Postkarte von Agata: Die Götter sehen alles
Agata Góralczyk ist als Langzeitreisende in virtuellen Welten unterwegs. Einmal im Monat schickt sie uns eine Postkarte - diesmal aus Gods Will Be Watching.
Lieber Rainer,
es ist verdammt kalt hier. Wirklich kalt. Eis- und Schneekälte. Ich habe Jack mit einem seiner Speere losgeschickt, uns was zum Essen zu erlegen. Wir sind bei Gott nicht wählerisch, Hauptsache überhaupt essen. Ich hoffe nur, dass ihm keiner der Speere dabei zerbricht. Das Schnitzen dauert wieder ewig und wir haben keine Zeit. Die Sonne auf diesem Planeten scheint nur fünf Stunden am Tag. Der Rest ist dunkle Kälte. Die Xenolifer haben uns hier ausgesetzt und wir werden ihnen den Gefallen nicht tun, zu Eis zu erstarren und zu verrecken. Donald versucht in der Zwischenzeit das Funkgerät wieder zum Laufen zu kriegen und ich werfe ein wenig Holz ins Feuer nach. Wenn das ausgeht, wird der purpurne Sonnenuntergang dieses Planeten das Letzte sein, was wir in unserem Leben zu sehen bekommen.
Wie Du merkst, bin ich die ganze Zeit mit Planen und Organisieren zugange. So ist das mit Soldaten und Missionen. Reines Personal- und Ressourcenmanagement, wobei Personal ja auch nur eine Ressource ist.
Dieser Xenoliferauftrag geht schon ewig. Jack und ich hatten sie infiltriert, uns als Rebellen eingeschleust. Ich erinnere mich noch an diese Geiselname im Forschungslabor. Ein bisschen stressig war das schon gewesen. Liam wollte sich in deren System reinhacken, um die Forschungsdaten zum Virus zu klauen. Wir hatten die Wissenschaftler als Geiseln genommen, aber das Anti-Terror-Kommando rückte uns immer weiter auf die Pelle. Am Ende war es - wie immer - eine Frage des Managements: eine zweckdienliche Mischkalkulation. Eine der Geiseln habe ich frei gelassen, um Zeit zu gewinnen. Eine Frau ist durchgedreht und wollte abhauen, ich musste sie töten. Alles andere wäre schlecht für die Moral gewesen. Insgesamt hatten Jack und ich die Situation unter Kontrolle: Der Schamane kümmerte sich um den Link, Liam holte die Daten. Wir waren raus, bevor uns die Wachen dran kriegen konnten.
So ist das mit Soldaten und Missionen: reines Personal- und Ressourcenmanagement.
Wirklich an die Substanz war mir die Sache mit der Folter gegangen. Jack hat’s damals fast komplett zerlegt. So eine Situation ist aber auch nicht einfach. Du wirst gefoltert und musst tagelang aushalten. Einfach aushalten. Du hältst die Folterer bei Laune, erzählst ihnen dieses und jenes. Manchmal klappt es und sie kaufen Dir irgend ‘nen Mist ab, manchmal nicht und Du musst doch ein kleines bisschen Info rausrücken. Genug um am Leben zu bleiben, aber nicht so viel, dass Du nutzlos wirst. Liam hatte uns zwischendurch was zum Aufputschen reingeschmuggelt. Trotzdem, unter den Schmerzen immer zu berechnen, zu taktieren. So eine Folterbank voller Werkzeuge, das ganze Blut, das hat mir schon die Konzentration geraubt: Welche Option ist die nützlichste? Was verschafft mir ein kleines wenig mehr Zeit?
Am Schluss hat uns E.C.U.K. die ganze Sache torpediert. Sie meinten, ich sei lebensmüde und mussten uns “in letzter Minute” doch noch rausholen. Totaler Blödsinn das Ganze. So wusste Liam, dass wir Maulwürfe waren, unsere Tarnung war aufgeflogen, die ganze Arbeit umsonst. Als wir dann mit den Wissenschaftlern zusammen das Gegenmittel entwickeln sollten, hatte ich zumindest noch die Hoffnung, irgendetwas zu retten.
Jetzt sitze ich auf diesem eisverfrorenen Planeten und manage meine Leute. Wie ich das mache? Immer auf die Aufgabe konzentrieren. Verluste minimieren, Reibungen gar nicht erst entstehen lassen. Wenn die Leute erst psychisch am Ende sind, ist es zu spät. Ich gebe Dir ein Beispiel: Sarah hier ist nicht besonders belastbar. Ehrlich gesagt auch nicht wirklich nützlich. Der Doktor kann zumindest noch ein Gegenmittel gegen den Virus zusammenmixen, Donald das Funkgerät reparieren. Sarah sitzt hier nur herum, jammert und friert. Sie nervt. Ich könnte sie also ausschalten. Kein Gejammer, keine Ressourcenverschwendung. Das wäre aber sehr kurzsichtig gedacht: ein typischer Anfängerfehler. Wenn Sarah schwach ist, können sich die anderen stark fühlen. Töte ich Sarah, sinkt die allgemeine Gruppenzufriedenheit erheblich. Die anderen befürchten dann, sie könnten als Nächstes dran sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand desertiert, steigt dann immens. Psychische Stabilität, Fitness, Zufriedenheit der Leute, darauf kommt es an. Merk Dir das für Deinen nächsten Einsatz.
Deine Sgt. Agata