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20 Jahre GTA: Männerspielplatz mit Satire-Feigenblatt
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Von Beginn an ist der Name “GTA” aber auch mit Provokation und Skandalen verbunden. Rassismus, Gewaltverherrlichung, Sexismus und Frauenfeindlichkeit werden “GTA” schon fast von Anfang an vorgeworfen; im Fall des im Spiel versteckten Sex-Minispiels in “GTA: San Andreas” musste der Publisher Take Two sogar Millionen Kopien zurückrufen und zur Beilegung eines diesbezüglichen Rechtsstreits über 20 Millionen US-Dollar zahlen.
Der Fan-Begeisterung taten diese und andere Skandale keinen Abbruch – ganz im Gegenteil. Provokation gehört seit jeher zum Erfolgsrezept, denn “GTA”, so sehen es seine Verteidiger, ist eine Ikone einer als subversiv verstandenen Gegenkultur – und der Widerspruch von außen befeuert seinen Kultstatus umso mehr. Dass diese “Subversion” inzwischen in einer Reihe stattfindet, die de facto als Millionenseller längst Mainstream geworden ist, gibt den wenigsten seiner Verteidiger zu denken.
Unverschämtheit als Prinzip, Tabubruch als Kultfaktor, Verachtung für die “Political Correctness” der Kritiker, der ausgestreckte Mittelfinger an jeden Widerspruch: In diesen Aspekten sind “GTA” und die ebenfalls heuer den 20. Geburtstag feiernde Kultserie “South Park” eng verwandt.
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Der düstere Humor von “GTA” lässt sich im Unterschied zur Zeichentrickserie allerdings mit dem Begriff “Satire” nur unzureichend beschreiben. Die US-amerikanische Gegenrealität von “GTA” ist zynisch bis zum Nihilismus, zeichnet alle ihre Figuren als unsympathische Egomanen, lächerliche Verlierer oder geldgeile Kriminelle. Nichts und niemand ist “gut” in diesem zutiefst korrupten, düsteren Zerrspiegel einer gegenwärtigen US-Realität – weshalb auch niemand das Recht habe, sich ungerecht behandelt zu fühlen.
Nur: Wird hier wirklich eine Realität karikiert? Immerhin ist “GTA” kein US-amerikanisches Unterhaltungsprodukt, sondern ein britisches. Seine Schöpfer, Dan und Sam Houser, spiegeln in der Welt von “GTA” nicht die USA, sondern stattdessen genau genommen nur das mediale Bild, das die globalisierte amerikanische Massenmedienkultur von den USA zeichnet – in Thrillern, Serien, Musikvideos, Talkradio-Formaten. Im Unterschied zu “South Park”, das im Übrigen in seinen zwei Jahrzehnten ebenso einiges an problematischem Ballast angesammelt hat , ist “GTA” keine sozialkritische Satire auf eine gesellschaftliche Realität – sondern nur auf deren mediales Bild.
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Das macht die Serie einerseits global wiedererkennbar, andererseits aber auch in ihrer angeblichen Sozialkritik gewichtslos und oberflächlich. Ihr nihilistischer Zynismus begnügt sich damit, medial vermittelte Vorurteile wiederzugeben und erneut zu festigen - eine zutiefst resignative, letztlich konservative Weltsicht. “GTA” benennt die Missstände nicht, um die herrschenden Zustände zu kritisieren - es normalisiert sie.
Der implizite sozialkritische Anspruch jeder Satire, auch pädagogisch zu wirken, muss “GTA” in diesem Licht abgesprochen werden - auch wenn seine Millionen Verteidiger nicht müde werden, mit genau diesem Verweis jedes noch so fragwürdige Element seiner Welt in Schutz zu nehmen. Frauen kommen kaum vor, und wenn, dann nur als Prostituierte, geldgeile Ehefrauen oder fette Emanzen? Schwarze bewegen sich fast ausschließlich in einer stereotypen Welt aus Gewalt und Drogen? Folter und sexuelle Belästigung als interaktive Spielelemente? Alles Satire! – Wer nicht mitlacht, ist humorlos. Und wird, wie im Fall einer Journalistin, die in ihrer ansonsten hymnischen Besprechung von “GTA V” in ein paar Nebensätzen das Thema Frauenfeindlichkeit ansprach, tausendfach von jener – hauptsächlich männlichen – Fanschar niedergebrüllt, die den Spaß richtig verstanden haben will.
