Bioshock Infinite: Headshots im Luftschloss

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Dass ein profilierter Titel wie Bioshock Infinite Meinungen teilt wie Moses das Meer, ist eigentlich nicht überraschend. Nach der ersten Welle der Begeisterung, versteht sich, denn man muss ja immer noch froh sein, wenn Spiele zur Inspiration mal nicht in den Fundus billiger Science-Fiction, Fantasy und Actionfilme greifen, sondern in Kunst, Geschichte und Kunstgeschichte. Aber dann, ach, bemerkt man die vielen Risse in der Fassade der schönen, alten Welt und von allen Seiten hagelt es Kritik.

Interessant ist in diesem Fall aber, worüber die Kritiker streiten, denn anstatt sich seinem schwachen Metakommentar zu widmen, dreht sich die Diskussion derzeit vor allem um die in Infinite marginalisierten Thematiken von Gewalt, Rassismus, Patriotismus und Evangelismus, vor allem aber um die Frage warum ein Spiel mit so schlauen Ansätzen unbedingt in die Shootergussform gepresst werden muss.

Aber langsam. Losgetreten haben die Kontroverse vor allem Kirk Hamilton, Chris Plante und Michael Abbott, für die Infinites Überfluss an Blut und Enthauptungen im Konflikt mit seiner kopflastigen Narrative steht. Jim Sterling sieht das anders: In Infinite gehe es nunmal um Gewalt, Booker sei ein Mann der Gewalt und die reichliche Ausübung der selben sei nur passend. Jeff Kunzler vermutet hinter der Bitte um weniger exzessives Blutvergießen gleich den Wunsch, das rassistische Luftschloss Columbia unversehrt lassen zu dürfen.

Diese Gegenpositionen missverstehen aber, dass es der ursprünglichen Kritik nie um völlig pazifistische Gewaltfreiheit ging, sondern um deren Behandlung auf thematischer Ebene, oder besser, das Fehlen dieser Reflektion. In Infinite schießt man auf Leute. Ständig. Man schießt auf Systemerhalter ebenso wie auf Revolutionäre, zerfetzt Gesichter und lässt Köpfe durch Stromschläge platzen. Weder Aufteilung noch Ausmaß dieses Blutbads dient aber irgendeiner Botschaft, es wird lediglich zu unserem Gaudium eingestreut.

Zwar spielt Bioshock Infinite in einer Ära rassistischer Gewalt, gegenüber deren realen Gräueltaten diese fiktive Darstellung noch untertrieben sein mag, dennoch wird man diesen geschichtlichen Extremen kaum gerecht, indem man die eigene Mechanik ebenfalls zum Massaker macht. So absurd es klingen mag, exzessive Gewalt ist nicht der beste Weg um exzessive Gewalt darzustellen. Sie verbraucht sich selbst, wird durch ständige Wiederholung nicht zunehmend absurder und schockierender, sondern immer normaler.

Exzessive Gewalt ist nicht der beste Weg um exzessive Gewalt darzustellen.

Am bewegendsten sind Leid und Tod je persönlicher und einmaliger sie dargestellt werden, nicht je blutiger und brutaler. Man betrachte zu diesem Thema etwa Telltales fantastisches The Walking Dead: Im Verlauf des Zombieadventures tötet Protagonist Lee nicht nur Untote, sondern, je nach Spielerentscheidung, auch einige der wenigen Überlebenden. Diese Szenen zeichnen sich nicht durch Häufigkeit oder komplexe Mechaniken aus. Ganz im Gegenteil: Gerade weil diese Momente so selten sind, die Figuren so bekannt und die Mechanik so reduziert, bleibt die schwierige Entscheidung im Gedächtnis und wird zum verdammenden Urteil: Du hast getötet.

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Störender als die überzogene Gewaltdarstellung in Infinites immer gleichen Schusswechseln, ist aber, dass sie nicht der Erzählung dienen, sondern umgekehrt. Die Gefechte sind mechanischer Selbstzweck, Beschäftigungstherapie für Spieler, deren Interesse wohl mit regelmäßigen Adrenalinschüben am Leben gehalten werden muss. Der Wunsch das eigene Publikum zu packen und zu unterhalten ist in diesem Medium verständlich, wenn er auch nicht selbstverständlich sein sollte.

Störender als die überzogene Gewaltdarstellung in Infinites Schusswechseln ist aber, dass sie nicht der Erzählung dienen, sondern umgekehrt.

