The Very Last of Us
The Last of Us ist toll. Und zugleich ist es eine Enttäuschung. Denn so atmosphärisch, cinematisch und mitreißend es auch ist: Es verkörpert keine mögliche Zukunft des Spielens, sondern eine Vergangenheit, die sich schon genauso lange festkrallt wie die laufende Konsolengeneration.
Allein darin hat es Gemeinsamkeiten mit einem anderen großen Titel des Jahres, deshalb erinnern wir uns kurz an Infinite und seine Rezeption zurück. (By the way: Dass uns das alles jetzt schon wieder vorkommt, als wäre es vor hundert Jahren passiert, ist eigentlich der erschütternde Beweis dafür, dass die Branche, der Diskurs und auch die Spieler in einem kurzlebigen, nervösen Zwang zum Dauerkonsum samt Wegwerfmentalität feststecken. Aber das ist eine andere Baustelle.)
Erinnern wir uns also an Infinite: Nach Jahren von Preview-Hype und großem Marketinggetrommel erscheint Ken Levines Wolkenschloss-Shooter zum Klang hymnischer Reviews. Alle, wirklich alle großen und namhaften Games-Seiten und -Magazine feiern das Spiel als grandiosen, großen Wurf. Doch dann passiert etwas Bemerkenswertes: Es vergehen eine, zwei Wochen - und des Kaisers neue Kleider werden ausgelacht. Unmittelbar nach dem Abflauen der ersten Begeisterung folgt schwerwiegende und durchaus reflektierte Kritik.
Plötzlich fällt auf: Gameplay und Story vertragen sich nicht. Die Gewalt ist Selbstzweck und unreflektiert. Rassismus, Geschichte und religiöser Fanatismus sind nur aufgeklebte Tapeten, mehr noch: Bioshock Infinite schrammt selbst am Rassismus entlang. Joe hat in seinem Artikel die Hauptpunkte der Kritik am wenige Wochen zuvor noch überall einhellig gefeierten Infinite zusammengefasst.
Wieso wird der Disconnect zwischen Gameplay, Story und Atmosphäre im ersten Überschwang einfach hingenommen?
Da drängen sich doch mehrere Fragen auf: Welchen Sinn hat ein Day-0-Testjournalismus, wenn er die nachfolgende berechtigte Kritik nicht selbst zu äußern imstande ist? Warum dürfen sich auch oder ausgerechnet Hochglanzprodukte derartig offensichtliche Schwächen leisten - ich spreche hier zB von Infinites offenkundig problematischer Gewaltfixierung - und diese wird zum Launch nirgends thematisiert? Wie kann es sein, dass der Disconnect zwischen Gameplay, Story und Atmosphäre im ersten Überschwang von der gesamten Presse achselzuckend hingenommen wird?
Ein Blick auf Metacritic zeigt bezeichnenderweise, dass die Kritiken, die um den Tag der Veröffentlichung erschienen sind, fast ausschließlich Lobeshymnen sind, während etwa Game Critics fast zwei Wochen nach Launch erschienene Review im Unterschied zu den Vorkritikern durchaus nüchtern urteilt:
Fuzzy-headed narrative and thematically irrelevant auxiliary mechanics make Infinite feel sloppy even when it's working. Combat increases in frequency and decreases in impact after the Hall of Heroes, so for most of its length the game sinks towards a deflated ending rather than rising towards a climax. However, that slow descent starts from a great height, so there is still much to value in Infinite even as it drowns in its own shortcomings.
Die möglichen Antworten auf die oben gestellten Fragen berühren einige zentrale Punkte in Bezug auf die Spiele selbst, aber auch das Verhältnis der Kritik und der Konsumenten zu ihrem Medium und zu ihrer Industrie. Die sich aufdrängenden Antworten mag man sich selbst überlegen - von Doritogate bis zur verzweifelten Jagd nach Aktualität und Clicks reicht die Palette der legitimen Antworten, und auch die schon ermüdende ewige Suche nach dem "Citizen Kane of Gaming" hat etwas damit zu tun.
Interessanter als die sich - eben - aufdrängenden Antworten auf diese Fragen scheint mir die Voraussage zu sein, dass sich für Last of Us Ähnliches ankündigt - und das nicht zu Unrecht. Es gibt eindeutige Parallelen. Auch Last of Us wurde nach aufwendigem Preview-Zirkus und PR-Bombardement hymnisch besprochen. Die Begeisterung über Naughty Dogs neue Franchise und die Hochglanzqualitäten der Twilight Years der auslaufenden Konsolengeneration schlägt sich in begeisterten Reviews nieder.
Bei so viel Begeisterung kommt die Kritik schon mal zu kurz. Denn bei aller Freude, und bei aller Anerkennung, dass The Last of Us wirklich außerordentlich gut gelungen ist: Es liegt durchaus auch einiges im Argen. Das betrifft vor allem die weit aufklaffende Lücke zwischen grandios atmosphärischem Setting und Gameplay, aber - wie in letzter Zeit bei allen AAA-Titeln zu bemerken - das problematische Verhältnis zur Gewalt.
Das Gameplay kann mit der Fantasie und Faszination des Settings nicht mithalten.
