Mensch-Maschine-Makel

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Einige "Spiel des Jahres!"-Rufe und mehrfach vorgebrachte Vergleiche mit der "Portal"-Serie - das war Ende des Jahres für mich Grund genug, "The Talos Principle" ohne weitere Vorabskepsis zu kaufen und zu spielen. Am Anfang schien noch alles zu klicken: Ich werde als, wie sich bald im Spiel herausstellt, eine Art Androide in eine virtuelle Welt geworfen, in der mich ihr angeblicher Schöpfer per klischeehafter Gottesstimme (tief-männlich, bestimmt, autoritär, würdevoll) begrüßt, sich als Elohim vorstellt und anleitet, dass ich seine vielen Prüfungen bestehen soll. Schaffe ich das und beweise ich mich sodann als würdig, würde ich mit diversen Transzendenzen belohnt werden: ewiges Leben, Aufstieg in das Himmelsreich, und ähnlich Unvorstellbares - so genau wird es nicht erklärt. Nun liegt es an mir, herauszufinden, was tatsächlich hinter dieser seltsamen Wirklichkeit steckt. Dafür muss ich toll designte Puzzles in der Egoperspektive lösen. Vieles deutet in den ersten Stunden von "The Talos Principle" tatsächlich darauf hin, dass hier bis zum Abspann ein famoses Spielerlebnis geboten würde. Doch im Laufe der nächsten 15 Stunden schlägt die Anfangseuphorie immer mehr in Frust und Wiederholung um. Am Schluss meiner persönlichen Reise in diesem Spiel bin ich so genervt, dass ich mich nach einem Tag Überlegung dazu entschließe, mir das Ende des Spiels auf Youtube anzusehen und das Game zeitgleich imaginär in die Ecke des Raumes zu pfeffern. Doch alles der Reihe nach.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

"The Talos Principle" setzt sich, wie die meisten Computerspiele, aus einer ludischen und einer narrativen Einheit zusammen, die hier allerdings von Anfang an recht klar voneinander getrennt sind. Das Spiel besteht aus einer hübschen, aber bewusst steril und ohne jegliche Lebewesen gehaltenen Welt, die mit Rätselräumen gefüllt ist. In kleinen Irrgärten suchen wir nach Puzzlesteinen, die wie "Tetris"-Blöcke aussehen und Siegel genannt werden. Pro Rätsel ein Siegel, manchmal gibt es auch Sterne, die sich einem aber nur erschließen, wenn man besonders klug ist. Gelöst werden die Puzzleaufgaben durch das Kombinieren und richtige Positionieren von bestimmten Gegenständen, hauptsächlich große Würfel, Lichtreflektoren und Jammern, mit denen wir diverse elektronisch gesteuerte Dinge kurzfristig lahmlegen können - etwa Kraftfelder oder Minen.

Der erzählerische Teil des Spiels wird in Form von Textdateien dargebracht, die auf überall in der Welt verstreuten Computerterminals zugänglich sind. Zwischendurch finde ich auch die guten, alten Audiotapes, denen ich schon in so vielen Games zuvor gelauscht habe. Ich erfahre mehr und mehr Hinweise von einem Forschungsteam, das künstliche Intelligenz auf die nächste Stufe heben will. Dabei werden viele ethische Fragen gestellt und es wird drauflos philosophiert: Was bedeutet Leben? Ist der Mensch eine Maschine? Können Maschinen Menschen werden? Worin liegt der Unterschied? Wie gestaltet sich der freie Wille? - Alles grundlegende Fragen der Metaphysik, die natürlich nicht neu sind, aber im Kontext der Erschaffung von Intelligenz durch schlaue Computersysteme neue Relevanz gewinnen.

