... und der Tempel des Todes

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Alle tun es, keiner spricht darüber - aber hiermit hat das Schweigen ein Ende. Vier Betroffene berichten von ihrer persönlichen Beziehung zu einem Spiel, das durch die 'Daily Challenge' einen sozialen Aspekt dazugewonnen hat. Wir finden: Spelunky ist jetzt schon ein Klassiker des Gamedesigns.

Vier Blickwinkel auf ein Spiel, vier Texte, vier Spelunky-Opfer ... und der Tempel des Todes.

Robert Glashüttner ...

Würde ich nicht ständig Spelunky spielen, würde es mich nerven, dass alle anderen ständig Spelunky spielen. Warum das vor kurzem plötzlich in dieser Intensität begonnen hat, weiß niemand so recht. Das Spiel ist ursprünglich aus 2009, in der optisch überarbeiteten Version vor einem Jahr für die Xbox 360 erschienen und ja, seit Anfang August gibt's diese 2.0-Version nun auch für Steam. Schon im Vorfeld war die Gaming-Twitteria ganz aus dem Häuschen, niemand konnte den 8. August abwarten. Liegt's vielleicht daran, dass "kleine" Spiele, also Indie-Games, mittlerweile als gleichwertiger Zeitvertreib zu den sogenannten Triple-A-Titeln akzeptiert werden? Noch vor zwei, drei Jahren war iOS als Gaming-Plattform medial quasi nicht existent und unabhängig entwickelte Spiele wurden auf Flash-Portalen und in Communities wie TIGSource ausgelagert. Sie waren quasi "Special Interest". Dann kamen das iPad und Game Center in Fahrt, Edmund McMillen, Phil Fish und noch einige andere wurden zu Stars, die man plötzlich auch als GameStar- und PC Action-Leser kannte.

Die Erkenntnis, dass ein eigentlich ziemlich eingeschränkter virtueller Raum so viel Möglichkeit für Tiefgang erlaubt, ist faszinierend.

Mir persönlich kommt diese Entwicklung sehr entgegen, denn es entspricht meinen privaten Spielgewohnheiten. Mit der Ausnahme der StarCraft-Reihe habe ich mich in keine große Games-Serie so sehr reingefuchst wie in die vermeintlichen Nebenher-Spielchen. Reduktion in Regelwerk und Darstellung, ein simples Interface und die Möglichkeit, in kurzer Zeit viele Runden spielen zu können: Das ist die ideale Mischung, die mich bei Games an der kurzen Leine hält. Die durch Spielerfahrung stetig wachsende Erkenntnis, dass ein eigentlich ziemlich eingeschränkter virtueller Raum so viel Möglichkeit für Tiefgang erlaubt, ist faszinierend und motivierend. So war und ist das etwa mit meinem langjährigen Faible für Pac-Man (manche erinnern sich womöglich noch an die Weltmeisterschaft 2007) und mit der andauernden Passion für die täglichen Läufe in 1000 Heroz (mittlerweile schon über zwei Jahre durchgehend). 

Nun habe ich auch schon über 40 Stunden im Steam-Spelunky verbracht, dem neuen Spelunky also, das sich innerhalb weniger Wochen in einer erfreulichen Selbstverständlichkeit zu einem neuen Sport, einer täglichen Herausforderung, einem digitalen Reibebaum für viele gemausert hat und zumindest für mich schon jetzt zur kleinen Riege meiner am meisten gespielten Games überhaupt gehört. Warum Spelunky inhaltlich so gut und außergewöhnlich ist, darüber wurde ja schon viel geschrieben. Das wisst ihr, die ihr hier lest, ohnehin schon längst. Falls nicht: Hier ist eine wunderbar treffende Beschreibung der Magie von Spelunky. Felix Knoke hat auf fm4.ORF.at schon sehr früh - im Februar 2009, als gerade mal die Beta der Ur-Version verfügbar war - Spelunky als das enttarnt, was es fast fünf Jahre später endgültig werden sollte: ein zeitloser Computerspielklassiker.

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Franziska Bechtold ...
 
Spelunky, Tag 4, Spiel 4242 (gefühlt): Tod durch Spinnenbiss.
Ich mag keine Spinnen. Wer mich schon einmal in Konfrontation mit einer gesehen hat, weiß, was das bedeutet: hyperventilieren und so. Spelunky birgt einige von diesen Biestern. Sie lauern an jeder Decke und lassen sich ganz widerwärtig auf mich fallen. Und manche sind riesig. Die bezwinge ich schon deshalb nie, weil ich Angst vor ihnen habe. Bäh! Dann nehme ich es doch lieber mit Fledermäusen und Schlangen auf. Die töten mich zwar auch, aber wenigstens krabbeln sie dabei nicht so eklig. Flattern und Kriechen geht. 

Es gibt so viele andere Arten zu sterben. Beispielsweise, indem ich einen Stein werfe und dieser mich dann am Kopf trifft. 

