Die Zahl am Ende des Textes - Teil 2

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Die Zahl am Ende von Videospieltexten hat lange Tradition - und man kann durchaus geteilter Meinung sein, ob das so sein soll oder nicht. Darum zwei Texte zu dieser Debatte - nach Volkers Meinung nun mein ganz eigener Senf dazu.

Wertungen - ja oder nein? Für jede Frage von gewisser Komplexität gibt es eine Antwort, die klar, einfach und falsch ist. Drum einen Schritt zurück: Es wird die wenigsten Leser überraschen, dass ich nicht gerade ein Verfechter der Prozent-, Sternchen- oder Zehnerwertungen unter Spieletexten bin, und auch die Argumente sind altbekannt. Kein ernstzunehmender Literaturkritiker würde seine Besprechung eines Buches abschließend in Zahlen gießen wollen, kaum eine differenzierte Filmkritik endet mit einem Fazit in Prozentschritten. Warum? Erstens aus Respekt gegenüber dem besprochenen Buch oder Film; zweitens aus dem Selbstbewusstsein der Kritiker heraus, in ihrem Text bereits diese Wertung vorzunehmen. Autoren, und als solche sehen sich auch Journalisten, sind eitel - das Zusammenkürzen einer 3000-Zeichen-Kritik auf eine schnöde Prozentbewertung am Schluss entwertet in gewisser Weise den Text, der darüber steht. 

Die Frage nach dem Sinn oder Unsinn von Wertungen zu Videospielen ist somit eine Frage nach dem Wert von beidem: jenem des Spiels als ernstzunehmendes Kulturgut; und jenem der Texte, die darüber geschrieben werden. Eins vorweg: Der fünfzigste Angry Birds-Klon verdient nicht denselben Respekt wie Journey; der Text darüber lässt sich unter Umständen recht gut durch ein "30% - für Fans" zusammenfassen. Der Blick auf Spiele als reines Konsumprodukt und auf die Texte dazu als reine "Waschmaschinentests" wird  von den prozentwertenden "Spieletestern" und dem nach schneller "Kaufberatung" suchenden Spielern geteilt - eine Philosophie, die geschichtlich gewachsen, riesengroß und in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Wertungen sind Leserservice; diese Sichtweise des Spiels als Konsumgut kann man gut oder schlecht finden, wegdiskutieren lässt sie sich nicht, auch wenn man diesen Zugang - wenn er ausschließlich ist - wie ich bedauern kann.

Mein Argument gegen Wertungen ist aber ein anderes: Sie funktionieren nicht mehr. Vor Jahrzehnten, als Space Invaders mit seinen Dutzenden Klonen und Nachfolgern verglichen wurde, ergab es Sinn, in Details zu vergleichen und dies sogar in Zahlen zu objektivieren. Grafik, Sound, Spielbarkeit lassen sich bei einfachen Spielen mit gewisser Schärfe vergleichen. Heute, da das Medium in eine Breite explodiert ist, die selbst Fachleute nicht mehr durchblicken geschweige denn beurteilen können, ist dieser Anstrich der Objektivität ein absurdes Relikt. Sowieso bei den langsam verschwindenden Einzelwertungen: Hat CoD:BLOPS 2 eine bessere Grafik als Hotline Miami oder Dyad? Ist der Sound von Botanicula besser als der von FIFA 13? Das Aufblühen unterschiedlicher Stile, unterschiedlicher Styles und Ästhetiken untergräbt das, was Scores eigentlich erreichen wollen: Vergleichbarkeit. 

Das Aufblühen und die Breite des Mediums untergraben das, was Scores eigentlich erreichen wollen: Vergleichbarkeit. 

Deshalb ziehen sich jene Medien, die an einer Wertung festhalten, zunehmend auf ein anderes Bewertungsmerkmal zurück: Es ist der "Spielspaß", der mit der Zahl am Ende des Textes bewertet wird, und eigentlich ist das bereits der schleichende Abschied von jenem Objektivitätsanspruch, der der Idee der Zahlenwertung zugrundeliegt. Denn auch hier zeigen sich die Bruchstellen, die darauf hinweisen, dass die Ära der Wertungen zumindest in Verbindung mit der Tradition der ausführlichen "Spielebesprechung" (man wagt es kaum, von "Kritik" zu sprechen) ihrem Ende entgegenstottert: Benjamin Schmädigs vielkritisierter Text zu Far Cry 3 war deshalb kontrovers, weil er einer nachvollziehbaren, subjektiven Kritik konsequent eine "objektive" 66 als Zahl gegenüberstellte; auf Gameswelt selbst steht einem kritischen Text, der objektiv viele Schwächen von Dead Space 3 thematisiert, ein gottergebenes 83% gegenüber - Triple-A bleibt Triple-A. Die Absurdität, dass bei Titeln ab mehreren Millionen Dollar Entwicklungskosten schon eine 75er-Wertung als Ohrfeige gilt, fällt ebenso in diesen Bereich - hier gilt de facto ein anderes Bewertungssystem von 7 (schlecht) bis 10.

Die Wertungen, das glaube ich, werden nicht verschwinden, aber weniger werden: von ihrer Anzahl im Spielejournalismus ebenso wie von ihrer (Schein-)Komplexität her betrachtet. Je komplexer das Medium wird, desto simpler sollten die Bewertungen ausfallen - vom Hundertersystem zum Zehnersystem, davon zum Schulnotensystem und schließlich zu einem schlichten "Ja/Nein", das durch den Text begründet ist. Dass die Spieler selbst ihre Tradition der "Kundenrezension" auf Amazon und Metacritic verbissen weiterverteidigen werden, kann man gut verschmerzen. Vielleicht ist also die Abkehr vom Hundertersystem der Gameswelt, die auch ich kopfschüttelnd in ihrer Ankündigung als "neue Ära" und "Revolution" verlacht habe, doch ein winziger Schritt in diese Richtung.   

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