Hurting other people - Hotline Miami

×

Fehlermeldung

Deprecated function: implode(): Passing glue string after array is deprecated. Swap the parameters in drupal_get_feeds() (Zeile 394 von /www/htdocs/w01049cb/live.videogametourism.at/includes/common.inc).

548

Der folgende Text ist kein Review (das findet sich nämlich hier). 

Hotline Miami ist ein Meisterwerk.

Das mag all jene überraschen, die angesichts der Retrografik und all der plakativen Gewaltszenen hier ein Hipsterding erwarten, das von vornherein nur Auskenner oder Fanatiker gut finden können. Nein: Hotline Miami ist ein Meisterwerk des ganzen Mediums, nicht nur seiner Nische. Es besteht mit cooler Lässigkeit neben den allermeisten Spielen, und das auf spielerischer wie narrativer Ebene. Tatsächlich fasziniert mich besonders, wie gut Hotline Miami auf diesen beiden Ebenen funktioniert.

Das Gameplay selbst ist schnörkellos, konsequent, adrenalintreibend und spannend. Man verliert sich in seinem Flow aus Bewegung, Taktik und Reflexen. Es ist simpel - es gibt wenige Elemente, aber viele Variationsmöglickeiten - aber komplex, und mit der Meisterschaft steigt auch der Anreiz, kühner zu spielen, effizienter und tödlicher zu werden. In seinen perfekten Momenten - wenn in zwanzig atemberaubenden Sekunden jede Bewegung sitzt, jede Aktion aufgeht und unsere Spielfigur ein Action- und Mordballett zaubert, das selbst John Woo, Takashi Miike und Quentin Tarantino nicht heftiger, unmittelbarer oder atemberaubender inszenieren könnten - in diesen Momenten ist Hotline Miami tatsächlich kein gutes Indiespiel, sondern viel mehr, nämlich schlicht ein fantastisches Spiel, Punkt.
549

Was es zum Meisterwerk macht, ist allerdings, dass es wie nur ganz, ganz wenige Spiele vor ihm ein Spiel über das Spielen ist, über Gewalt und unsere Abscheu und Faszination daran. Ich denke, das Hivemind von RPS tut Hotline Miami Unrecht, wenn es die Story als sekundär betrachtet; in ihr liegt der Schlüssel nicht nur zu diesem einzelnen Spiel, sondern zum Verhältnis des Spielers zu seinem Medium selbst.

Hotline Miami spielt mit seinen Spielern. Für eine komplette Inhaltsangabe empfehle ich mit Bauchweh diesen Artikel; Bauchweh, weil wirklich jeder sich die Chance geben sollte, die wenigen Stunden in das Spiel selbst zu investieren. Logisch: Spoilers follow.

550Nur auf den ersten Blick scheint die Handlung altbacken oder gar rudimentär. Die Bewusstseinstrübungen des Protagonisten winken schon von weitem mit dem Zaunpfahl in Richtung "Hero in a  coma" , doch Dennaton sind Meister der Täuschung. Wer sich auf der sicheren Seite glaubt, wird durch den Fortgang der Handlung nach der Flucht aus dem Hospital eines Besseren belehrt: Das Ende ist nicht das Ende, auch wenn die Credits laufen. Als Draufgabe gibt es einen zweiten Handlungsstrang, der alles auf den Kopf stellt und elegant seine eigenen Paradoxien heraufbeschwört, die auch einem David Lynch anerkennendes Kopfnicken entlocken würden.

Dass sich in der Konfrontation mit den Drahtziehern der mysteriösen Anrufe die Spielmacher selbst mit einem wörtlichen "Fuck you" an uns richten, die wir nach Stunden des trancehaften und spaßigen Tötens tatsächlich hier, am Ende, eine Rechtfertigung oder einen guten Grund für unser Morden verlangen, ist eine Pointe, die sitzt. Keiner hat von uns verlangt, diese Orgie der Gewalt anzurichten; wir brauchen als Spieler halt auch nicht viel Grund dafür, auch wenn - oder weil - wir gewohnt sind, die Welt retten zu müssen.

552

Klar: Im Normalfall haben wir gute Gründe für unsere Gewalt im Spiel. Die Prinzessin ist entführt, der Dritte Weltkrieg droht, Rache, Gerechtigkeit, there is no alternative. In Wahrheit aber, das beweisen uns die grinsenden Köpfe der beiden Macher am Ende, brauchen wir all diese Motivationen oder besser: Vorwände nicht, um uns in Spielen aller Art ans Werk zu machen und selbstverständlich "den Feind" zu vernichten. Dass wir dies in Hotline Miami derart gewalttätig tun und dann am Ende immer noch treuherzig eine Erklärung, eine Rechtfertigung erwarten, hat wohl mit Recht nicht mehr als ein Grinsen und ein "Fuck you" verdient. 

Die Maskenmetapher passt: Wir sind Tiere, die Grausames tun, ohne dafür einen Grund zu brauchen. Dass Hotline Miami uns das zeigt und sich zugleich über uns lustig macht, ist ein Moment, der Bioshocks großen und meiner Meinung nach stets überschätzten Wendemoment die Hosen runterzieht und ad absurdum führt: Scheiß auf hypnotische Phrasen - nobody made me do it.

551

Das ist auch eine Befreiung. Es geht hier schließlich nicht um reale Gewalt, sondern um ein Spiel. Hotline Miami darf wie andere Medien Gewalt thematisieren; es macht seine Spieler im Unterschied zu allen anderen Spielen aber nicht nur selbstverständlich zum Täter, sondern zuerst zum Komplizen und dann zum Opfer.  Gewalt wird hier nicht verherrlicht, sondern nur gezeigt, und zwar in einer Irrationalität und Rohheit, die mehr über dieses schwarze Faszinosum aussagt als die literarischen oder filmischen Blicke in die Abgründe einer von uns getrennten Figur.1 

Wie gesagt: Hotline Miami ist ein Meisterwerk. Ein Spiel sowohl für Ludologen und Narratologen, das beweist, wie unglaublich fähig nur dieses Medium ist, in der perfekten Symbiose der beiden Elemente den Spieler und sein Handeln selbst mit einzubeziehen.

Das ist er, der Trick, den nur dieses Medium beherrscht.

Autor: