Zum Tod von John "TotalBiscuit" Bain

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Wenn ein Geek mit großer Klappe in raschen Schritten zum Internet-Star wird, gibt es viele Fallen, in die er tappen kann. John Bain ist in einige von ihnen getreten und hat sich durch Überforderung und Selbstgerechtigkeit selbst in ein Out manövriert, das er eigentlich nicht verdient hat. Eine Analyse, anlässlich des frühen Todes von TotalBiscuit.

Ein markanter britischer Akzent, trockener Humor und eine gesunde Portion Selbstironie waren eine Mischung, die mich begeistert hat. TotalBiscuit war einer der ersten Youtuber, die ich aufgrund dieser Eigenschaften regelmäßig verfolgt habe. Und natürlich wegen „Starcraft II“: Es war das Jahr 2010, und der lange ersehnte Nachfolger des ewigen Echtzeitstrategie-Königs war nun endlich erschienen. Das hatte auch einige KommentatorInnen auf den Plan gerufen, die auf Youtube (bzw. Justin.tv, dem Vorgänger von Twitch) wahlweise live spielten oder Partien in Form von Replays kommentierten. Nach „World of Warcraft“ war „Starcraft II“ das erste Riesengame, das von Youtube als Medium begleitet wurde und einigen ihrer Castern den Beginn einer großen Karriere als Internet-Personality ebnen sollte.

TotalBiscuit als auch ein weiterer „Starcraft II“-Caster namens HuskyStarcraft wurden für mich bald zu regelmäßigen Anlaufstellen im Netz. Die oft amüsanten, teils auch Slapstick-haften Videos der beiden (vor allem die Serien „I Suck at Starcraft“ und „Bronze League Heroes“) lieferten eine erfrischende Abwechslung zu der vielfach langweiligen E-Sportberichterstattung, aus der sich diese Spielcommunity in erster Linie nährte. Die beiden Kanäle und ihre Hosts begründeten mein erstes On-Demand-Fernsehritual. TotalBiscuit bestand lange Zeit fast ausschließlich aus bewegten Bildern der Spiele und John Bains unverkennbarer Stimme – Fotos und Videoauftritte von ihm selbst waren in der Anfangszeit seiner Youtube-Öffentlichkeit selten. Als diese später öfter auftauchten, wurde bald klar, warum: Bain hatte seine Karriere als Radiohost und Podcaster begonnen. Er war ein Geek mit großer Klappe, umfangreichem Wortschatz und guten Artikulationsfähigkeiten, die aber nicht immer über seine Unsicherheiten und Schüchternheit hinwegtäuschen konnten. Mit der Bildebene wurden diese Schwächen offensichtlicher – ein Umstand, dessen sich der Mann wohl bewusst war.

Vom Entertainer zum Journalisten

Zwei Jahre später hatte sich die anfängliche Euphorie über „Starcraft II“ langsam gelegt: Der zweite Teil der Kampagne, „Heart of the Swarm“, kam erst spät, im Frühjahr 2013, auf den Markt, und in Sachen E-Sport kristallisierte sich langsam, aber sicher heraus, dass der gesamte zweite Teil der Spieleserie nicht die beeindruckende Langlebigkeit aufweisen würde wie einst „Starcraft: Brood War“. TotalBiscuit war zu diesem Zeitpunkt bereits eine markante Größe auf Youtube und hat diese Dynamik genutzt, um vom Blizzard-Spielekommentator zum Videojournalisten umzuschwenken. Bereits im Spätsommer 2012 war dieser Wechsel vollzogen, der gewissermaßen den Verlust der medialen Unschuld von John Bain als öffentliche Person begründete.

Es handelte sich dabei um jenes Grundproblem, das Mitte der 2010er-Jahre viele Youtuber betroffen hat: Der klassische, geschriebene Games-Journalismus wurde damals ziemlich rasch von Videopersönlichkeiten abgelöst. Diese bekamen plötzlich wesentlich mehr Aufmerksamkeit als die klassischen SpieleautorInnen, hatten jedoch im Regelfall kaum bis keine journalistische Ausbildung und auch keine Redaktion als Regulativ hinter sich. Es kam, wie es kommen musste: Youtuber machten ihr Ding, wie es ihnen gerade als richtig erschienen ist. Spiele wurden auf Youtube – querbeet - wahlweise gespielt, Podcast-mäßig besprochen, oder aber ausführlich rezensiert.

