WASD 3 - Skandal! Fan hits the Shit
Nummer drei des weltbesten deutschen Essaymagazins zu Games ist ab sofort zu haben und, ja, du solltest diesmal diesen Beitrag zur Gameskultur echt bestellen - wenn du Videogametourism liest, ist das wohl einfach selbstverständlich. Ja, genau du. Thema diesmal war "Skandal!", und im Anschluss folgt mein erster Text zum Thema Fankultur, der es aber nicht ins Heft geschafft hat - ich bin mit einem anderen vertreten. Ein Skandal wäre es deshalb auch, dieses Kleinod der subtilen Publikumsbeschimpfung mit dem - bei aller Bescheidenheit muss es gesagt werden - immer noch grandiosen Titel "Fan Hits The Shit" ungenutzt vergammeln zu lassen, vor alle, weil ich momentan vom Schreiben brandneuer Texte etwas abgelenkt bin. Aus Gründen.
Wenn Mass Effect 3 unbefriedigend endet oder Dante die falsche Frisur hat, steigen Spieler global auf die Barrikaden. Für viele Fans sind Games Produkte, an denen sie besondere Rechte haben – vielleicht sogar mehr Rechte als deren Macher. Dabei ist der Fan-Shitstorm in etwa das Äquivalent zum Tobsuchtsanfall im Kinderzimmer.
Spiele sind wichtig. Wir verbringen freiwillig unsere spärliche Freizeit mit ihnen, freuen uns – unterstützt von einer mit dem klassischen Gamesjournalismus in unzähligen Preview-Events kooperierenden PR-Maschinerie – schon Monate vor dem Erscheinen darauf, tragen T-Shirts mit Gears of War-Logo oder lassen uns das Symbol der Triforce auf die Arschbacke tätowieren. Insofern unterscheiden sich Spiele nicht besonders von anderen popkulturellen Produkten: Von den Beatles bis zu Justin Bieber, von Star Wars bis Twilight, von Karl May bis Harry Potter ist die Selbstdefinition der Konsumenten als „Fans“ der einen oder anderen Art ein bedeutendes Merkmal vor allem jugendlicher Pop- und Konsumkultur.
Games-Fankultur bewegt sich zwischen der nerdigen Sammler-, der emotionalen Groupie- und der verbissenen Ultrakultur
Wer im Zusammenhang mit dieser Art von Konsumentenbindung das Wort „Fankultur“ in den Mund nimmt, hat es übrigens mit einem passenden Schlagwort aus dem Umfeld des größten Spiels des Planeten zu tun: Elektronische Spiele und ihre nach Einzelprodukten zersplitterte Anhängerschar können König Fußball diesbezüglich nicht das Wasser reichen. Nichts emotionalisiert seine mitfiebernden Zuseher so sehr wie das „beautiful game“ Fußball, bis hin zu den Auswüchsen diverser Ultra- und Hooligan-Phänomene. Die im Vergleich zur traditionsreichen Fußball-Fankultur junge Games-Fankultur bewegt sich somit in aus anderen Medien und auch Spielen bekannten Gewässern – irgendwo unterhalb von oder zwischen den Extremen der nerdigen Sammler-, der emotionalen Groupie- und der verbissenen Ultrakultur.
Einen Unterschied zu den klassischen Medien und zum Zuschauersport gibt es im Gaming aber doch: Während die kultisch verehrten anderen Popprodukte – Musik, Filme, Bücher – zwangsläufig als das Werk persönlicher, von uns getrennter Personen angesehen werden müssen, die deshalb von den Fans mitverehrt oder zumindest akzeptiert werden, und während auf dem Spielfeld eindeutig unsere Helden unabhängig von uns ihr Bestes geben, ist das bei einem interaktiven Medium naturgemäß etwas komplizierter – hier gestalten die „Fans“ schließlich das Erlebnis durch eigenes Spielen aktiv mit. Wahrscheinlich liegt genau in dieser Interaktivität, in dieser Illusion der Aneignung besonderes Konfliktpotenzial – denn manchmal gehen die Wünsche der Macher dieser Welten und jene der Fans auch auseinander. Das ist kein Wunder, denn Fans sind erzkonservativ, misstrauisch gegenüber Änderungen und dem einmal Liebgewonnenen bedingungslos verhaftet. Merke: Je involvierter, je obsessiver die Fans das Produkt verehren, desto größer sind die zu erwartenden Widerstände bei Änderungen – was sowohl Arthur Conan Doyle als auch George Lucas am eigenen Leib erfahren konnten.
Die Konflikte, die zwischen Spielefans und Machern aufbranden, sind, passend zum digitalen Medium, in den Echokammern des Internets zu Hause. Das Handwerkszeug der skandalisierten Massen, die ihr empört eingefordertes „Recht“ auf ihren Dante, ihr heroisches Ende im Mass Effect-Universum, ihr düsteres Diablo 3, ihr unverfälscht horrorartiges Dead Space 3 von den unverschämten Spielemachern ihrer Lieblingstitel mit Füßen getreten sehen, sind Forenkommentare, Online-Petitionen, Boykottaufrufe und negative Amazon-Rezensionen. Was sich hier spontan entlädt, ist heißer, glühend heißer Hass, der geboren wird, wenn die ebenso heiße Liebe zur Welt, zum Spiel, zum Produkt des Vertrauens enttäuscht wird. Spiele sind eben auch eskapistische Lebensräume, die der Spieler als die seinen ansieht; kein Wunder, dass die Beziehung zwischen dem Spieler, der seinen Shephard, seinen Dante oder seinen Isaac Clarke steuert, und dem Spielmacher, der es sich anmaßt, hier Änderungen vorzunehmen, konfliktbeladen sein muss.
Oft sind die, die am lautesten protestiert haben, die Ersten bei diversen Mitternachts-verkäufen
Der unappetitlichen Metaphernmelange zum Trotz steht aber eines fest: Die Shitstorms, die regelmäßig aufgebrachte Fans in rechtschaffene Rage bringen und als scandales du jour diverse Games-News-Seiten abseits von PR-Jubelmeldungen und den essenziellen „Spieletests“ mit Inhalt füllen, sind letztlich nur harmlose Stürme im Wasserglas. Denn dass die Spielemacher das Getöse ihrer jeweiligen Fans zu Recht nur bedingt ernst nehmen müssen, zeigt sich in deren Folgenlosigkeit: Jedem großen Shitstorm, in dem tausende empörte Fans auf die digitalen Barrikaden steigen und aufgebracht mit Fackeln und Mistgabeln herumfuchtelten, folgte bislang stets ein antiklimaktisch kleinlautes, braves Wiedereinreihen der eben noch Entrüsteten in den Konsumententross – und oft sind ausgerechnet diejenigen, die am lautesten protestierten, die Ersten, die sich bei diversen Mitternachtsverkäufen in lange Schlangen einreihen.
Eines weiß der Kaufmann seit je: Wer schimpft, der kauft. Und das ist angesichts verlässlich und immer spektakulärer lauthals überkochender Empörung bei direkt daran anschließender Geldübergabe zwar kein Skandal – aber schon irgendwie ein klein bisschen lächerlich.
So ist das halt mit der „Fankultur“ im Reich der Konsumgüter: Im Grunde beruht sie eben doch auf einer finanziellen Transaktion.