftritte gerecht und lässt dank angenehm taktischer Puzzles das - mal ehrlich - mäßig originelle Setting und damit einhergehendes Military-Pathos verschmerzen.
Und sonst?
Apropos Taktik: Es gibt noch einen absoluter Kultklassiker, der dank Crowdfunding wieder unter den Lebenden weilt: Das vor 20 jahren (!) erschienene “Jagged Alliance” gilt bei seinen vielen Fans als absolutes Kultspiel. Mit “Jagged Alliance Flashback” (Windows, Mac, Linux 29,99 Euro) versucht der dänische Entwickler Full Control, den Zauber des taktischen Military-Spektakels mit seinen Söldnern, Inselflair und spannenden rundenbasierten Schusswechseln in die Gegenwart zu holen - und schafft dieses Kunststück leider nur so halb. Die Kämpfe gehen in Ordnung - nur das gar arg dürre Rundherum verleitet nostalgische Fans eher zum Griff zu Teil 2 der Originalreihe, der übrigens sogar schon in der Games-Buchreihe Boss Fight Books mit einem eigenen Band gewürdigt wurde. Schade.
Abgesehen davon seien PS Vita-Besitzer auf das bereits letzten Monat erschienene “Murasaki Baby” verwiesen, das mit außergewöhnlichem Stil, frischen Ideen und bizarrem Setting begeistert; mit der Portierung des stylischen Endless-Racers “Race The Sun” für PS3, PS4 und Vita und dem bizarr-spaßigen “Pix the Cat” für PS4 und Vita sind zumindest Sony-Konsolenspieler mit interessanten Indies versorgt.
Spieler aller Plattformen sollten einen Blick auf das ebenfalls beinahe untergegangene, faszinierende “Deep Under The Sky” (Bild oben) werfen: Der psychedelische Mix aus Pinball, “Angry Birds” und bizarr-bunter Unterwasserbiologie ist für iOS, Android, Windows und Mac erschienen und ist das Werk des in der Welt herumreisenden Indie-Entwicklers Colin Northway, der schon mit dem Unikum “Incredipede” seine Eindrücke von wild wuchernden Mangrovensümpfen in Gamedesign fließen ließ. “Deep Under The Sky” ist als meditatives, aber auch forderndes Geschicklichkeitspuzzle mit umwerfend tollem Jazz-Soundtrack ein Geheimtipp für Freunde des besonderen Spiels.