The Games That Never Were: Siegbert Seelenfresser und die düsteren Abgründe der verbitterten Lande

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Stagnation, Aufgewärmtes, Sequels: Wer sagt, dass es bei Games nicht noch Platz für revolutionär Neues, für Unerwartetes, Abwegiges oder schlicht: das Unmögliche geben darf? The Games That Never Were ist ein Gedankenexperiment: Spiele, wie es sie nie gegeben hat und so auch wohl nicht geben wird. Diesmal besucht uns Valentina Hirsch aus der mittelfernen Spielezukunft- und will drüber reden.

Level 1, gegen Ende: Ich habe es fast geschafft. Ich habe hunderte Gegner überwunden, ich habe jedes Goldstück optimal investiert, ich bin ein waffenstarrender, erfahrener und ein bisschen erschöpfter Held. Nun ist es so weit: Die schweren eisenbeschlagenen Türen zur großen Halle von Burg Düstersumpf schwingen langsam auf. Fackeln beleuchten den schmierigen Boden nur notdürftig. Ein Nahkampf gegen den Endboss Siegbert Seelenfresser wird kein Spaß. Vor allem, weil die Entwickler von Angry Words hier ganze Arbeit geleistet haben. Seelenfresser ist enorm wendig: Anders als sämtliche Mobs zuvor ist er schwer berechenbar, besitzt sowohl Nah- und Fernkampffähigkeiten als auch magische Kräfte. Und er gilt als Überraschungspaket. Was er wann aus dem Hut zaubert, ist praktisch jedes Mal neu.

Der Bildschirm blinkt kurz, puh, es geht los. Nebel, Rauch, scheinbare Hitze, dramatisch erhebt sich eine Stimme aus dem Halbdunkel: „Die Essenz alles Bösen lebt hier, die Dunkelheit verschlingt alles und du kannst sie niemals besiegen!“ Ach Gott. Diese Sorte Endboss. Triefendes Pathos, schauderhaftes Geschwafel, schwachsinnige Biografie. Das müsste machbar sein - will sagen, auch ohne Schwert. Denn Wortgefechte erfreuen sich bei vielen Spielern allergrößter Beliebtheit. Seit es dieses Feature gibt, versuchen viele Studios, den Spielern mehr Freiheiten im Bereich der “Problemlösung” einzuräumen.

Aber natürlich bedeutet das nicht, dass ein Spiel mit starken MMO-Anleihen auf mächtige, seltene Waffen verzichtet. Mein Schwert ist die “Epische Gertraud”. Üblicherweise tragen Waffen Namen wie “Stich”, Bilbos Kurzschwert im Hobbit. Oder “Schlangenhauch”, wie in Bernard  Cornwells Wikinger-Saga. Das des sagenhaften britischen Königs Artus hieß Excalibur.  Ich hatte bei der Zuteilung einfach Pech und bekam eins mit beklopptem Namen - vielleicht hieß die Gattin des Schmieds so. Gegen Seelenfresser wird es trotzdem ein harter Kampf werden. Es sei denn, ich versuche ihn anders zu packen.

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SSUDADVA ist ein hochtaktisches Spiel. Es verlangt nicht nur genauesten Waffen- und Fähigkeiteneinsatz, um die durchchoreografierten Kämpfe zu bestehen. Eine bislang nie dagelassene Herausforderung sind die Wortgefechte. Sie verlangen nicht nur Witz, Schlagfertigkeit und Originalität, sondern auch ein Mindestmaß an Wissen im Bereich Märchen, Mythen, Politik und Geschichte. Die KI  reagiert enorm schnell auf den individuellen Stil des Spielers. Dabei wird Originalität höher gewertet als Grammatik. Zu oft darf man aber nicht „als“ und „wie“ verwechseln. Bewegt man sich wissenstechnisch auf dünnem Eis, kann man es mit Witz und Originalität versuchen. Wer keine umfassenden Kenntnisse im - zum Beispiel - Bereich der griechischen Mythologie besitzt, kann bluffen oder auf Zeit spielen. Die KI ist allerdings lernfähig, mit dem gleichen blöden Spruch kann man keinen Gegner mehrfach irritieren.

