The Games That Never Were: Nevergods
Stagnation, Aufgewärmtes, Sequels: Wer sagt, dass es bei Games nicht noch Platz für revolutionär Neues, für Unerwartetes, Abwegiges oder schlicht: das Unmögliche geben darf? The Games That Never Were ist ein Gedankenexperiment: Spiele, wie es sie nie gegeben hat und so auch wohl nicht geben wird. Diesmal erzählt uns Stefan von Couch Entertainment von seiner Games-Vision.
Wenn berühmte Namen zusammen an einem Projekt arbeiten, wird jeder hellhörig. Wenn es dann noch Künstler aus verschiedenen Disziplinen sind, wird es umso interessanter. Wenn diese Namen dann noch von einem selbst verehrte Künstler sind, die dann auch noch zusammen ein Videospiel machen, dann könnte es schon mal passieren, dass man vor Freude eine Woche lang im Kreis springt. Und genau das ist passiert! Nicht nur das Spiel an sich ist faszinierend, sondern auch Tatsache, dass niemand etwas davon geahnt hat, denn keine PR- oder Marketing-Firma hatte hier ihre Finger im Spiel.
Nevergods schlug ein, wie eine kleine Bombe und gelangte fast nur über die sozialen Netzwerke an Berühmtheit. Ob es sich nun auch gut verkaufen wird, wissen wir nicht, aber eins ist sicher, die Macher wollten damit keinen finanziellen Erfolg, sondern wollten etwas für die Fans da draußen erschaffen. Klar, dass die folgende Rezension subjektiv durch die Fan-Brille geschrieben ist, aber anders geht es nicht, wenn Neil Gaiman und Dave McKean zusammen ein Projekt machen und dazu noch Bands wie 65 Days of Static, Mogwai und die Musiker Clint Mansell, Danny Lohner und Mike Patton die Sound-Untermalung übernommen haben.
Die Geschichte geht simpel los: Ein junger Mann, Ende 20, macht sich auf, seinen verlorenen Vater zu finden. Der Vater verschwand angeblich kurz nach seiner Geburt und seine Mutter sprach selten über ihn und wenn, dann sehr geheimnisvoll. Auf Fragen ging sie nie wirklich ein, so blieb er für den Protagonisten eine geheimnisvolle Figur, der wie ein unbekannter, längst gefallener Gott von der Erde verschwunden ist, so dass nur noch Geschichten, Erzählungen und Sagen zurückblieben.
Der Spieler übernimmt nun die Steuerung diesen jungen Mannes und begleitet ihn auf einem fantastischen Roadtrip quer durch Europa und die USA und mehrere Erzählstränge und Nebenhandlungen verdichten sich zu einer komplexen Geschichte über die Welt, die Menschen, ihre Geschichten und Emotionen. Auch diverser Zeitsprünge, etwa in die Kindheit des Helden, oder kurze Episoden, in denen der Spieler auch in eine andere Figur schlüpft, sind vorhanden, um die Geschichte lebendig und verständlich voranzutreiben. Die heimlichen Hauptdarsteller des Spiels sind aber die ganzen abgedrehten Charaktere, die man mehr oder weniger zufällig auf der Reise trifft, die den Spieler mitnehmen in eine geheime Welt, die unbemerkt neben der uns bekannten Gesellschaft existiert. Neben alten Göttern, die sich auf der Erde zur Ruhe gesetzt haben, laufen dem Spieler auch kuriose, längst vergessene Fabelwesen über den Weg, die das komplette Gegenteil darstellen zu unserer von Tolkien geprägten Vorstellung einer Fantasy-Welt. Natürlich darf der Humor nicht zu kurz kommen in Nevergods.