Die Computerterminals als Interface zwischen der einfallslosen Realität von Elohim und dem, was dahintersteckt, sind die einzigen Möglichkeiten, die eigenen Zweifel, über das, was ich beim Spielen von "The Talos Principle" sehe und wahrnehme, zu adressieren. Ich werde gelockt, herauszufinden, was hier passiert ist, warum ich in diesem virtuellen Gefängnis stecke und wer ich überhaupt bin. Die virtuelle Welt, aus der ich nicht raus kann, ist eine Eiswüste, in der drei rostige Fabrikshallen stehen, die in ihren Kellern die Irrgärten bereithalten, deren Geheimnisse ich ergründen muss. Zwischen den Hallen trohnt ein imposanter Turm, der aussieht, als wäre er unendlich groß und würde direkt in den Himmel führen. Elohim warnt mich allerdings davor, dass der Turm nichts Gutes brächte - er sagt mir, dass ich ihn meiden soll. Dass der Turm die verbotene Frucht darstellt und der Weg zu meiner (langsamen) Erkenntnis und Emanzipation sein wird, wird schon früh im Spiel klar angedeutet. Doch all die nahegelegten und vermuteten Dinge, die hinter der Kulisse auf mich warten, sind noch lange nicht für meine Augen bestimmt. Ich muss mich vorher noch beweisen, schon vergessen? Also rein in die Rätselräume und eifrig drauflos gepuzzlet.

Die erste der drei Levelwelten ist noch einigermaßen einladend, die Aufgaben sind nicht immer trivial, manchmal sogar recht knifflig, aber mit Überlegen und Experimentieren gut schaffbar. Stück für Stück werden auch neue Mechaniken eingeführt, etwa der Ventilator, der mich und diverse Gegenstände in eine bestimmte Richtung bläst oder die Kopiermaschine, die mir erlaubt, einen Klon von mir selbst (und den Werkzeugen) zu machen, um schwierigere Rätselnüsse zu schaffen. Die zweite Levelwelt ist anfangs auch noch motivierend, gegen Ende hin aber mitunter schon etwas fies. Ich zögere zunächst aus Eitelkeit, ein Level vorerst mal ungelöst zu lassen. Zwei Stunden später habe ich mich daran gewöhnt, bei zu viel Fragezeichen über meinem Kopf noch länger fingerbeißend im selben Raum zu bleiben, in der Hoffnung, dass mir irgendwann vielleicht doch ein Licht aufgeht.

Währenddessen passiert storymäßig fast nichts: Zwar glitcht die Grafik der Welt an der einen oder anderen Stelle mal wieder (Ja, ist die denn gar nicht echt?!) oder ein angeblich Gleichgesinnter hackt sich in die Computerterminals und versucht mit mir Kontakt aufzunehmen. Doch bis auf diese kleinen Ausreißer bleibt es beim Hören der Audiologs und Lesen der Textdateien. Also gut, weiter Siegel sammeln.

Ich mag nicht mehr

Der Turm besteht aus sechs Ebenen, ich bin aber seit vielen Stunden nur in der ersten Ebene angekommen und weiß nicht, wie ich weiter nach oben komme. Brauche ich noch mehr Siegel? Über 60 hab' ich jetzt schon, und ich habe weit über zwölf Stunden Spielzeit angesammelt. Es ändert sich an der Story nichts mehr. Ich weiß nicht, ob ich alle Siegel sammeln muss, um das Spiel abschließen zu können oder ob ab einer gewissen Zahl an gelösten Aufgaben die Möglichkeit besteht, in einen nächsten Abschnitt fortzuschreiten. Ich sehe mich danach, mehr Hinweise zu bekommen. Ich wünsche mir, dass unvorhergesehene Dinge passieren. Ich jemanden treffe. Sich plötzlich alles ändert. Eine Zwischensequenz kommt. Ich mich schrecke. Ich aufwache. Draufkomme, dass Elohim ein kleiner Bub ist, der in einen Stimmverzerrer spricht oder eine kuriose Text-to-Voice-Software nutzt. Nichts dergleichen passiert. Ich sitze immer noch in dieser affigen sterilen Welt fest und muss diese blöden Siegel sammeln, mit denen man übrigens nicht mehr machen kann als langweilige Tetromino-Puzzles zu lösen um Türen zu öffnen. Ich kann die Würfel, Lichtreflektoren, Jammer und Minen nicht mehr sehen. Manche Features, die erst später im Spiel hinzugekommen sind, verstehe ich nicht wirklich. Da gibt es etwa eine kleine Plattform, die die Spielfigur nehmen und dann über den Kopf nach oben halten kann. Damit kann man angeblich Dinge transportieren und hochheben. Keine Ahnung, wie das funktionieren soll. Ich lege diese Plattform einmal auf eine Druckplatte um eine Tür zu öffnen. Yay.