Denn kaum ein Wort wird in den jubelnden Kritiken zur selbstverständlich aus Uncharted übernommenen und inzwischen schon gar arg langweilig gewordenen Covershooter-Mechanik geäußert, die uns - schon wieder - dutzendfach gegen Männer mit Knarren anballern lässt. Auch die Puzzle-Elemente, die zum Großteil darin bestehen, Leitern und Planken herumzuschleppen, können kaum als inspiriert angesehen werden. Die Schleichpassagen sind spannend, werden durch den Lauschmodus aber eigentlich höchst unatmosphärisch zu fast mechanisch ablaufenden Pflichtübungen. Kurz: Wie in Infinite dient eine perfekt und beeindruckend realisierte Umgebung letztlich als Schauplatz für hundertfach abgelutschtes Gameplay, das, sagen wir es offen, mit der Fantasie und Faszination des Settings nicht mithalten kann.
Stillschweigend wird auch hingenommen und unhinterfragt akzeptiert, dass es mit der Wahl des postapokalyptischen Settings eben absichtlich und selbstverständlich besonders "hart" zugehen muss - wie schon in Tomb Raider werden auch in Last of Us ein Mangel an Humor und Leichenberge mit "erwachsenem" Anspruch gleichgesetzt. (Eine Szene, die sich mir besonders negativ eingeprägt hat, soll bereits zu Beginn die "Härte" unterstreichen: Wie Tess den gefangengenommenen und wehrlosen Robert achtlos per Kopfschuss exekutiert, ist nicht durch Setting oder Story-Entwicklung zu rechtfertigen, sondern schlicht gratuitous violence.)
Was tun wir als Spieler in den beeindruckend überwucherten Ruinen der Zivilisation, im Luftschloss über den Wolken? Womit verbringen wir die zehn, zwölf Stunden Spielzeit? Wir killen us so durch, hanteln uns in spielerisch soliden, aber letztlich uninspirierten Gameplay-Episoden von Storyhappen zu Storyhappen weiter, schleppen in unsinnigen Puzzle-Einsprengseln Leitern durch die Gegend und drücken in QTEs wie Laboräffchen auf die aufpoppenden Knöpfchen. Bezeichnenderweise werden denn auch von einigen Kritikern die "ruhigen" Momente von Last of Us als die große Stärke des Spiels erkannt - jene Momente, in denen das Gameplay der Atmosphäre nicht im Weg steht. Denn zugegeben, die Atmosphäre ist beeindruckend. Auch die NPCs, hier Elizabeth, da Ellie, sind beeindruckende Schauspieler, die linear und nicht beeinflussbar ablaufende Story ist spannend, klar, aber: Ist das jetzt wirklich der Gipfelpunkt eines interaktiven Mediums, das irgendwie dem Erwartungsdruck standhalten muss, das wichtigste des 21. Jahrhunderts zu werden?
Ist das wirklich der Gipfelpunkt eines interaktiven Mediums, das das wichtigste des 21. Jahrhunderts werden soll?
Das führt zu einer anders gearteten Frage: Ist es ungerecht, von den mit Millionenbudgets auf Hochglanz polierten Titeln MEHR zu erwarten als "nur" Hochglanzunterhaltung? Mit anderen Worten: Erwarten wir ungerechterweise zu viel von unserem Medium?
Ich glaube nicht. Vielleicht aber suchen wir in ungeduldigem Optimismus an der falschen Stelle. Es ist vielleicht gerade der Fluch jener Hochglanztitel, sich im Spagat zwischen PR-Hype und Hochglanzanspruch aufzureiben und den medial geschürten Erwartungsdruck nur oberflächlich befriedigen zu können. Ganz sicher sind AAA-Vehikel der grundfalsche Ort, um nach Fortschritt, Großtaten oder Visionen im Medium zu suchen; wie riesige, schwerfällige Kolosse wuchten sie sich mit dem Ballast aller Multimillionen-Dollar-Unternehmen dahin.
Die spannenden Spiele, die Vorhut, die Späher ins Spielen der Zukunft sind klein, flink und ambitioniert. Kein SimCity kann so aberwitzig komplex werden wie ein Dwarf Fortress; kein Call of Duty darf so hintergründig sein wie The Stanley Parable; kein 60-Dollar-Hochglanztitel darf sich die puren Freuden des Masochismus so offen auf die Fahnen schreiben wie Teleglitch, Super Meat Boy oder IWBTG. (Außer Dark Souls. Aber das ist ohnedies ein Ausnahmetitel, der Last of Us und Infinite turmhoch überragt.)
Hochglanzmonolithen wie Last of Us versuchen sich stets an einer möglichst perfekten Konsolidierung des bereits Bekannten, Vertrauten. So gesehen müssen sie eher rückwärtsgerichtet sein, was sie in vielen Fällen beeindruckend, aber dadurch auch wieder enttäuschend macht.
Kurz: Es ist wichtig, dass neben der Anerkennung - ja, Infinite und Last of Us sind große Kaliber, wichtige Titel im Medium, beeindruckende Spiele - auch immer wieder unsere Unzufriedenheit zu Wort kommt. Denn irgendwie wissen wir: Das geht noch besser.