Bewegt man sichin den Wortgefechten wissenstechnisch auf dünnem Eis, kann man es mit Witz und Originalität versuchen. 

Ich bewege mich vorsichtig in den Thronsaal. Seelenfresser wird vermutlich sofort angreifen. Ich rechne mit kleineren Mobs, die aber unangenehm werden können, weil sie mich beschäftigt halten, während Seelen-Depp irgendwas ausheckt. Und da sind sie auch schon: Säbelzahn-Tribbles. Die haben trotz der scharfen Eckzähne einfach einen zu hohen Plüschfaktor für mich. Ich kann sie nicht einfach kleinsäbeln. Und diskutieren kann man mit denen auch nicht. Einzeller besitzen nicht gerade komplexe Kommunikationsmöglichkeiten. Alles schon versucht. Was nun? Ich weiche erstmal seitlich aus, stolpere über ein Kohlebecken und schlage auf dem schmierigen Boden auf. Ruckzuck bin ich von den Säbelzahn-Tribbles niedergerungen. Scheiße. Von piefigen Trash-Mobs niedergerungen werden ist natürlich voll uncool. Das darf ich keinesfalls in mein fertiges Review schreiben.

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Diskussions-Features in Spielen sind ja noch recht jung, etwa 15 Jahre arbeiten Entwickler nun an diesen Gameplay-Möglichkeiten. Ursprünglich nannte man das „fuzzy logic“. Eine Spiele-KI verstand nämlich lange nur „ja“ oder „nein“, auch wenn viele Entwickler etwas anderes behaupteten. Schon immer haben wir Spieler ja versucht, stupide Mechanismen auszutricksen. Das geht mit der Möglichkeit, Debatten führen zu können, natürlich sehr viel eleganter. Allerdings nicht in allen Genres gleichermaßen gut.

Dystopische Szenarien haben beispielsweise gerne irgendwelche Mutanten als Gegner. Bis vor wenigen Jahren genügte es, wenn sie maximal gruselig-glitschig aussahen und mit möglichst viel Effekt hinter der nächsten Ecke hervorsprangen - Doom lässt grüßen. Schließlich orientierten sich Videospiele sehr lange Zeit vor allem am Film. Auch Herrn Gigers Alien musste primär vor sich hinsabbern. Sicher wäre es schon damals ein interessantes Szenario gewesen, wenn das Vieh, statt sofort auf Auslöschung zu gehen, erst mal das Manifest der Aliens verlesen hätte.

Interessant wird das auch Fuzzy Logic-Prinzip genannte Feature aber vor allem da, wo es das Setting durchbricht - zumindest scheinbar. Fantasy beispielsweise. Hier bedienen sich viele Entwickler aus allen möglichen Töpfen: Mittelalter, Mythen, Märchen, etc. Aber sie halten sich nicht unbedingt an historische Tatsachen, orientieren sich selten an realen politischen Systemen und Ingame fallen natürlich auch nie Steuern auf Item-Verkäufe des Helden an. Dabei hätte man Ragnaros womöglich durch ähnliche Tricks drankriegen können wie seinerzeit Al Capone: wegen Steuerhinterziehung. Schließlich sitzt der berüchtigte WoW-Endboss auf massig Bling Bling. Natürlich ist World of Warcraft ein knapp 20 Jahre altes, und damit heute total altmodisches Rollenspiel, und Sturmwind besitzt kein Stadtparlament und keine Gerichtsbarkeit - ansonsten hätte man das ja mal probieren können.

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Zurück zu Siggi. Die Tribbles habe ich mit Fleischwurst-Ringen beschäftigt, die ich zuvor den Trash-Mobs in Massen abgenommen hatte. Mehrere Wellen von Siggis Ork-Schergen konnte ich damit beschäftigen, dass ich ihnen erzählt habe, Siggi zahle seinen Küchenhilfen mehr Sold als ihnen. Daraufhin begannen sie untereinander erregte Streitereien darüber, ob man desertieren oder Gehaltsverhandlungen führen solle. Den Riesen-Skorpionen war dagegen mit Diskussionen nicht beizukommen. Ihr Gift lähmt und ich musste sie mithilfe von Gertraud klitzeklein schneiden.