Das schließt aber nicht aus, die Mechanik auf sinnvolle Weise mit der Narration zu verknüpfen, und auf dieser Ebene versagt Infinite völlig. Das Spiel orientiert seine Frontlinien an keinem der Interessenskonflikte in Columbia, sondern breitet sein Gemetzel gleichmacherisch über sämtliche Fraktionen aus, verwirft angeschnittene Thematiken um sich völlig der verworrenen Quantenmär um die Herrscherfamilie zu widmen. Letztlich geht es in dem Titel weder um Gewalt, noch um Politik oder Religion, sondern nur um Booker DeWitt. Es ist die Tragödie eines einzelnen Mannes.

Dabei konnte die Serie das doch schon besser. Wo Columbia nur als Fototapete für einen interdimensionalen Familienstreit herhält, war im ersten Bioshock noch der Schauplatz die eigentliche Hauptfigur. Die Unterwasserstadt Rapture ist beim Auftritt des Spielers bereits verkommen, verwüstet, kaputt. Warum? Weil die ihr grundlegende Ideologie der völligen Deregulierung, der absoluten persönlichen Freiheit auf Kosten der Gemeinschaft, immer scheitern muss. Der Spieler selbst mustert die präsentierten, verqueren Ideale nicht nur unbeteiligt, sondern passt sich ihnen durch Plasmidzauberei an, erkauft sich Macht auf Kosten seiner Menschlichkeit.

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Allein in dieser Prämisse steckt mehr politischer Kommentar als in ganz Infinite, das ein System gewaltsamer Unterdrückung auf eine Ebene mit dem Umsturz desselben stellt, und DeWitt, als Avatar des aufgeklärten Spielers, gleich über beide. Er genießt Zauberei ohne Nebenwirkungen, wird im Verlauf seiner Reise unabhängig von moralischem Wachstum, Verfall oder Stagnation immer mächtiger. Er kommt auch nicht in die Verlegenheit, sich zu dargestellten Problematiken äußern zu müssen: Weil beide Seiten in ihm den Feind sehen, muss er sich für keine entscheiden, steht damit weder für Unterdrückung und Rassismus noch für Freiheit und Gleichheit.

Warum ist das Schießen immer noch die konkurrenz- und alternativlose Mechanik, der sich selbst tiefgründige Historiendramen unterordnen müssen?

Mehr als einen feigen Aufruf zu politischem Zentrismus und Passivität kann man daraus kaum lesen. Auch das gelingt nur, wenn man den fatalistische Aspekt des dargestellten Multiversums ignoriert, nach dem ohnehin jede denkbare Version dieses Klassenkampfes existieren muss. Manche scheiterten, scheitern, werden scheitern. Andere hatten Erfolg, haben Erfolg, werden Erfolg haben.

Vielleicht ist es Bioshock Infinites größter Quantentriumph, dass das Spiel einerseits voller Gewalt ist und doch zu dem Thema eigentlich nichts zu sagen hat. Es füllt die Lücken seiner Geschichte mit Feuergefechten, um massentauglich und unterhaltsam zu bleiben, aber diese unterstützen nicht etwa die Narrative, sondern müssen im Gegenteil von ihr gerechtfertigt werden, mit einem geschichtlichen Hintergrund, den das Spiel nicht weiter beleuchten möchte und einer Hauptfigur, die man auch einfacher als Brutalo charakterisieren hätte können.

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Auch wenn es dieses mal keine Absicht gewesen sein mag, wirft Bioshock damit erneut Fragen über unser Medium auf: Warum immer nur Shooter? Warum ist das Schießen immer noch die konkurrenz- und alternativlose Mechanik, der sich selbst tiefgründige Historiendramen unterordnen müssen? Warum muss man denn jedes Problem mit der Waffe im Anschlag betrachten? Geht es nicht auch anders, geht es nicht auch besser, geht da nicht noch mehr?

Genau um dieses Mehr geht es bei der Kritik an Bioshock Infinite. Es ist nicht etwa so, dass alle Welt auf einmal Actiontitel hasst - aber ein so feingeistiges, hochtrabendes Konzept wie das von Bioshock Infinite hätte Potential zu so viel mehr als einer weiteren unreflektierten Machtfantasie geboten.

Man versprach uns die lebendige Karikatur des politischen Zeitgeistes einer interessanten Epoche bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit deren grundlegenden Problematiken. Was ist es stattdessen geworden? Nur ein Shooter. So klingt das verdammende Urteil verfehlter Erwartungen.

 
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