3x Multiple Choice - Erzählen und Entscheiden

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Narration versus Gameplay, Erzählen versus Erleben, Narratologen versus Ludologen - es ist so etwas wie die älteste akademische Fehde der Game Studies, und ich selber finde mich, je mehr ich darüber nachdenke, immer weniger darin zurecht. Dem Erzählen habe ich jahrelang die Treue gehalten, in den letzten Jahren zog es mich eher Richtung Gameplay, und jetzt, anlässlich dreier ganz unterschiedlicher kleiner Beispiele, betört mich wieder die Macht des Erzählens, die Suche nach der Antwort auf eine Frage - das, was Neil Gaiman, im Vorwort zu Stories so treffend the four words nannte:

“…and then what happened?” The four words that children ask, when you pause, telling them a story. The four words you hear at the end of a chapter. The four words, spoken or unspoken, that show you, as a storyteller, that people care. The joy of fiction, for some of us, is the joy of the imagination, set free from the world and able to imagine.
 
Spiele, als interaktive Medien, erlauben uns nun bekanntlich, nicht nur gebannt zuzuhören, wie es denn weitergeht, sondern selbst zu entscheiden - und das hoffentlich, um mit Sid Meier zu sprechen, auf interessante Art und Weise. Im Folgenden dreimal die Freude am Erzählen und Entscheiden - am Erzählen durch Entscheidungen, jedes Mal anders. Keine Reviews, und auch keine vollständigen Analysen, sondern drei kurze Umkreisungen: The Yawhg, Save The Date und das große Kentucky Route Zero.
882I.
 
The Yawhg ist ein seltsames Spiel: Am besten zu viert in geselliger Runde zu spielen, erinnert es mit seinen Figuren und dem statischen Spielfeld an ein Brettspiel. Sechs Mal darf jeder Spieler (oder eben auch ein einzelner Spieler, der zwei bis vier der Rollen übernimmt) abwechselnd auf einem Feld der Stadt etwas unternehmen. Im Wald - holzfällen oder jagen; in den Slums - stehlen oder Verbrecher jagen; in der Arena - kämpfen oder wetten etc. Hierbei kommt es zu zufälligen Ereignissen, die wir meistern können oder auch nicht und die sich positiv oder negativ auf die Charakterwerte auswirken. Nach sechs Runden erscheint der "Yawhg", ein niemals näher beschriebenes Monstrum, und legt die Stadt in Schutt und Asche, und jeder unserer Charaktere kann sich seinen Fähigkeiten gemäß am Wiederaufbau beteiligen. Am Ende wird die Lebensgeschichte unseres Helden fertig erzählt.
 
The Yawhg errichtet ein beeindruckend dichtes erzählerisches Labyrinth aus Entweder-Oder-Fragen und  spinnt daraus seine Geschichte weiter. Wer in den Slums von der Vampirlady gebissen wird, entwickelt sich, wenn er denn in der Zeit nach dem Yawhg zum Anführer aufsteigt, zum charismatischen Blutsaugerkönig; wer zu Beginn des Spiels Blutegel freilässt, findet sie in der gesamten Spielzeit in der Stadt wieder; wer einer Waldnymphe aus Ungeschicklichkeit beim Tanzen auf die Zehen steigt, treibt die Frustrierte in die Stadt und somit einem wütenden Mob in die Arme. Die wenigen Beispiele - und es gibt wirklich, wirklich viele solcher kleinen Ereignisse - zeigen schon, wie einfach spannendes Erzählen sein könnte, wenn man es mit einem aus dem Rollenspiel bekannten Charaktereigenschaftssystem verbindet, das zusätzlich Einfluss nimmt: Aus wenigen Einzelentscheidungen entstehen so gemeinsam mit unseren Eigenschaften für jeden Spieler eigene Lebensgeschichten, die wir am Ende als geglückt oder vertan einordnen. The Yawhg ist vielleicht das seltsamste Spiel in diesem seltsamen Trio: Multiple Choice als zugespitztes Curriculum vitae - fast wie in Alter Ego.
 

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II.
 