Selbst nach dem Spielfiguren-Tod kann ich die Spinnen noch über dem leblosen Kadaver meines drolligen Indiana-Jones-Verschnitt-Characters wie zum Hohn hüpfen sehen.  Aber, ach, es gibt ja noch so viele andere Arten zu sterben in Spelunky. Beispielsweise, indem ich einen Stein werfe und dieser mich dann am Kopf trifft. Erniedrigender geht es kaum, bezwungen von der eigenen Dummheit. Oder dem eigenen Hochmut. Da denke ich, ich kenne eine Welt und dann falle ich doch wieder irgendwo hinunter und werde aufgespießt. Toll. 

Ich spiele nun seit vier Tagen (nein, nicht durchgehend) und eigentlich kenne ich die erste Spielwelt, die Höhle, inzwischen ganz gut. Kaum betrete ich aber den Dschungel, ist plötzlich alles neu, voll von unbekannten Gegnern und ständig werde ich von Affen angesprungen (kleine Affen sind mir generell suspekt, die sind immer so garstig). Dann geht es wieder von vorne los: Ich muss differenzieren, welche Frösche explodieren und welche mich nur anspringen, lernen wie ich das rasende Männlein austrickse und dass ich NICHT auf die Pflanze springen darf, weil sie mich sonst frisst. 

Fast schon ein Albtraum sind die Level, in denen alles stockduster ist und ich mich an einen winzigen Lichtkegel klammere. Da sieht man die Spinnen nicht mal vorher, sie kommen einfach aus dem Nichts. Das geht doch nicht... Ein einziger Lernprozess ist dieses Spiel und man könnte fast meinen, ich mag es nicht. Ich mag es auch nicht. Aber ich werde besser, ich kämpfe mich durch und dafür liebe ich es gleichsam. Es fordert meinen Ehrgeiz heraus, indem es mir zeigt, dass ich es besiegen kann, wenn ich nur gut genug bin. Es tritt mich einen Abgrund hinab und hilft mir wieder auf, weil es vielleicht gerade dort die Damsel platziert, die auf ihre Errettung wartet. 

Spelunky ist eine Bitch, aber nie unfair oder demotivierend - ganz gegenteilig ertappe ich mich regelmäßig dabei, in Gedanken den Satz "nur noch ein Versuch..." zu sagen. Ich bin lange nicht mehr so gerne in einem Spiel gestorben - trotz Spinnen. 

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Joe Köller ...

Erwarten Sie heftige Schusswechsel in diesen Höhlen?”, fragt Superheldenausstatter Lucius Fox in Batman Begins höhnisch, als Bruce Wayne sich einen Kampfanzugsprototypen unter dem Vorwand der Höhlenforschung ausborgen will. Den würde ich mir aber für Spelunky auch wünschen, denn in seinen Höhlen finden tatsächlich heftige Schusswechsel statt, wenigstens wenn ich es spiele, und das hilfreiche Zubehör muss erst von den zwielichtigen Inhabern einer unterirdischen Ladenkette erbeutet werden. Einer Untergrundorganisation, im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich habe mir sagen lassen, das ginge auch friedlich, sie würden einem dringend benötigte Ausrüstung zu Wucherpreisen verkaufen. Für mich ist das keine Option. Mit Diebstahl und Terrorismus hat das, entgegen ihrem Gebrüll, nichts zu tun. Viel mehr mit dem Ausräuchern einer organisierten Verbrecherbande. Es hat schon einen Grund, warum sich die Schurken nicht an die Oberfläche trauen, einen ganzen Schwarzmarkt halten sie hier unten versteckt: Prostitution, Waffen- und Menschenhandel. Und so einen Verein soll ich mit meinem mühsam erworbenen Gold am Leben erhalten? Lieber bringe ich den schießwütigen Sklaventreibern Tod und Verderben, oder sterbe selber bei dem Versuch. Option 2 hat sich als wahrscheinlicher erwiesen.

Triumph über Mechanik und Inhalt geht vor das “Schlagen” des Gegenübers.

Normalerweise mache ich mir nicht besonders viel aus Wettbewerb in Spielen. Erfolg verliert schnell den Reiz, wenn einem bewusst wird woraus der freudige Fortschritt besteht: Aus dem inhaltsleeren, kontextlosen Wachstum von Zahlen. Irgendeiner Statistik über Punkte contra Tode, oder gesammelten Unsinn. Der meditative Ansatz scheint aber nur selektiv anwendbar, trotz der Einsicht verliere ich auch nicht gerne, und für den Stress direkten Konkurrenzkampfs kann ich mich auch nur selten begeistern.

Damit ein Spiel in mir also Ambitionen weckt, es vollständig zu meistern, müssen zwei Kriterien erfüllt sein. Erstens treten Spieler nicht gegeneinander, sondern gegen sich selbst an. Triumph über Mechanik und Inhalt geht vor das “Schlagen” des Gegenübers. Ein Wettkampf nach oben, es gilt sich gegenseitig zu überbieten, anstatt sich fertigzumachen.

Zweitens muss die richtige Konkurrenz her, und wer könnte da besser geeignet sein als Spielejournalisten? Wir sind alle schwer beschäftigt, keiner von uns kann es sich leisten, in ein einziges Spiel tausende Stunden zu investieren, was neben dem verpflichtenden Schlafmangel und geteiltem Terminkalenderfür relativ ausgeglichene Verhältnisse sorgt. Außerdem darf man sich bei dieser Berufsgruppe auf wortgewandte Sticheleien freuen.

