Modtag! Decay

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Dass sich Neues aus Bestehendem entwickelt, hat Stefan Köhler bei seinen Abstechern in die Welt der Spielbearbeitungen für VGT am jeweils ersten Montag eines Monats, dem Modtag, bereits an vielen verschiedenen Beispielen gezeigt. In dieser Ausgabe sollen darüber hinaus (philosophische) Erweiterungen vorgestellt werden, die Spieler im Spannungsfeld zwischen Vorherbestimmung und Entscheidungsfreiheit sogar im wahrsten Sinne des Wortes mit existenziellen Fragen konfrontieren…

#18 – Decay (2009)

Dass Kinder einen, wie es heißt, an (die eigene) Endlichkeit erinnern, war zugegeben nicht das erste, woran ich dachte, als ich vor wenigen Wochen das unbeschreibliche Glück hatte, meine Tochter nach der Geburt zum ersten Mal in den Armen zu halten. Einige Tage nach dem anfänglichen Sturm der Gefühle, als ich mit Ringen unter den Augen wieder zu Hause vor dem Rechner saß und mir überlegte, worüber ich für die Mai-Ausgabe dieser Kolumne schreiben könnte, fiel mir aber eine kleine philosophische Modifikation für Half-Life 2 ein, die ich vor Jahren gespielt und die mich anscheinend so tief beeindruckt hatte, dass ich mich nach all der Zeit noch an sie erinnern konnte.

Trotz des Titels Decay (auf Deutsch: Verfall) beginnt dabei alles ganz harmlos in einer bonbonbunten Welt, in der es allerlei zu entdecken und vor allem Rätsel zu lösen gibt, die hier im wahrsten Sinne des Wortes Entwicklungsaufgaben sind: So baut man etwa Türmchen (indem man Würfel stapelt, um zu höheren Ebenen hinaufzusteigen) oder absolviert an anderer Stelle eine Art musikalische Früherziehung mit Klangplatten und Trommeln, um geometrischer Figuren habhaft zu werden, die richtig angeordnet den nächsten Level- bzw. hier Lebensabschnitt zugänglich machen. Hat man die frühe Kindheit als Ort des zweckfreien Spiels verlassen, findet man sich jedoch in der gleichförmig machenden Schule wieder, in der eine sinnentleerte Prüfung nach der anderen zu absolvieren ist.

Die Mod zeigt hier ihre Stärke in einfachen, aber wirkungsvollen Bildern, etwa indem der Spieler in einer Sequenz von Lineal zu Lineal springt, die auf gigantischen Bleistiften rotieren. Im Arbeitsleben angekommen, ist die Karriereleiter eine tatsächliche Leiter, die erst erklommen werden kann, sobald man seinem monotonen Job nachgekommen ist, Briefe und Pakete zu sortieren. Interessanterweise wird dieser Abschnitt in der 2010, also ein Jahr nach Decay, erschienenen Half-Life 2-Modifikation Tedium (auf Deutsch: Langeweile) zugespitzt, in der der Spieler einen Murmeltiertag erlebt, dessen immer gleiche Arbeitsabläufe kein Ziel und damit kein Ende zu haben scheinen. Erst der (bewusste) Ausstieg aus dem Hamsterrad durch zu viele falsch einsortierte Buchstaben gewährt einem schließlich einen Blick hinter die Kulissen, der aber mehr Fragen aufwirft als er beantwortet.

Auch in Decay wird der Spieler am Ende vor die Wahl gestellt, im Trott der Erwachsenenwelt voller Verpflichtungen zu bleiben oder auszubrechen und buchstäblich den Sprung ins Ungewisse zu wagen, der in der Mod im Rückfall in die unbeschwerte Zeit der Kindheit endet. Beide Modifikationen eint damit eine Botschaft, die ich auch meiner Tochter später gerne mit auf den Weg geben will: den Mut zu haben, Strukturen zu hinterfragen, um so herauszufinden, dass es im Leben mehr als nur einen Weg geben kann, der zum eigenen Glück führt…

Genug geschrieben, Let’s Play:

Autor: 
Gast