Weil sie es uns wert sind

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1647Videospiele sind ein Luxusgut" und "Es gibt wohl wirklich wichtigere Dinge, über die man schreiben kann" sind Sätze, die man in letzter Zeit wieder häufiger hört. Das Aufrechnen von Freizeitbeschäftigungen mit Leid in der Welt wiegt schwer, gerade wenn politische Brandherde - Syrien, Irak, Nahostkonflikt, usw. - ständig aus den Weltnachrichten dröhnen.

Doch Spiel ist nicht gleich Spiel. Leuchtendes Beispiel: Fußball. Sich nicht dafür zu interessieren gilt in Ländern und Gesellschaften, die stark Fußball-affin sind, als merkwürdig. Zumindest ein paar Mal pro EM/WM sollte man mit Freunden im Pub das eine oder andere Match schauen, ansonsten muss man sich damit abfinden, als ein wenig schrullig zu gelten. Fußball, so wie einige andere Sportarten auch, ist gesellschaftlich so stark verankert, dass sich ihm kein Medium entziehen kann. Eine Tageszeitung ohne Sportteil? - Undenkbar. Sport ist gesellschaftlich, kulturell, sozial und natürlich auch wirtschaftlich so stark verankert, dass jegliches Hinterfragen in Anbetracht dieser stabilen Institutionalisierung schnell verhallt. Da können etwa in Brasilien aufgrund unverhältnismäßiger Bauaktivitäten wegen der WM noch so viele Dörfer abgesiedelt, indigene Orte zerstört und Land geraubt werden: Das beeinflusst die uneingeschränkte Hingabe zum Fußballspektakel in keinster Weise.

Die Aufmerksamkeit zum Mainstream-Sport ist durch nichts zu durchbrechen, sie bedingt und füttert das Geschäft dahinter und sanktioniert - trotz des einen oder anderen Skandälchens zwischendurch - fast alles. Wer kommt da noch auf die Idee, König Fußball als unwichtig oder banal abzustempeln? Man würde belächelt werden. Sich jedes Match anzuschauen und über Wochen hinweg keine anderen Interessen zu haben, ist sowas von "Mitte der Gesellschaft", wie es Computerspiele in 20 Jahren noch nicht sein werden. Obwohl es doch wirklich wichtigere Dinge gibt, als die Frage, wie viele Eckbälle die Mannschaft XYZ im Halbfinalspiel gegen Mannschaft ABC hatte und warum der eine Spieler dem anderen in die Schulter beißt. Oder?

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Ihre kompetitiven Veranstaltungen reichen nicht mal ansatzweise an etablierte Sportarten heran, doch: Auch Videospiele sind gegenwärtig gesellschaftlich stark durchdringend, obwohl es hier nicht nur ein Spiel, sondern ein unendliches Kollektiv an Spielen ist, mit dem Aufmerksamkeit geschaffen und Umsatz gemacht wird. Games sind die kapitalistische - und damit in weiterer Folge gesellschaftliche - Berechtigung quasi in die Wiege gelegt worden, haben doch schon Atari-Mitgründer Nolan Bushnell und seine Brüder und Schwestern im Geiste in den 70er-Jahren erkannt, dass man mit den anfangs experimentellen Computer- und Videospielen eine Goldgrube ausschöpfen kann.

Das Spiel und sein Inhalt sind wenig relevant - was zählt, sind die Zahlen dahinter.

Die Vermarktbarkeit und Messbarkeit in (Verkaufs-)Zahlen hat Videospiele vor allem in den USA und Japan blitzschnell etabliert - auch, wenn sie von den sie verkaufenden Anzugsträgern kulturell noch lange nicht verstanden werden sollten. Bis heute berichten Publikumsmedien über Games vorrangig dann, wenn es eine Erfolgsgeschichte über sie zu erzählen gibt, die - wie könnte es anders sein - vorrangig mit hohen Verkaufszahlen und Jungmillionären zu tun hat.

Flappy Bird, Grand Theft Auto, Minecraft: Das Spiel und sein Inhalt sind wenig relevant - was zählt, sind die Zahlen dahinter, wie der britische Spielkulturjournalist Simon Parkin in einem aktuellen Artikel gut zusammenfasst. Parkin schreibt darin, dass der kommerzielle Aspekt so stark in Videospiele eingeschrieben ist, dass es egal ist, ob ein multinationaler Konzern oder eine Einzelperson hinter einem Titel steht; letztlich geht es immer um verkaufte Einheiten. Das würde die Entfaltung des digitalen Spiels als kreativ-künstlerisches Medium merkbar bremsen.

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Ein anderes Beispiel ist die ehemalige österreichische Computerspielentwickler- und -vertriebsfirma Jowood (1995 - 2011). Sie hat die meiste Zeit ihrer Firmengeschichte über vor allem durch fehlerhafte Produkte und ambivalente Investments auf sich aufmerksam gemacht. Die Firma hatte schon früh einen Börsengang eingeleitet und war somit ein Fall für die Wirtschaftsseiten und anhaltenden medialen Glamour. Über Jowood wurde bereits regelmäßig berichtet, als im Gesellschaftsteil einer Zeitung höchstens mal etwas über das seltsame "Phänomen Zocken" abgedruckt wurde. Unabhängig von den dahinter stehenden Produkten, also artig den Gesetzen "des Marktes" folgend, bei denen nur ökonomisches Wachstum, aber kein Inhalt zählt, war die gebeutelte österreichische Firma für viele Menschen die erste öffentliche Begegnung mit Computerspielen abseits der Elektronikmärkte und der Zimmer der Kinder.

