Die Rache der Enttäuschten

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Blizzard Entertainment ist meisterhaft darin, Spieleserien zu pflegen und die Erwartungen hochzuhalten. Doch wenn man es übertreibt, geht der Schuss nach hinten los: Kein Wunder, dass die Ankündigung von Diablo: Immortal zu einem ausgiebigen Shitstorm wurde.

Wir leben in der Zeit der großen Gereiztheit, wie es der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen so treffend benennt. Die Zuspitzung des Individualismus, geprägt durch den modernen Spätkapitalismus und vor allem durch digitale Gemeinschaften und Online-Kommunikation, sorgt dafür, dass viele Menschen der Meinung sind, ihr Lebensstil, ihre Ansichten, ihre Wünsche, Ängste, Sorgen, Vorurteile und Erwartungen seien unantastbar. Sie hätten nicht bloß ein Recht auf ihr individuelles Wesen, sondern jeder, der auch nur ein bisschen ins (subjektive) Fahrwasser gerät, es zu analysieren oder herauszufordern, wird schnell zum Feind hochstilisiert, der einem irgendetwas wegnehmen wollen würde.

Gegenwärtig werden die Gräben zwischen den Gereizten und ihren oft unfreiwilligen Kontrahenten gesellschaftlich und politisch von Woche zu Woche gefährlich größer. Innerhalb von Videospielgemeinschaften ist dieser merkwürdige Kulturkampf zwischen dünnhäutigen Individualisten und den sie herausfordernden Analysten schon Jahre früher ausgebrochen. Die "Gamergate"-Bewegung (2013) war ein gruseliger Vorbote auf jene Diskussionskultur, die wir heute bei vielen Themen in einer beängstigenden Regelmäßigkeit erfahren. Galten Shitstorms vor ein paar Jahren noch als Einzelfälle, gehören sie heute zur Norm - nicht nur im Games-Bereich.

Doch so geschmiert dieses System nun schon seit einigen Jahren läuft, so sehr bauen sich dadurch stets größer werdende Erwartungshaltungen auf.

Doch natürlich hat die öffentliche Empörung nicht nur negative Seiten, denn nicht immer geht es um politische und soziale Themen, sondern oft auch um kommerzielle Produkte und das Verhalten der dahinter stehenden Firmen. Shitstorms, die von verärgerten Kunden gegenüber den verantwortlichen Konzernen ausgebreitet werden, ähneln in ihrem Wesen der Aggression eines verletzten Tieres, das zum wüsten Angriff übergeht: Es ist sich seiner Unterlegenheit rational nicht bewusst, dafür von der bereits stattgefundenen Verletzung emotional umso aufgepeitschter. Unternehmen, die uns ihre Produkte verkaufen wollen, locken uns mittels Werbung heute in einer davor ungesehenen, oft perfiden Art und Weise.

Dass mit Sex, Skandalen und anderen Aufdringlichkeiten Waren verkauft werden, ist ein alter Hut und leicht zu durchschauen - wenngleich die Masche seit Jahrhunderten gut funktioniert. Im digitalen Bereich ist man jedoch schon Meilen weiter: Dank Cookies und anderem Online-Tracking wird jedes Individuum bestmöglich durchleuchtet und mit maßgeschneiderten Werbeangeboten konfrontiert. Bei zeitgenössischen Games wird es manchmal noch trickreicher - dann nämlich, wenn die Hersteller zu Lockmethoden greifen, die man von illegalen Drogen und vom Glücksspiel her kennt. Stichwort Free-to-play: Kunden werden mit freien Angeboten bzw. ersten Gewinnen gelockt, und sobald das Subjekt emotional eingefangen ist, schnappt die Falle zu: Dann werden Lootboxes, Charaktere, Skins, Packs, usw. gekauft, um vollends im jeweiligen Spiel aufgehen zu können, um sich von den anderen abzuheben, um nichts zu versäumen. Doch so geschmiert dieses System nun schon seit einigen Jahren läuft, so sehr bauen sich dadurch stets größer werdende Erwartungshaltungen auf.