Aus diesem Grund habe ich meine runden 60 Sekunden auf dem ersten Schwierigkeitsgrad von Super Hexagon auch erst dann aufgebessert, als es galt einen neuen Rekord von Alan Williamson zu überbieten. Und weil jetzt alle Welt Spelunky spielt, muss ich mich mit einem perfekten Lauf in den täglichen Herausforderungen eintragen. Also wird nichts gekauft, auch wenn es leichter wäre. Geld gibt Punkte, das behalt ich lieber. Aber auf die Gegenstände kann ich auch nicht verzichten. Also muss der Überfall gelingen.

Ich meine die Razzia. Pardon.

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Rainer Sigl ...

Im Herbst 1984 zog mich ein Comic in der Trafik am Schulweg magisch an. Es war einer jener eigentlich recht lieblos gemachten "Comics zum Film", wie sie auf Deutsch im A4-Format erschienen - so groß wie die allgegenwärtigen "Asterix"-Bände. Das Cover war eine wirre Collage in schreienden Farben, die eine Blondine, Fledermäuse, einen Typen mit Turban und IHN zeigte, wie er die Peitsche schwang und mit der anderen Hand seinen Fedora festhielt. Es sollte noch Jahre dauern (ja, wirklich), bis ich irgendwann  den dazugehörigen Film sehen sollte, doch das war nur das Sahnehäubchen. Indiana Jones hatte mich gefangen genommen, lange bevor ich Harrison Ford in dieser Rolle das erste Mal sah.

Vielleicht erklärt diese sentimentale Erinnerung an meine Kindheit, warum ich Spelunky so liebe, obwohl ich so scheiße darin bin. Ich habe das Spiel schon verehrt, als es nur als Freeware für PC existierte, und es ist bis dato das einzige Spiel, das ich mir zweimal gekauft habe, einmal für PC und dann für PS3 nochmal, in der vagen und blauäugigen Hoffnung, ich würde durch das Joypad magischerweise weniger scheiße werden. Ein Irrtum. Ein Irrtum übrigens ebenso wie der, dass ich etwas lernen würde durch die 1000 Tode, die ich in einem, ich sage es deutlich, der wenigen wirklich  perfekt designten Spiele der jüngeren Vergangenheit erlitten habe.

Spelunky ist eines der wenigen Spiele, das man in Arcades, Schulhöfen, Kneipen, Bahnhöfen und Sportzentren aufstellen sollte, damit die jungen Leute daran die Tugenden des Bushido erlernen - Geduld, Präzision, Genauigkeit, Konzentration. "Vital life skills", wie auf Eurogamer jüngst ein anderer Neo-Papa bemerkte.

Spelunky sollte in Arcades, Schulhöfen, Kneipen, Bahnhöfen und Sportzentren aufgestellt werden, um die Tugenden des Bushido zu lehren.

Wem es an diesen Tugenden mangelt - so wie anscheinend mir, der sich verlässlich unermüdlich am unteren Ende unserer internen Leaderboards aus unpackbar talentierten und/oder ehrgeizigen Zockergöttern wie Glashüttner und Köller wiederfindet (auch Frau Grete, erst kürzlich dazugestoßen, und der Herr Zurschmitten, bislang nur im Classic-Spelunky geübt, werden mich bald hinter sich lassen) - wem es also an diesen Tugenden mangelt, der tröstet sich, so wie ich, vielleicht mit dem Verweis auf die Tugend der reinen Praxis, auch wenn der Erfolg ausbleibt.

Denn, Freunde, Konkurrenten, blasiert vom Highscore Herabblicker: Ich spiele das nicht, um zu gewinnen oder um mit meinen Punkten oder Skills zu protzen (auch wenn, mit Verlaub gesagt, der "Daily Challenge"-Modus eine unfassbar geniale Idee für ein immer wieder prozedural zufallsgeneriertes Spiel ist). Nein, ich spiele das, weil ich es nach wie vor für eine unwiderstehliche Idee halte, mit Peitsche und Hut in den staubigen Ruinen längst untergegangener Zivilisationen herumzuirren. Dass dieses Spelunky in seinem Tutorial sogar mit leichter Hand in einer Metaebene das wiederholte Sterben des Miniarchäologen als Eigentümlichkeit der sich ständig verändernden Ruinen in seine Story miteinbezieht, ist da noch einmal ein narratives Zusatz-Augenzwinkern.

Man betritt die Ruinen und stirbt. Dann betritt man sie erneut, und alles ist anders - Games-Philosophy-Dissertanten künftiger Generationen mögen in Spelunky vielleicht sogar einen ludischen Reinkarnationssimulator sehen - wer weiß? Jedenfalls: Der Weg, bei jedem Versuch, ist das Ziel. Und sei er noch so kurz.

Vielleicht bin ich dann halt einfach früher an meinem Ziel angelangt, zum Beispiel schon in 2-2. Gleich hinter den verdammten Tiki-Fallen. 

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