Militainment: Militärisch-popindustrieller Komplex
Modern Warfare, Ghost Recon: Advanced Warfighter, Battlefield und wie sie alle heißen: Ermüdend viele große Blockbuster des AAA-Gamings besschränken sich heute darauf, US-amerikanische Soldaten in staubigen Dritte-Welt-Ländern beim Abknallen böser Terroristen abzubilden. Der vom Berliner Studio Yager entwickelte und auf den ersten Blick wie die vorgenannten aussehende Third-Person-Shooter Spec Ops: The Line tritt aktuell an, den Status quo etwas zu verändern, und was ich bisher davon gesehen habe, ist vielversprechend. Anstelle eines Reviews ein kritischer Rückblick auf die ungesunde Verwandtschaft zwischen Entertainment und militärisch-industriellem Komplex.
Es ist - das hat sich auch in den letzten Wochen anlässlich der Gewalt- und Sexismusdiskussionen wieder bestätigt - schwierig, als Spielkulturinteressierter kritische Worte zu Gewaltdarstellung in Games zu äußern. Zu oft bekommt man Beifall von denen, die auch ohne eigene Argumente oder Erfahrung a priori gegen die angeblich amok-induzierenden "Killerspiele" wettern. Von Spielerseite selbst wiederum wird Kritik reflexhaft mit dem Lieblingsargument "Ist doch nur ein Spiel" abgeblockt.
Drum eins vorweg: Nein, es geht hier nicht darum, der Frage auf den Grund zu gehen, ob das Spielen von Military-Shootern die Spieler gewalttätiger macht - alle Untersuchungen sagen bisher das Gegenteil. Es geht nicht um die Frage, ob das Klicken der Maus mit dem großen Wort "Töten" überhaupt in Verbindung gebracht werden sollte - einen Gegner im Spiel zu "töten", ist moralisch definitiv unverfänglicher, als Eier aus Käfighaltung zu kaufen. Es geht nicht um die Frage, ob Kinder negativ beeinflusst werden - denn diese Spiele sind, wie etwa Pornografie, ohnedies zu Recht meist erst ab 18 Jahren erhältlich.
Modernste Militärtechnologie wird in Blockbustern wie Transformers ebenso unhinterfragt glorifiziert wie andere, zivile Konsumprodukte, etwa Autos oder Lifestyle-Gadgets. Interaktive Medien bieten hier lediglich weiterreichende Möglichkeiten: America's Army, der vom Pentagon produzierte und äußerst populäre Team-Shooter, wird dezidiert als Werbemittel und Rekrutierungsinstrument genutzt, Kuma War lässt seine Spieler reale Ereignisse aus den Nachrichten im Egoshootersetting nachspielen und Warco wiederum soll als Kriegsreportersimulation die Entstehung realer Fernsehbilder aus Konfliktregionen darstellen.
Postmodern Warfare
Besondere Faszination gilt stets der Authentizität, dem "Realismusgrad" der dargestellten Konflikte - allerdings nur in Bezug auf die Technologie, die militärische "Hardware", die atmosphärische Erfahrung des High-Tech-Kriegers des 21. Jahrhunderts. In anderen Bereichen ist's mit dem Realitätsanspruch nicht weit her: Zivilisten fehlen traditionell auf den digitalen Schlachtfeldern - auch hier betritt Spec Ops: The Line zumindest teilweise Neuland.
Zivilisten fehlen traditionell auf den digitalen Schlachtfeldern - das wäre zu viel Realismus
Im Vorjahr argumentierte Patrick Bach, Produzent von Battlefield 3, dass durch das Leeren der Kriegsschauplätze von Zivilisten den Spielern die Möglichkeit genommen werden sollte, diese zu massakrieren - was nur zu medialer Aufregung führen würde. Somit "simuliert" das ambivalente Genre der virtuellen Soldatengeschichte trotz aller Realitätsbeteuerung nur ein zensiertes, steriles Bild realer Konflikte. Da diese Konflikte zusätzlich vorwiegend in weniger entwickelten Erdteilen stattfinden, sitzt die sarkastische Bemerkung Gus Mastrapas in seiner Satire "The Future History of Games Journalism" umso besser, wenn er ein Call of Duty: Shooting Brown People III herbeifantasiert.
Während es im Medium Film den Sinnspruch gibt, dass jeder Film, der realistisch vom Krieg erzählt, ein Antikriegsfilm sei, ist eine solche Differenzierung zumindest in Bezug auf die aktuelle Generation von Shootern hinfällig. Die kontroversiellen und mäßig erfolgreichen Ansätze, die Infinity Wards Call of Duty-Reihe in diese Richtung zumindest in der Kampagne zeigte, sind auch schon wieder lange her. Als 2009 Atomic Games mit Six Days in Fallujah tatsächlich ein Spiel ankündigte, das realistisch von den Kämpfen im irakischen Fallujah im Jahr 2004 handeln sollte, machte Publisher Konami nach ersten kritischen Medienreaktionen einen Rückzieher - anscheinend traute man sogar im eigenen Haus dem jungen Medium einfach nicht zu, auch differenziertere Sichtweisen zu ermöglichen. Spec Ops: The Line, so viel kann verraten werden, setzt durchaus erfolgreich dazu an, diesen Umstand zu verändern: Es ist möglicherweise das erste Spiel, das bewusst mit Mitteln des Antikriegsfilms im Spieler Abscheu und Skrupel angesichts der eigenen Taten auslösen will.
Da ist die klassische Frage nicht weit: Macht das dann noch Spaß? Spiele, so der allgemeine, aber durchaus hinterfragenswerte Konsens, sollen Spaß machen, aufregend sein, Unterhaltung bieten. In Verbindung mit dem vordergründigen Anspruch der Military-Shooter auf möglichst großen "Konfliktrealismus" ist allerdings genau das auch problematisch: Die Waffen mögen realitätsgetreu nachgebaut sein - in der Darstellung des Krieges selbst aber herrscht pure Beschönigung und Verharmlosung.
Die Werbemillionen, die die Faszination am virtuellen Krieg auf Leinwand und Konsole am Leben erhalten, verfehlen ihre Wirkung nicht. Das ist aus den oben genannten Gründen bedenklich, aber auch aus banal spielerischen: Inhaltlich und spielmechanisch beschränken sich die Topseller trotz ihrer Qualität nämlich seit Jahren darauf, durch Grafikpracht (Battlefield 3) und immer aufwendigere Inszenierung (Modern Warfare 3) von der spielerischen und ästhetischen Innovationsarmut abzulenken. Inhaltlich ist sowieso sogar maximal C-Movie-Niveau angesagt; das ganz harte Macho-Gehabe der Hauptfiguren in der Kampagne von Modern Warfare 3 nahm der unnachahmliche Charlie Brooker im Guardian dann auch letztes Jahr gemeinerweise zum Anlass, den Titel spöttisch "the most homoerotic tale ever created in any medium, including Frankie Goes to Hollywood videos" zu nennen.