Ich kann die Würfel, Lichtreflektoren, Jammer und Minen nicht mehr sehen.

"The Talos Principle" hat zwei Kernprobleme: Einerseits sind Story und Spiel zu wenig stark miteinander verwoben um mehr als die Summe der beiden Teile daraus zu schaffen. Die Geschichte ist - trotz ihrer vielen philosophischen Brocken - zu langweilig und geradlinig als dass etwas wirklich Interessantes und Spannendes dabei herauskommen könnte. Wer ist Mensch, wer ist Maschine, warum sind wir hier, was ist die Wirklichkeit - ja, eh. Und jetzt? Gib mir endlich mehr Futter, Spiel! Das andere Problem liegt im Design der Puzzles. So, wie einige andere Denkspiele auch, leidet "The Talos Principle" in den späteren Abschnitten an seinen übereifrigen, mathemathisch-logisch gebildeten Designern bzw. Entwicklern, die offenbar zu wenig von ihrer eigenen erhöhten Knobelkompetenz auf Normalos schließen können. Ich war in der Schule weder auffallend schlecht, noch besonders gut in Mathmatik. Ich war okay. Ich bin auch bei Denkspielen okay. Beide "Portal"-Teile etwa habe ich mit Wonne durchgespielt und mir trotz einiger Nüsse nie dabei gedacht, dass ich zu blöd dafür sein könnte.

"Braid" habe ich geliebt, weil es mir keine übereifrig verknoteten Mathepuzzles geliefert hat, sondern mich zum kreativen Querdenken motiviert bzw. mich dafür belohnt hat. "The Talos Principle" aber gibt mir ziemlich klar zu verstehen, dass ich seinen Aufgaben offenbar nicht gewachsen bin. Immerhin gibt es in manchen Räumen die Möglichkeit, Hilfe anzufordern - das passiert via QR-Codes, die übrigens auch sonst in der Spielewelt versteckt sind und darauf hindeuten, dass hier vor mir schon andere Entitäten getestet und geprüft worden sind. Allerdings steht dann immer auf meine Bitte, mir in diesem Level weiterzuhelfen, der Satz: "Es muss erst ein Bote erweckt werden." Auch das verstehe ich nicht.

Bin ich beleidigt, weil ich das Spiel nicht schaffe? Weil ich zu ungeduldig bin, es weitere zehn Stunden zu spielen, in denen ich viel seufzen und mich oft am Kopf kratzen würde? Vielleicht. Doch "The Talos Principle" ist auch unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten nicht das, was es am Anfang verspricht, zu sein. Die Vergleiche mit "Portal" sind unverdient, denn hier wird eine interessante und widersprüchliche Situation zu Beginn des Spiels nicht in ein fesselndes, überzeugendes Erlebnis übergeführt. Stattdessen hantle ich mich ohne Unterlass vom nächsten zum nächsten zum nächsten Puzzle mit neuen Würfeln, Lichtreflektoren, Jammern und Minen. Das ist übrigens auch der Grund, warum mir Spiele wie "The Room" so auf die Nerven gehen: Anstatt, dass eine packende Atmosphäre erzeugt wird, löse ich ein Puzzle, damit ich in den nächsten Raum gehen darf, wo sofort das nächste Puzzle auf mich wartet. Ich löse eine Rätselaufgabe und öffne eine Tür, damit ich mit noch einer Rätselaufgabe noch eine Tür öffnen darf. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Und einige andere, die "The Talos Principle" länger als sechs, sieben, acht Stunden gespielt haben, wohl auch nicht.

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