Siggi und ich sind relativ schnell in eine Diskussion über das Für und Wider der Seelenverschlingerei vertieft.

Ritualmäßig liegt am Ende eines Levelabschnitts der finale Kampf gegen den total finalen Endboss. MMO-Nerd-Wissen für Arme. Und Siegbert ist heute abend also die zu erledigende Trophäe. Man kann sich nach seinem dramatischen Auftreten mit viel Rauch und Effekten direkt in den Kampf stürzen. Ein höfliches “Lass uns reden” reicht auch keinesfalls, um den Kampf einfach so zu übergehen. Aber wem Hessi James  ein Begriff ist, der weiß, wie man so was macht. Siggi und ich sind relativ schnell in eine Diskussion über das Für und Wider der Seelenverschlingerei vertieft. Pro-Argumente sind in diesem Zusammenhang eher simpel gestrickt (“Ich tue das seit Tausenden von Jahren!”). Der Seelenfresser Siegbert hat seine inhaltlichen Ursprünge in der griechischen Mythologie. Entwickler müssen ihre Settings ja irgendwo her nehmen und ganz selten schnitzen sie sich das aus den Rippen. Siegbert ist höchlichst interessiert an der ganzen Unterwelt der griechischen Mythologie, weil er da inhaltlich andockt. Die Frage für mich ist allerdings nach wie vor: Wie komme ich hier unbeschadet wieder raus? Durch Dauerreden? Ich werde zum einen langsam müde, zum anderen geht mir das Wikipedia-Wissen aus und außerdem hat Siegbert bislang seinen laternenpfahlgroßen Thor-Hammer noch nicht aus der Hand gelegt.

Als mein Blick auf die fantasy-typisch völlig überstilisiert dargestellte Waffe fällt, fällt mir etwas ein. Die Waffe passt thematisch nicht so richtig und das sage ich ihm auch: “Hör mal, Siegbert, das Ding da stammt aus der germanischen Welt. Und demnach wärst du eher ein Wettergott. Passender - und sicher sehr viel mächtiger - wäre ein“, ich schiele auf die Wikipedia-App auf dem Handy, “Xyston, eine griechische Lanze. Das wäre, mit Verlaub, auch sehr viel eindrucksvoller.” In meinem Inventar befindet sich natürlich ein ganzer Haufen eindrucksvoller Waffen. “Warum nicht ein Tausch, Euer Schrecklichkeit? Ihr könntet mit dieser raren Lanze, deren Name Sate-Spieß aus dem Tempel des glitschigen Bodens lautet, die nach mir Folgenden der Reihe nach hübsch aufspießen!”

Um es kurz zu machen: Ich kaufe mich mit der Lanze sowie etwa 60 % meiner Waffensammlung frei und gewinne mächtige Rede-Fähigkeiten dazu. Dafür ist mein hochrangiges Equipment aus vielen epischen Schlachten passé - in der Richtung bin ich nun nur noch Mittelmaß. Aber eine Schlägerei kann ich ja das nächste Mal wieder führen.

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Nachbemerkung:

Die meisten Spiele sind ja strukturell humorfrei. Das ist auch über weite Teile unterschiedlicher Genres so - ausgenommen vielleicht oldschoolige Point'Click Adventures. Sicher gibt es positive Ausnahmen, humorseitig. Fable 3 zum Beispiel: Da finden sich wirklich sehr witzige Dialoge, die auch mal querschießen, aber trotzdem in das Fantasy-/Historien-Setting passen. Auch World of Warcraft hat schon erheiternde (Quest-) Momente, die Autoren nehmen vergleichsweise einen ganz guten Weg. Aber vor allem Action-Adventures, Shooter und auch MMOs nehmen sich oft albern ernst.

Ich schwöre, ich würde Endbosse ins Koma diskutieren.

Manchmal möchte ich als Spieler ganz dringend in die Haut eines "Helden" schlüpfen, der außer einer (selbstverständlich) anständigen Wumme auch die Waffe des Wortes nutzen darf. Mit möglichst viel Humor. Ich schwöre, ich würde Endbosse ins Koma diskutieren. Selbstverständlich würde ich sie erschießen/erdolchen/niedermetzeln/verwamsen/schütteln, wenns nicht anders geht. Ich habe da keinerlei moralische Bedenken. Aber wenn ich nicht muss? Wenn mir irgendein Seelenräuber mit wohlfeilen Reden was von alten Göttern, Rache und Blutwurst erzählen will, dann will ich gefälligst mit einem herzhaften "Komm wieder runter, du Spannbetttuch!“ antworten können. Das tue ich im Übrigen heute schon. Nützt nur nichts. Dazu müsste nämlich eine passende KI mit hervorragenden schauspielerischen Qualitäten und Impro-Theater-Erfahrung auf der anderen Seite weilen.

Vielleicht kennt jemand dieses Doom-Review von 1994 in der Edge, das mit den Worten schloss:  

"lf only you could talk to these creatures, then perhaps you could try and make friends with them, form alliances… Now, that would be interesting."

Dafür musste sich der Autor seinerzeit (und auch später) viel Spott anhören. Shitstorm würde man das heute vielleicht nennen. Vermutlich hielten ihn viele Leser für völlig naiv. Dabei diskutiert man doch auch bei Filmen und Büchern (ja ja, alle guten Vergleich hinken) deren Story und ob der Autor bzw. die Autoren sich beispielsweise (wie in Lost) völlig verzettelt haben. Diese Aussage aus dem zwanzig Jahre alten Doom-Review der Edge taucht seitdem immer mal wieder auf. Und zwar immer dann, wenn Spiele dafür kritisiert werden, dass sie etwas nicht können, was sie nicht im Entferntesten anstreben. Oder auch als Beispiel für abgehobene, bizarre  Ansprüche.

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Vermutlich ist, was ich mir wünsche, technisch vollkommen... nun, schwierig. Sicher hat das Grenzen, sonst wäre es schließlich Magie. Aber: Schon in Monkey Island (1990) konnte man sich mit Worten duellieren. Hallo? Geht doch! Sicher könnte man heute, fast ein Vierteljahrhundert später, erwarten, dass man mehr mit diesen Möglichkeit spielt. Da muss doch technologisch inzwischen noch sehr viel mehr gehen.

Ich stampfe also hier symbolisch mit dem Fuß auf und fordere, dass mal ein Entwickler-Team etwas schafft, wie in Tad Williams großartiger Roman-Quadrologie "Otherland". Dort gehen die Protagonisten auf eine Reise ins Netz, in virtuelle historische Szenarien und Fantasy-Welten und müssen da mit ihrem Alltagswissen zurechtkommen. Die Jungs, die sonst mächtige Barbaren-Krieger in MMOs spielen, stehen nun auf einmal vor Agamemnon und müssen sehen, wie sie mit den Konflikten dieser archaischen Welt klarkommen. Und im Roman können sie im Netz auch sterben… Was ich wiederum für kein erstrebenswertes Feature halte, aber wir reden ja über eine Geschichte. Großartiges Buch, ganz nebenbei.

Es gibt inzwischen sogar auch ein Otherland-MMO. Ich habe es mir nie angesehen und verspüre keinerlei Versuchung, es zu spielen. Ich glaube, nichts Programmiertes kann mit dem Kopfkino beim Bücherlesen mithalten. Da müssen noch viele Codezeilen handgeklöppelt werden, bevor jemals ein Spiel soviel Faszination und Eintauchen in fremde Welten ermöglicht, wie es Bücher tun können.

Mögt ihr Hardcore-Gamer auch jetzt noch so laut „Du hast ja keine Ahnung, ich hab neulich erst bei Gears of War vor Rührung geweint“ schreien: Die Welten, die das Medium Spiele eröffnen, sind andere. Und das ist auch gar nicht schlimm.

 
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