Save the Date treibt die Multiple-Choice-Auswahl als Spielelement in Bereiche vor, die man schon respektvoll als Metakommentare aufs Gaming selbst bezeichnen müsste. Ohne zu spoilern, eine kurze Beschreibung: Wir wollen auf ein Date gehen, und vom ersten Läuten des Handys müssen wir uns entscheiden: Zum Thai oder auf einen Burger? Setzen wir uns auf den Balkon oder ins Innere? Fragen wir unser Date nach ihrem Vater oder nicht? Zur Rettung unseres Dates braucht es allerdings mehr als nur die richtige Entscheidung. Ich rate wirklich jedem, dem Freewarespiel eine Chance zu geben: So intelligent wurde man selten unterhalten.
 
Wie in The Yawhg ergeben sich hier viele Pfade, die sich durch wiederholtes Spielen - Spoilerchen - und Versagen erweitern, bis wir in einem Spiegellabyrinth stehen, in dem wir unseren eigenen Fußspuren folgen. Die clevere Selbstreflexion des Spiels, der Spielfiguren und unserer Rolle als Spieler selbst reicht tatsächlich über die dürre Multiple-Choice-Mechanik hinaus - mehr soll hier nun allerdings wirklich nicht verraten werden. Wer im Labyrinth der Entscheidungen von The Stanley Parable vom Selbstbewusstsein des Spiels begeistert war, wird mit Save The Date seine helle Freude haben - und kann hier tatsächlich einer Erzählung dabei zusehen, wie sie sich in allen Möglichkeitsformen und Entscheidungsmöglichkeiten windet.
 
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III.
 
Ein klassisches Adventure bietet streng genommen kaum Möglichkeiten zur Entscheidung - Rätsel lassen sich auf eine einzige Art lösen, alles andere sind Sackgassen. Kentucky Route Zero, dessen zweite Episode gerade erschienen ist, tut aber ohnedies nur so, als wäre es ein Adventure - in Wirklichkeit ist das atmosphärisch faszinierende Stück interaktive Fiktion ein Spiel mit der Erwartungshaltung des Spielers, das nonchalant Perspektiven wechselt und seine an den magischen Realismus erinnernde Unwirklichkeit aus der ungenierten, aber unerhörten Freiheit bezieht, den Spieler in Multiple-Choice-Entscheidungen gleich die Geschichte selbst erzählen zu lassem, statt sie auf einem einzigen Pfad voranzutreiben.
 
In Teil 1 konnte man sich in den trügerisch bekannten Multiple-Choice-Dialogen unter anderem clever mit sich selbst unterhalten - sowohl die Fragen Conways als auch die Antworten Shannons durfte der Spieler wie ein Theaterregisseur selbst auswählen -, in Episode zwei folgen noch mehr dieser eigentümlichen Strategien. Statt selbst zu entscheiden, wählen wir aus, was Zeugen unseres auf dem Bildschirm sichtbaren Treibens später zu Protokoll geben; im Wald verschwimmen nicht nur Raum und Zeit, sondern auch das Schicksal des kleinen Ezra wird im Monolog mit dem Hund wahlweise zur belanglosen Kindheitserinnerung oder zum düsteren Trauma. 
 
Nicht KRZ erzählt hier, sondern wir selber entscheiden über unsere Figur - ob Conways Bruder pensioniert oder ein Banker ist, entscheiden wir durch eine Dialogwahl. Diese Unbestimmtheit ergibt gemeinsam mit der mystischen Americana-Atmosphäre à la David Lynch eine Erzählung, die förmlich zwischen den möglichen Varianten vibriert - ein Wiederspielen ist also allein aus purer Neugier, was man durch seine Entscheidung versäumt hat, angesagt. "Entscheidung ist ein Massenmord an Möglichkeiten", wie Rainald Grebe kalauert - in KRZ sind sie der Grund für die traumhaft- schwebende Unbestimmtheit, die den Reiz des Spiels ausmacht.
 
Dreimal Erzählen durch Entscheidungen also, und dreimal cleveres Unterlaufen der Traditionen - es sind gerade spannende Zeiten für Freunde der Narration im Spiel. Aber mal ehrlich: In Wirklichkeit wollen wir doch sowieso beides, Erzählen und Erleben, Narration und Gameplay. Und für Kreuzungsvarianten jedes Mischverhältnisses ist möglicherweise in strengen akademischen Revierfehden zu wenig, in den Games selbst aber garantiert genug Platz.
 
 
 
 
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