Ohne wirtschaftliche Geschicke und Missgeschicke können Computer- und Videospiele ihr etabliertes Territorium aber nur schwer halten. Die vorrangigen Inhalte - also Waffengewalt, Autorennen, Fantasy-Schlachten, Geschicklichkeitstests - setzen sich so gut wie immer gegen gut durchdachte interaktive Erzählungen und spielerische Experimente durch. Auch der Umstand, dass sich Games selten ohne Bildschirm und bei ständiger körperlicher Betätigung spielen lassen, hilft nicht dabei, flächenübergreifend gesellschaftlich ernst genommen zu werden. Da kann das eigentliche Wesen von klassischer Sportkultur noch so sehr aus in Couchen lungernden Zusehern bestehen.

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Gesellschaftlich ernst genommen werden, das bedeutet, nicht erklären zu müssen, keine Rechtfertigung und keine Vergleiche treffen zu müssen. Es bedeutet, dass sich alle Gesellschaftsschichten mehrheitlich für die jeweilige Sache interessieren, die Zugänge dazu so unterschiedlich ausfallen wie die Menschen selbst und jegliche Stigmatisierung der Festigkeit der Sache standhält. Was und wer etabliert ist und fest im Sattel sitzt, kann mit Kritik gelassen umgehen, denn es ändert an der Relevanz und am Ruf nichts.

In Anbetracht der andauernden Verteidigungs-haltung ist es  kein Wunder, dass man sich dann und wann selbst die Sinnfrage stellt.

Ein abschätziger Artikel über Fußball tut dem Fußballsport kein bisschen weh, ein abschätziger Artikel über Computerspiele jedoch kann in Fachkreisen schon mal viel Staub und Unsicherheit aufwirbeln. Sind denn diese Spiele vielleicht doch nicht so relevant, wie wir alle glauben oder uns erhoffen? Oma, Papa und die Freundin fanden sie doch auch blöd, und selbst ludisch kompetente Journalisten und Fachautoren wälzen immer wieder Zweifel. In Anbetracht der schon seit über zwei Dekaden andauernden Verteidigung der Kulturform Computerspiel gegenüber der gängigen Meinung ist es auch kein Wunder, dass man sich dann und wann selbst die Sinnfrage stellt. Der gerne herangezogene Vergleich des Computerspiels mit dem Medium Film dient dabei nicht nur dem schnellen Schreiben solider Artikel, sondern auch einem Abgleich des jüngst geschassten Mediums mit einem ehemals geschassten Medium. Darüber hinaus lassen sich natürlich immer auch Zahlen vergleichen (juhu, Spiele gewinnen!) oder Eigenheiten herausstreichen. Filme können möglicherweise bessere Geschichten erzählen, dafür beschäftigen sich die Menschen meist länger mit Spielen, und überhaupt sind die ja interaktiv. Ätsch!

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Es wäre für Spielkulturmenschen eine verstörende Erkenntnis, würde sich herausstellen, dass all jene Recht hatten, die meinten, das wäre doch nur Kinderkram und ginge als Hauptinteresse eines (jungen) Menschen bald wieder vorüber. Schlimmer noch als eine (unwahrscheinliche) gesellschaftlich-kollektive Bestätigung dieser Meinung ist es, wenn man selbst irgendwann daran glaubt, dass das mit dem Kinderkram wirklich so sei. All das, wofür man viele Jahre gelebt, gekämpft und woran man mit Leidenschaft gespielt hat, wäre mit einem Schlag eine immens lange Verzögerung der eigenen Pubertät geworden.

Im Podcast "Insert Moin" über die Zukunft des Games-Journalismus von Mitte Juli, der mit erfahrenen Spieleauskennern besetzt war, kam diese Unsicherheit an manchen Stellen zu Tage. Sie wird zusätzlich durch die zunehmende Verwässerung von Journalismus und Entertainment durch Multimediaformate auf Youtube befeuert. Mit Fußball wäre das nicht passiert, da kann noch so viel gefoult und gegröhlt werden. Denn die gesellschaftliche Selbstverständlichkeit von populären Sportarten ruft so viele aktive mediale Mitgestalter auf den Plan, dass vom launigen Tweet über eine Fußball-Comedy-Show bis hin zur philosophischen Abhandlung in Fachmagazinen nie ein Blickpunkt unbearbeitet bleibt.

Wie tiefgründig kann ein Medium sein, das keine Journalisten braucht, die aufarbeiten, abwägen und analysieren?

Bei Games gibt es hingegen noch zu viele Lücken, noch zu wenig Bedarf an öffentlicher Reflexion. Und wenn es den Journalisten, der aufarbeitet, abwägt und analysiert, möglicherweise gar nicht braucht - wie wichtig und tiefgründig kann das dazugehörige Medium dann schon sein? Eine gute Sache hat die Konfrontation mit dieser Unsicherheit allerdings: Spielkulturmenschen müssen mehr an die Relevanz und die Zukunft "ihrer" Spiele und den dazugehörigen Diskurs glauben als ihre Sportkollegen. Vor allem aber müssen sie an sich selbst glauben, an ihre Interessen und ihren Scharfsinn.

Ist man dabei, diese schwierige Hürde zu meistern, wächst irgendwann die Zuversicht. Videospiele sind nicht dafür da, um sie am Fließband zu konsumieren und sie um jeden Preis zu verteidigen. Wir können sie und unsere Beschäftigung mit ihnen nur dann respektieren, wenn wir uns ihnen ausführlich widmen, wenn wir ihr Potenzial und ihre Reichhaltigkeit ergründen. Denn nur so lässt es sich ohne Sorge kritisch und beherzt an ihnen rütteln und schütteln.

Ohne Sorge, dass am Schluss gar nichts mehr übrigbleiben könnte, über das es sich zu schreiben und sprechen lohnt.

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