Die Unternehmen haben einen Geist gerufen, den sie nicht mehr los werden. Erstmal wollen sie das auch gar nicht. Sie füttern ihre Kundschaft bestmöglich mit neuen Inhalten und Features. Der Haken an der Sache ist jedoch, dass ihnen naturgemäß irgendwann die Luft ausgeht. Denn selbst dann, wenn man sich erfolgreich jahrelang dagegen stemmt, haben Computerspiele eine kurze Halbwertszeit. Wenn sie irgendwann nicht obsolet sind, dann sind sie ab einem gewissen Punkt zumindest weniger relevant.

Bei Spieleentwicklerfirmen ist Blizzard Entertainment seit Jahren die Meisterin, wenn es darum geht, Fans an der Stange zu halten. Auch Jahre vor dem Free-to-play-Geschäftsmodell sind ihre Kernmarken Warcraft, Starcraft und Diablo ausgiebig gepflegt worden. Wegen der hohen Produktionsqualität dieser Serien hatten ihre Spiele einen hohen Wiederspielwert und eine Langlebigkeit, von der andere Games samt ihrer Hersteller nur träumen können.

Starcraft ist das Paradebeispiel für dieses Phänomen: Das Spiel ist bereits 1998 erschienen und hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem Vorzeigespiel sowie der Blaupause für E-Sport gemausert. Blizzard hat danach das Kunststück geschafft, das Game ganze zwölf Jahre lang relevant zu halten - bis zum Jahr 2010, als schließlich doch noch der Nachfolger Starcraft 2 (bzw. der erste Teil der Trilogie) erschienen ist. Die Enthusiasten haben es hingenommen, immerhin war das Originalspiel auch ein Dutzend Jahre später weiterhin ein fantastisches Erlebnis, wenn auch technisch eindeutig in die Jahre gekommen. Wenn das so gut klappt, dachte sich Blizzard, sollte das auch mit unseren anderen Serien funktionieren. Tatsächlich hat der kalifornische Konzern immer viel dafür getan, dass seine Marken nicht für Investoren gut dastanden, sondern dass auch für die Spieler-Communities stets genügend Anreize vorhanden waren, damit diese ihnen nicht den Rücken zukehrten. Diese Markenpflege hat sich traditionell vor allem in der technischen und spielerischen Beschäftigung damit geäußert: Starcraft, Warcraft und Co. wurden lange Jahre hindurch gepatcht, mit Erweiterungen und neuen Inhalten versehen und mit Merchandising-Produkten und Community-Veranstaltungen wie der BlizzCon am Leben gehalten.

Bei älteren Spielen wird die konstante Pflege der Serien jedoch wesentlich herausfordernder.

Doch vor allem die BlizzCon, eine Art konzern-interne Games-Messe, die seit 2005 beinahe jährlich stattfindet, hat in den vergangenen Jahren nicht nur sämtliche Blizzard-Games-Serien am Laufen gehalten, sondern auch von Mal zu Mal die Erwartungen weiter nach oben geschraubt. Mit den neueren Games-Universen Hearthstone (2014), Heroes of the Storm (2015) und allen voran Overwatch (2016) verhält es sich mit diesen hohen Erwartungen wesentlich unproblematischer, liegt ihre Attraktivität in erster Linie im erst wenige Jahre zurückliegenden Erscheinungsdatum begründet. Bei älteren Spielen wird die konstante Pflege der Serien jedoch wesentlich herausfordernder. Mit Warcraft tut sich Blizzard noch am leichtesten, ist die Serie vor allem dank World of Warcraft (2005) zu einer immens starken Marke geworden, die es bis zum eigenen Hollywood-Film geschafft hat. Und obwohl das bei der diesjährigen BlizzCon angekündigte Remaster von Warcraft 3 keine Massen hinter den Öfen hervorholen wird, wurde die Neuigkeit dennoch wohlwollend aufgenommen.