Wir sehen also: Gaiman hat viele seiner bisherigen Ideen im Spiel nochmal erweitert. Anfangs meint man, direkt die Handlung aus „American Gods“ zu spielen, doch bald kommt auch eine Unterwelt hinzu, wie wir sie in „Niemalsland“ kennengelernt haben. Ein Gastauftritt von Morpheus a.k.a. The Sandman aus den gleichnamigen Graphic Novels durfte nicht fehlen. Der Humor siedelt sich Gaiman-typisch zwischen Terry Pratchett und Douglas Adams an, jedoch eher unterschwellig und genial eingeflochten in die Story. Die Grundstimmung des Spiel bleibt aber eher ernst und faszinierend.
Neil Gaiman hat viele seiner bisherigen Ideen in Nevergods gemeinsam mit Grafikgenie Dave McKean nochmal erweitert.
Doch nicht nur die durchdachte und wunderschöne Geschichte hält den Spieler am Bildschirm, sondern auch die wunderschön selbst gezeichneten Hintergründe von Dave McKean wissen zu fesseln. Bei jeder Szene verweilt man erst mal, um sich alles genau anzuschauen. McKeans bekannter Stil, reale Fotos mit expressionistischen Zeichnungen zu kombinieren übertrifft sich hier selbst. Großen Respekt an die Grafiker, sie haben das für Unmöglich Gehaltene geschafft und haben die Bilder von McKean zum Leben erweckt und ein visuelles Meisterwerk erschaffen. Es hat Comic-Look, aber sieht dennoch aus wie eine abstrakte Version der wirklichen Welt. Manchmal erinnert es ein wenig an McKeans Film „Mirror Mask“.
Gaiman und McKean haben ihre Beziehungen spielen lassen und zum Soundtrack haben Musiker wie die Noise-Rocker von 65 Days of Static oder die sphärischen Klangkünstler von Mogwai hinreißen lassen, neue Songs oder Remixe alter Stücke für das Spiel zu komponieren. Die musikalische Leitung hatte das Traumpaar Clint Mansell (Soundtrack u.a. von Filmen wie „Pi“ und „Requiem for a Dream“ und auch Mass Effect 3) und Danny Lohner a.k.a. Renholdër (ein genialer Studiomusiker, der Nine Inch Nails-Fans ein Begriff sein sollte). Als einen der herausstehenden Sprecher sollte das Ausnahmetalent Mike Patton (Ex-Faith No More-Sänger und Sprecher in der „The Darkness“ Spielreihe) erwähnt werden, der einen alten germanischen Gott spricht, dessen Stimme dem Spieler durch Mark und Bein geht und immer wieder als Begleiter der Spielefigur auftaucht.
Wenn man die ganzen Name liest, könnte man meinen, dass Nevergods ein sehr düsteres Spiel geworden ist, aber dem ist nicht so. Die Kombo der kreativen Köpfe hat Erstaunliches hervorgebracht und die genial erzählte Story, der sphärische Soundtrack und die Optik passen unfassbar gut zusammen und laden ein, das Spiel mehrmals zu spielen. Und wer dies macht, wird feststellen, es spielt sich jedes mal ein wenig anders, denn es sind viele Punkte in der Story, die einen anderen Handlungsweg eröffnen, je nachdem, wie der Spieler sich entscheidet. Dabei sind diese Entscheidungen so gut und schlau versteckt, dass man sie nicht unbedingt beim ersten Mal Durchspielen bemerken wird. Ein zweiter Durchgang ist dringend empfohlen.
Manche Kritiker werden dieses Spiel zerreißen, es werden Vorwürfe kommen, dass Gaiman bei sich selbst geklaut hat, und es wird Kritik am Gameplay geben. Aber wenn man sich auf dieses geniale Experiment einlässt, wird man nicht mehr so schnell davon loskommen. Es ist mehr als ein Spiel, es ist die Verschmelzung von Literatur, Musik, darstellender Kunst und Videospiel, die man nicht ignorieren kann. Kauft Nevergods, es ist jeden verdammten Cent wert!
Anmerkung/Epilog: Der erwürdige Comic-Autor Grant Morrisson (u.a. „Batman“, „Action Comics“, „Animal Man“, „The Invisibles“) war so begeistert von Nevergods, dass er gerade auch an einem eigenen Script zu einem eigenen Action-Spiel schreibt.