Gamesjournalismus in der Krise: Text und Nachwort

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Beim Weiterlesen nochmal mein Artikel für den Standard zum Thema Gamesjournalismus in der Krise, und verwirrenderweise hier - an dessen Anfang - ein Nachwort. Interessant - oder ernüchternd - für mich war die Reaktion in den Kommentaren, die mehreres verdeutlichte: 1. Die Spielerschaft - oder zumindest die Standard-Kommentatoren - sehen die Krise als selbstverschuldet und unterstellen auf breiter Front gewohnheitsmäßige korrupte Einflussnahme auf "ihre" Medien. 2. Gamesjournalismus kann auch durch nichts ersetzt werden - und zwar radikal im Wortsinn: Es wird schlicht kein weiterer Bedarf gesehen. Viele sehen keine Leistung, die nicht von "Let's play"-Videos oder Amazon-Reviews (!) ersetzt werden könnte - ein Befund, der eigentlich noch viel trauriger ist als jener, den ich im Text finde.

Hier zeigt sich aber einer der Fallstricke der momentanen Situation: Games, und auch die Rezeption von Texten zum Medium, sind und bleiben zumindest im Moment Special-Interest, noch dazu mit ausgeprägtem technischen Service-Charakter - daran ändern auch Millionenverkäufe nichts. Sobald ein Publisher versucht - aktuell etwa Rockstar mit Exklusiv-Previews für Breitenmedien - dieses Ghetto zu verlassen und medial in die Breite zu gehen, hagelt es Kritik und Verachtung von Spezialistenseite, denn das Ghetto ist inzwischen eine große, gemütliche Echokammer, die nur ungern verlassen oder gar nur geöffnet werden will.

Von den Kommentatoren wird das drohende Sterben des Gamesjournalismus mit hämischen Beifall quittiert - das sagt eigentlich viel über das Verhältnis dieses Branchenzweiges zu seinem verschwindenden Publikum aus. Trösten kann man sich vielleicht mit einer ewigen Wahrheit: Die "loud minority" der selbsternannten Hardcore-Gamer, die prinzipiell ihr eigenes Fachwissen über das jeder Autorität stellen, mag vielleicht gewohnheitsmäßig jeden Text zu "ihrem" Medium in den Kommentaren vereinnahmen; ihre tatsächliche Mehrheit an der Spielerzahl ist aber längst Illusion. Es gibt sie, die neuen Leser, jene, die spielen, aber bislang mangels Angebot oder wegen Abschreckung durch just diese rabiaten und lauten Wächter kein journalistisches Medium wahrnehmen. Sie anzusprechen wäre ein mittelfristig interessantes Ziel.

Es ist ein bemerkenswertes Paradox: Spiele sind spätestens 2012 in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Mehr Menschen als je zuvor opfern einen Teil ihrer Freizeit dem gar nicht mehr so jungen Medium, und es sind bei weitem nicht mehr nur männliche Jugendliche, sondern Erwachsene, Frauen und Senioren. Die Umsätze der Games-Industrie stellen jene Hollywoods in den Schatten, und die weltweite Bekanntheit von Games-Ikonen wie Super Mario, Lara Croft oder Halos Master Chief macht sie zu globalen virtuellen Superstars.

Gleichzeitig - und hier liegt die bemerkenswerte Ungereimtheit - ist der Gamesjournalismus, also jener dieses erfolgreiche Massenmedium beobachtende Teil der Öffentlichkeit, in einer systemischen Krise, die sich allem Anschein nach zunehmend verschärft.

Probleme, Probleme

Games-Magazine, vor Jahren noch erfolgreich und massenhaft im Handel, leiden weltweit unter existenzbedrohendem Leserschwund. Zugleich stellen unter der Oberfläche brodelnde Skandale, wie jüngst Dorito-Gate, das Selbstverständnis der gesamten über Spiele schreibenden Branche in ihrem oft ungesunden Verhältnis zur PR der Spielebranche ins Scheinwerferlicht.