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Die Ausrede, “GTA” sei satirisch und jede Kritik deshalb ungerechtfertigt, ist ebenso bequem wie das virtuelle Leben in einer Welt, in der alles egal ist, weil es kein Gut und Böse gibt. “GTA” zeichnet als Open-World-Spiel eine sexistische, misogyne, gewalttätige Welt, in der wir alles tun können, was wir wollen – außer sie nur das kleinste Bisschen zum Besseren zu verändern. Und das ist insofern vielsagend, als sich das Genre, dessen zu Recht gefeierter Höhepunkt die “GTA”-Reihe ist, jenes der Open-World-Spiele, eigentlich die absolute Freiheit ihrer Spielerinnen und Spieler auf die Fahnen geschrieben hat. Spielerische Freiheit, Sozialkritik, Satire – wie geht das zusammen?
Die Antwort lautet: schlecht. Da mag sich die Story, die in Cutscenes und vor und nach den unzähligen Missionen erzählt wird, gelegentlich noch so differenziert, erwachsen oder gar moralisch geben, da mögen einzelne Figuren, wie Niko Bellic, die Hauptfigur von “GTA IV”, noch so komplex und mit tragischer Vorgeschichte ausgestattet sein, da mag man in der Trias der Hauptfiguren in “GTA V” noch so gern Allegorien auf Ich, Überich und Unterbewusstes erkennen: Ihr Reiz und ihr Erfolgsgeheimnis liegt ganz abseits dieser narrativen Elemente.
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Letzten Endes sind die “GTA”-Spiele, trotz all ihrer angeblichen Sozialkritik, ihrer schwarzhumorigen Rundumschläge und niemand verschonender Verachtung, schließlich immer noch Spielplätze, auf denen man mit Gewalt ohne Konsequenzen anarchisches Chaos anrichten darf - das macht sie auch so erfolgreich. Als Open-World-Spiel bietet aber “GTA” keine blanke Leinwand, sondern eine auf ganz spezifische, zynisch-anarchische Weise gestaltete Welt, die unter dem Feigenblatt der Satire just genau das abliefert, was die Autorinnen Elisabeth Raether und Tanja Stelzer schlicht und treffend als “Männerkitsch” bezeichnet haben; für “GTA V Online”, als von Story großteils befreites MMO, gilt dies umso mehr.
Ein hartes Urteil über eine der erfolgreichsten und in ihrer technischen und gestalterischen Perfektion unübertroffene Spieleserie, die Millionen Spielerinnen und Spieler begeistert - aber auch ein Appell zur Weiterentwicklung. Wie kaum eine andere Serie hat “GTA” Qualitäten, die ganz unabhängig von ihrem Inhalt Respekt verdienen. Die Erschaffung einer lebendigen, unfassbar detaillierten Welt wie aus einem Guss und spielmechanische Vielfalt haben die Serie zu Recht zum globalen Millionenbestseller gemacht - als dieser verkommt aber konsequenterweise der ewige Anspruch auf Subversivität zur satten Bequemlichkeit, und Zynismus zur berechnenden Verkaufstaktik.
Nach zwanzig Jahren wäre es vielleicht, in noch kommenden Fortsetzungen, an der Zeit, die lukrative, aber unreife Fuck-you-Mentalität abzulegen – und der gerechtfertigten Kritik mit gewohnter Qualität zu begegnen. Vielleicht mit einer weiblichen Hauptfigur, mit einer Spielewelt, die mehr tut, als altbekannte Stereotype achselzuckend zu wiederholen - und mit Satire, die diesen Namen wirklich verdient hat.