Bei Starcraft, einer über 20 Jahre alten Serie, wird die Pflege hingegen zunehmend zu einem besonders großen Kraftakt. MOBAs haben Echtzeitstrategiespiele schon vor Jahren den Rang abgelaufen, und die heute kleine Starcraft 2 E-Sport-Community kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass das Game nun schon seit rund zwei Jahren von Blizzard nur noch künstlich beatmet wird. Die BlizzCon-Information über einen neuen Co-Op-Commander - eine weitere Figur für einen speziellen Zwei-Spieler-Modus des Spiels - war kaum der Rede wert, und der Hinweis, dass die KI-Technologie Google DeepMind weiterhin mithilfe von Starcraft 2 vorangetrieben wird, war keine Neuigkeit.

Das Shitstorm-Fass auf der BlizzCon zum Überlaufen gebracht hat aber die älteste der von Blizzard Entertainment gepflegten Serien: Diablo. Der erste Teil der infernalischen Hack'n'Slash-Serie ist bereits 1996 erschienen, hat das Action-Rollenspiel begründet und war das erste Game, das über den hauseigenen Online-Dienst Battle.net spielbar war. Doch so pionierhaft diese Leistungen Mitte der 1990er-Jahre waren, so wenig konnten sie konsequent fortgesetzt werden. Bis heute gilt Diablo 2 aus dem Jahr 2000 als der spielerisch-qualitative Höhepunkt der Serie. Der 2012 erschienene dritte Teil war vor allem aufgrund des umstrittenen (und mittlerweile eingestellten) Auktionshauses und einem durchwachsenen Players-vs.-Player-Spielsystem von Anfang an stark beeinträchtigt und hat sich von diesem schlechten Ruf nie wieder erholt. Doch die Fans wollten auch knapp 20 Jahre nach dem Höhepunkt ihre Lieblingsserie nicht ad acta legen. Warum auch, wenn ihre Herstellerfirma sie seit Jahr und Tag so behandelt wie ihre anderen, wesentlich jüngeren und stärker frequentierten Games-Serien?

Blizzard möchte nicht, dass seine Brands und Produkte in Vergessenheit geraten. Doch wenn man einer Serie nichts Substanzielles mehr bieten kann, welche Relevanz hat es dann noch, dass man sie immerzu warm hält? Insofern so war es kein Wunder, dass der etwas tollpatschig, weil überschwänglich angekündigte Mobile-Ableger Diablo: Immortal innerhalb kürzester Zeit in den diversen Gaming-Communities online zerrissen wurde. Die Erwartungshaltung war das genaue Gegenteil: Man hatte auf einen komplett neuen, großen Teil der Spieleserie gehofft. Auf die Frage eines Besuchers der BlizzCon, ob das ein verspäteter Aprilscherz sei, war die etwas verlegene Antwort, dass ja doch ohnehin alle ein Smartphone hätten.

Im kalifornischen Anaheim, dem Austragungsort der BlizzCon, wäre es klüger gewesen, hätte man es bei einer Randnotiz belassen.

Die Ankündigung zu Diablo: Immortal löst eine toxische Mischung aus: Über Jahre aufgebaute Erwartungshaltungen zu einer eigentlich schon seit längerer Zeit nicht mehr relevanten Games-Serie trifft auf ein simplifiziertes Spielerlebnis samt einer ambivalenten Finanzierungsmethode. Dazu kommt noch, dass das kommende Immortal vom chinesischen Konzern NetEase entwickelt wird. Der asiatische Games-Markt unterscheidet sich maßgeblich von seinem westlichen Pendant - nicht nur in Bezug auf Hardware und Spielgenres, sondern auch der Selbstverständlichkeit des Free-to-play-Modells.

Wo die Ankündigung des kommenden Diablo für Smartphones bei einer chinesischen Spielemesse für Furore gesorgt hätte, wäre es im kalifornischen Anaheim, dem Austragungsort der BlizzCon, klüger gewesen, hätte man es bei einer Randnotiz belassen. Darüber hinaus wäre es der Kundschaft gegenüber allgemein ehrlicher, in die Jahre gekommene Marken in der Aufmerksamkeitsökonomie ein paar Reihen nach hinten zu verschieben. Die meisten Namen sind lange genug im Rampenlicht gestanden und verdienen eine würdevollen Abgang. Sollte es doch anders kommen, ist auch nichts verloren: Eine Serie später wieder aus der Mottenkiste zu ziehen, sobald es einen guten Grund dafür gibt, wird das geringste Problem sein.

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