Dass sich das Schreiben über Spiele trotz der enormen zumindest wirtschaftlichen Bedeutung des Mediums immer noch nicht im Kultur- oder Feuilletonteil allgemeiner Publikationen, sondern im naturgemäß eingeschränkteren Technologie-Ghetto und Fachblättern versteckt, ist bedauerlich. Dass dieses Selbstverständnis aber durch alte Gewohnheiten wie scheinbar nüchterne Prozentbewertungen und braves Aufzählen spielmechanischer und technischer Details gerne weitergepflegt wird, macht den Gamesjournalismus an vielen Orten auch für große Teile potenzieller Leser zunehmend uninteressant.

Kurz, das Paradox ist dieses: Einem wirtschaftlich, kulturell und lebensreal bedeutsamen Massenmedium steht eine oberflächlich im Print schrumpfende, sich ins spezialisiert Technische und zu seiner jugendlichen Hardcore-Gemeinde flüchtende Berichterstattung gegenüber, die noch dazu fürs Überleben auf Werbe- und PR-Gelder von jener Branche angewiesen ist, die sie eigentlich kritisch betrachten sollte - eine problematische Symbiose.

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Print plus online

Für die Krise traditioneller Printpublikationen kann die Games-Presse freilich nicht selbst verantwortlich gemacht werden: Durch das Internet sterben überall gedruckte Magazin- und Zeitungsformate. Tatsächlich bemüht sich hier just der Gamesjournalismus, dank besonders technikaffiner Zielgruppe zum Teil nicht ohne Erfolg, seine Printleser mit zusätzlichen Inhalten im Internet bei der Stange zu halten.

Alexander Amon, Chefredakteur des österreichischen Videospielmagazins consol.at, erklärt den Spagat: "Wir versuchen, den Leserschwund mit guter Onlinepräsenz - wir waren ja zuerst ein Online-Magazin und sind dann erst auch in Printform erschienen -, unserem erfolgreichen Podcast, Kino-Events und Messe-Stand sowie 24/7-Präsenz auf den eigenen Kanälen auszugleichen."

Ohne umfangreiche Online-Aktivitäten geht es also nicht - doch Print hat immer noch einen eigenen Reiz. "Ich würde nie auf Print verzichten wollen bzw. auf ein periodisch erscheinendes Produkt. Es gibt einfach nichts Schöneres, als etwas abzuschließen und dann in Händen halten zu können", sieht Amon im gedruckten Magazin auch für seine Leser einen die Flüchtigkeit des Netzes überdauernden Mehrwert.

Journalismus ohne Journalisten?

Braucht das Medium etwa bald gar keinen "professionellen" Gamesjournalismus mehr?

Die Konkurrenz in Form reiner Onlinepublikationen wächst dennoch täglich. Einzelne Plattformen wie etwa das von Ex-GameStar-Chefredakteur Jörg Langer gegründete Portal gamersglobal.de setzen als offensives Gegenmodell von Vornherein auf Web-2.0-Mitmachjournalismus und auf die Gamification des Leseerlebnisses, indem Nutzer selbst News vorschlagen oder Artikel schreiben können, um im "Rang" aufzusteigen.

"Qualitätsjournalismus" ist hier weniger das Ziel als die möglichst große Identifikation mit einer jugendlichen Zielgruppe, die, zynisch zugespitzt, schlussendlich ohne Honorar für sich selbst schreibt. Braucht das Medium etwa bald gar keinen "professionellen" Gamesjournalismus mehr?

Christian Schiffer hat ein anderes Ziel, und er teilt offensichtlich Amons Liebe zum Printprodukt: Das Schreiben über Spiele kann und sollte seiner Meinung nach nicht nur mehr Qualität haben, sondern durchaus auch im Bücherregal Platz finden dürfen.

Das hat der deutsche Hörfunkjournalist im Juni dieses Jahres mit der ersten Ausgabe des von ihm gegründeten und aus eigener Tasche finanzierten werbefreien Magazins WASD - Texte über Games im Taschenbuchformat, im mutigen Praxistest bewiesen.

Ausgabe 1 hat ihre Kosten eingespielt, der zweite Band erscheint noch im Dezember. "Ich glaube trotzdem, dass Games-Magazine über kurz oder lang verschwinden werden. In Zukunft wird der der klassische Testjournalismus komplett ins Internet abwandern", so Schiffer.

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Mehr Geist

Christian Schmidt, ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der deutschen GameStar, hat bereits 2011 in einem vielbeachteten Spiegel-Artikel mit seiner Branche abgerechnet: Was dem deutschen Gamesjournalismus fehle, seien "mehr Geist" und der Mut, nicht nur klassisch technisch, sondern vielfältiger und kritischer zu berichten.

An diesem Befund hat sich wenig geändert, findet auch Christian Schiffer: "Klar ist seine Kritik noch aktuell, und natürlich gibt es für den von ihm geforderten Journalismus ein Publikum: Es gibt ja auch ein Publikum für Fußballjournalismus mit mehr Geist (11 Freunde), oder für Wirtschaftsjournalismus mit mehr Geist (Brand 1), oder sogar für Wurst(!)journalismus mit mehr Geist (Beef). Aber natürlich ist das noch eher eine Angelegenheit für die Nische. Eine Nische allerdings, die wächst."

Bislang war diese Nische wohl noch zu klein: Produkte, die erwachsener über Spielkultur berichten wollten, wie die GEE, die [ple:] oder die deutsche Ausgabe des BranchenprimusEDGE, waren in den letzten Jahren am deutschen Markt langfristig erfolglos.

Will die Gamesbranche selbst überhaupt eine derart erwachsenere Presse, die "kritisiert" statt nur "testet"?

Alexander Amon stimmt zu, dass der reine Testjournalismus vom Internet zunehmend obsolet gemacht wird, er sieht sein Magazin consol.at allerdings ohnedies auf einem anderen Weg: "Vielen Lesern ist mittlerweile egal, wie du ein Spiel bewertest. Sie wollen deine Meinung hören, die Vor- und Nachteile herauslesen können und im Idealfall einen witzigen Artikel lesen. Du musst Reportagen liefern, gute Retro-Geschichten und - wenn alles klappt - ein Zielpublikum zwischen acht und 40 Jahren befriedigen. Das erfordert schon 'mehr Geist', als man als Außenstehender vielleicht denkt."

Die Hand, die füttert

Aber will die Gamesbranche selbst überhaupt eine derart erwachsenere Presse, die "kritisiert" statt nur "testet"? Mit dem Fall Gerstmann 2007 und jüngst Dorito-Gate rückt das oft ungesunde Naheverhältnis der Industrie zur über sie berichtenden Zunft wieder einmal ins Bewusstsein der Leserschaft: Wenn es sich Gamesjournalisten aus Angst um Werbegelder oder "Exklusiv"-Previews nicht mehr leisten können, kritisch zu berichten, werden sie zu reinen Werbeträgern und Aufmerksamkeitsbeschaffern der Games-Industrie.

Amon bestreitet dieses einseitige Negativbild: "Überall gibt es schwarze Schafe, aber ich würde sagen, 99 Prozent aller Kollegen sowohl in PR als auch Presse nehmen ihren Job sehr ernst und können als Insider nur gequält über diese immer wieder hoch kochenden Vorwürfe lächeln."

Christian Schiffer wirft allerdings ein differenzierteres Schlaglicht auf das Verhältnis seines - bewusst branchenuntypischen - Magazins zur Industrie: "Klar unterstützen die PR-Agenturen am liebsten den gängigen Gamesjournalismus. Für WASD Ausgabe 2, die im Dezember erscheinen wird, habe ich nach der Erlaubnis gefragt, ein Bild des Spiels 'Hitman' zu verwenden. Square Enix hat dann gefragt, für was ich das Bild brauchen würde - Test oder Preview. Ich habe dann gemeint, es sei für einen Artikel über Sex und Gewalt in Computerspielen. Das Bild habe ich nicht bekommen - und eine Antwort auch nicht."

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Tausend Inseln

Vielleicht liegt es auch am Medium selbst, dass im Unterschied zu anderen Medien nicht einige wenige relevante, sondern tausende Spezialpublikationen hauptsächlich im dafür wie geschaffenen riesigen Netz ihre Leser finden: Nur von außen betrachtet ist das "Medium Computerspiel" homogen; die Spieler selbst sehen überdeutlich, wie groß und vielfältig das Feld inzwischen ist. Abseits ganz spezieller Communities wird der Großteil aller Spieler aber vom klassischen Gamesjournalismus weniger und weniger angesprochen.

Der Opa, der gern "FIFA" spielt, die kleine Schwester, die "Farmville" und "Sims" liebt, der Familienvater, der abends "Starcraft"-Shoutcasts ansieht, die Mutter, die in "WoW" ihr Gildenleben pflegt und der 17-Jährige, der stolz darauf ist, sich als Hardcore-Gamer zu bezeichnen, haben von außen betrachtet dasselbe Hobby - der Gamesjournalismus sieht aber nur die Hardcore-Gemeinde als ihre Zielgruppe.

Tatsächlich ist dieser von der klassischen Games-Presse fast ausschließlich bediente männliche, jugendliche Hardcore-Gamer, der von "GTA" bis "Assassin's Creed" und "Halo 4" Blockbuster um Blockbuster konsumiert und jede Preview liest, aber eigentlich nur mehr ein recht spezifischer Rezipient unter vielen anderen - und zugleich auch jener, auf den auch der Mainstream der Gamesbranche als Käufer gewohnheitsmäßig abzielt.

Die Krise als Chance

Gibt es eine Marktnische im Schreiben über Spiele für Leser, die keine Hardcore-Gamer sind?

Ist das eingangs erwähnte Paradox - neue Breite des massenhaft erfolgreichen Mediums bei gleichzeitiger Krise des Gamesjournalismus - also gar keines, sondern nur Ausdruck einer verblüffend leeren Marktnische, nämlich jener nach einer "anderen" Form des Schreibens über Spiele, die auch anderen Lesern als Hardcorespielern zugänglich ist?

Christian Schiffer sieht hierin einen Teil des Problems: "Ich glaube, dass der Gamesjournalismus der Zukunft eine Mischung finden muss zwischen Geschlossenheit und Offenheit. Die WASD wurde in den Rezensionen in gamesfremden Medien oft als Magazin beschrieben, das auch 'Nicht-Gamer' lesen könnten. Das ist vielleicht nicht ganz falsch, aber in der Überbetonung dieser Aussage spiegelt sich immer noch die 'Angst' der Außenstehenden vor der Gameskultur, wie sie im traditionellen Gamesjournalismus dargestellt wird."

So betrachtet fehlt es dem Gamesjournalismus vielleicht nicht (nur) an Geist, sondern schlicht an Ideen, wie auch Spieler abseits der lautstarken Verfechter der kriselnden Testtradition als neue Leser zu gewinnen wären; es fehlt schlicht an jener Breite, die dem Medium in der Realität längst zukommt. Die Chancen stehen gar nicht mal so schlecht, dass gerade durch diese Krisen eines geschlossenen Fachjournalismus am Ende ein Schreiben über Games stehen kann, das dem lebendigen Medium gerechter wird als bisher.

Keine Frage des Mediums

Alexander Amon sieht auf jeden Fall gelassen in die Zukunft: "Was die Breitenwirksamkeit betrifft, werden Special-Interest-Magazine immer Special-Interest-Magazine bleiben. Das ist auch gut so. Ich will für Leute schreiben, die eine Xbox von einer PlayStation unterscheiden können. Den allgemeineren 'Bildungsauftrag' in Sachen Games, die größere Breite, müssten die Massenmedien übernehmen, was noch viel zu wenig der Fall ist . Aber wenn hier die Jungen weiterkämpfen und den alten Chefredakteuren erklären, dass das Medium Videospiel eine Daseinsberechtigung hat, dann sehen wir alle rosigen Zeiten entgegen."

Die Anzeichen für ein breiteres Schreiben sind da: Einige große, auch qualitativ anspruchsvolle deutsche Breitenmedien wie der Spiegel oder die Zeit versuchen - zumindest in ihrer Onlinepräsenz -, über das gar nicht so neue Medium anders zu berichten als die Special-Interest-Medien.

Bis Christian Schiffers Vision Realität wird, wird es aber wohl trotzdem noch etwas dauern: "Der Spielejournalimus der Zukunft ist kritisch, kontrovers und verliert auch die Ränder und die Subkultur der Szene nicht aus dem Blick. Und er testet nicht, sondern erzählt Geschichten über die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und popkulturellen Zusammenhände der Gameskultur."

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