Ein kritischer, aber auch selbstgerechter Moderator, der es gewohnt war, zu monologisieren

TotalBiscuit entschied sich vorrangig für die dritte Variante: Vor allem sein Format „WTF is ...“ wurde innerhalb weniger Monate zu einer einflussreichen und mitunter von EntwicklerInnen gefürchteten Rubrik, die über finanziellen Erfolg oder Misserfolg eines Spieles entscheiden konnte. Die Formate waren zwar neu, aber John Bain war dabei der, der er immer war: Ein kritischer, aber auch selbstgerechter Moderator, der es gewohnt war, zu monologisieren und sich emotional in einzelne Details und Aspekte zu vertiefen.

Was er dabei womöglich selbst übersehen hat: Die Umstände hatten sich stark verändert. Wo beim Kommentieren von „Starcraft“-Partien Humor, Überdrehtheit und Selbstironie bei ihm an der Tagesordnung standen, war beim Auseinandernehmen von neu erschienenen Spielen in erster Linie seine unnachgiebige, oft geschmäcklerische Kritik vorherrschend. Das Format dieser Rezensionen war vom Autor frei gewählt; ebenso wurden die dahinter stehenden ethischen Grundsätze, nach denen diese Videos erstellt und die besprochenen Produkte bewertet wurden, anhand persönlicher Vorlieben und Werte individuell entworfen.

Erste Hürde: Vom Geek zum Star in zu kurzer Zeit

Nochmal zwei Jahre später war John „TotalBiscuit“ Bain ohne Zweifel ein Superstar innerhalb der Games-Medien und teils auch darüber hinaus. Der Name war zur Marke geworden, der Mann für viele junge SpielerInnen zu einer Galionsfigur „ihres“ Hobbies. Die Unnachgiebigkeit und die Ernsthaftigkeit, mit der Bain auftrat, waren dabei für viele ein Indikator für Integrität. Was TotalBiscuit sagte, hatte Gewicht – nicht nur inhaltlich, sondern auch moralisch. Gleichzeitig drohte der Mensch hinter der Marke immer mehr selbst von diesem Gewicht erdrückt zu werden. Seine oft unbeholfene, aggressiv-untergriffige Art, mit negativer Kritik umzugehen und sich in Diskussionen zu Wort zu melden, ließ ihn einerseits nach außen dünnhäutig erscheinen, und nagte andererseits nach innen an seiner psychischen Stabilität. Bain manövrierte sich immer wieder in Kontroversen hinein, deren Mittelpunkt er vielleicht gar nicht immer werden wollte, wo es aber seine Mentalität gewissermaßen nicht anders zugelassen hat.

Erfolgreiche Youtuber – und viele ihrer Krisen und Skandälchen weisen immer wieder darauf hin, dass einen nichts und niemand auf die negativen Seiten des Internet-Startums vorbereiten kann. Gerade dann, wenn dieses Startum - wie es oft der Fall ist – so schnell kommt, dass für eine entsprechende mentale Vorbereitung kaum Zeit bleibt.

Zweite Hürde: Die klassischen Medien als Feindbild

Soviel man auch erlebt und sich weiterentwickelt: Man bleibt in den meisten Aspekten letztlich immer die Person, die man war und ist. So war es auch schwierig bis unmöglich, die Persönlichkeit TotalBiscuit mit Hilfe eines professionellen Management-Teams zu zähmen – noch dazu, wo der Erfolg von Personalities ja seit jeher durch ihre Authentizität gewährleistet wird. Die Katze war aber ohnehin aus dem Sack und der oft bemühte Spruch, dass man jemanden nur hassen oder lieben könnte, war John Bain bereits längst zuteil geworden. Doch der Höhepunkt der Ambivalenz stand noch bevor: die berüchtigte Gamergame-Krise aus den Jahren 2014 und 2015, in der sich Bain nun ideologisch und diplomatisch komplett verzettelte. Wo aufgrund des großen Einflusses, den der Name TotalBiscuit mittlerweile längst mit sich brachte, Verantwortung und behutsam gesetzte Wortmeldungen angebracht gewesen wären, hat der Mann stattdessen schonungslos Schaum geschlagen.

Vermutlich gut gemeinte Vermittlungsversuche zwischen zwei komplett konträren Gruppen (wobei die Fraktion Gamergate ja keinerlei Konsens suchte, im Gegenteil), waren nicht nur fruchtlos, sondern letztlich vor allem für Bain fatal. Meinungen und teils auch persönliche Angriffe, wie üblich wortgewaltig vorgetragen, waren dabei dann der Sargnagel und haben dafür gesorgt, dass sich TotalBiscuit als Name, Marke und Person für viele SpielerInnen, MedienvertreterInnen und BeobachterInnen fortan komplett ins Out manövriert hat.

Dabei ging es ihm doch nur um Ethik im Gamesjournalismus, würde die süffisante Punchline an dieser Stelle nun heißen. Tatsächlich stand John Bain aufgrund seiner Videospielleidenschaft den „klassischen“ Medien immer skeptisch gegenüber. Bereits in einem Vortrag über den Erfolg von „World of Warcraft“ aus dem Jahr 2006 zeigt er seine stark defensive und hochgradig frustrierte Haltung gegenüber der „Mainstream-Presse“.

Damals war diese Kritik auch grundsätzlich gerechtfertigt: Die Kompetenz für Videospielkultur war unter JournalistInnen der Publikumsmedien noch schwach ausgeprägt, was für viele fragwürdige Analysen und Skandalmeldungen gesorgt hat. Doch jede Journalistin und jeder Journalist mit viel Games-Erfahrung weiß, dass auf diese berechtigte Kritik die eigene Emanzipation folgen muss. Denn selbstverständlich ist kein Medium ohne Grundsatzkritik, ohne Probleme, ohne größere Baustellen. Heute ist klar: Es gibt auch abseits der Parameter von Produktbesprechungen jede Menge fragwürdige Inhalte und miese (psychologische) Tricks, die SpielerInnen möglichst lange bei der Stange halten wollen. TotalBiscuit hat sich jedoch, so scheint es, schwer getan, seine prinzipielle Skepsis an den etablierten Medien – selbst gegenüber der Spielefachpresse – komplett abzulegen und den persönlichen Frust in kritische Selbstreflexion umzuwandeln.

Dritte Hürde: Krebs

Bevor die Gamergate-Wut und die vielen hässlichen Diskussionen und Bedrohungen ihren Lauf genommen haben, hat John Bain bereits davor, im April 2014, seine Darmkrebs-Diagnose öffentlich gemacht. Dieser Schicksalsschlag kann selbstverständlich nicht losgelöst von seiner Entwicklung als öffentliche Person nach dieser Zeit gemacht werden. Zusätzlich zu einer emotional überbordenden Persönlichkeit, einer zu schnellen Wandlung zum Star und einer tiefsitzenden Kränkung den klassischen Medien gegenüber, kam nun also auch noch die Information, todkrank zu sein und nur noch wenige Jahre Lebenszeit übrig zu haben. Eine ohnehin bereits schwierige öffentliche Situation wurde so von einer Herausforderung zu einem unüberwindbaren Hindernis. Interessanterweise scheint aber diese Ausweglosigkeit mehr Kraft und innere Ruhe freigesetzt zu haben. Bain wurde zum Kämpfer, war nun gezwungen, Prioritäten zu setzen und dankbar für das, was ihm gegeben wurde und geblieben ist.

Ich war und bin der Überzeugung, dass der Mann trotz einiger Griffe ins Klo kein Arschloch war, sondern vielmehr: komplett überfordert.

Als sich TotalBiscuit zur Zeit von Gamergate immer tiefer in Kontroversen und Widersprüche verstrickt hat, wollte ich mir zuerst von meiner sozialen (Online-)Kohorte nicht vorschreiben lassen, dass ich den Mann und seinen Output ab sofort nicht mehr konsumieren dürfe, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Es war nicht nur Nostalgie in Bezug auf die alten „Starcraft“-Zeiten. Ich war und bin der Überzeugung, dass der Mann trotz einiger Griffe ins Klo kein Arschloch war, sondern vielmehr komplett überfordert. Überfordert von einem Leben, das ihm im Positiven, aber zweifellos auch im Negativen einige Male vollkommen überrascht hat, und wo die Kultur der Unmittelbarkeit, die im sozialen Raum des Internet herrscht, einen ständig zu allzu schnellen Reaktionen verführt und drängt.

Ich weiß schon: Diese Analyse erklärt die Situation, entschuldigt aber nicht den Schaden, den Bain durch seine Worte angerichtet hat. Und so konnte ich den Kontext, der sich um die Marke und Person TotalBiscuit gebildet hatte, irgendwann auch für mich selbst nicht mehr ignorieren. Meine Zeit mit ihm war vorbei und ich bekam fortan nur noch die wichtigsten Meldungen über seinen gesundheitlichen Zustand mit.

Für den öffentlichen Raum der Spielkultur ist TotalBiscuits früher Tod vor allem deshalb schlimm, weil dem Mann kaum eine Chance gegeben wurde, dabei zu helfen, die immer noch bestehende ideologische Kluft innerhalb der Videospielkultur – die er leider eher vergrößert als verkleinert hat - zu schließen. Indem er die Möglichkeit bekommt, an sich zu arbeiten und klüger zu werden. Indem er sich seiner großen Verantwortung gewahr wird und wächst. Doch der Krebs hat einen Strich durch John Bains Leben und damit auch diese Hoffnung gemacht. Mach's gut, Cynical Brit. Die Möglichkeit zur kollektiven Versöhnung wird uns für immer fehlen.