Spiel des Monats: Blood & Souls

Zum vierten Mal Spiel des Monats, und wieder alles anders: Denn diesmal steht nicht ein einzelnes Spiel, sondern gewissermaßen eine Reihe im Fokus. From Softwares Souls-Reihe - Demon’s Souls, Dark Souls 1 & 2 - und deren Nachfolger im Geiste Bloodborne ist eine ganze Woche auf VGT gewidmet.

Bloodborne ist das erste Spiel von From Software, das ich beendet habe. Schon die Souls-Reihe hat mich fasziniert, doch war es eher eine platonische Liebe, die weniger vom direkten Kontakt als vielmehr von Respekt und Hochachtung geprägt war; nicht, dass ich nicht in allen drei Teilen viele Stunden damit verbracht hätte, mir die Zähne an diesen Diamanten auszubeißen; und nicht, dass ich nicht hier und hier diese Faszination schon in Worte gegossen hätte. Nun aber: Bloodborne, in dem ich versunken bin wie lange in keinem anderen großen Spiel, ein Spiel, das mich - wie passend bei all den Metaphern von Blut, Krankheitsübertragung und Infektionen - fast körperlich wie ein Fieber erfasst hat. Das schale Wort “Fan” ist in diesem Zusammenhang zu milde - ich bin infiziert. Fünf kurze Meditationen zur Frage, was Bloodborne - wie auch die früheren Spiele von Hidetaka Miyazaki - so außergewöhnlich macht.

1 Wer mit anderen leidenschaftlichen Spielern, sprich: ebenso Infizierten spricht, sieht sich jederzeit in der Lage, die genauen Orte aus deren Erzählung vor seinem inneren Auge auferstehen zu lassen. Die Spiele von From Software sind mehr als andere Spiele Räume, in denen man sich bewegt, bestehen aus Architekturen, Pfaden, Abkürzungen, Orten der Erinnerung. Einerseits natürlich, weil wir gezwungen werden, sie zum Teil quälend oft zu durchlaufen, nach jeder Auferstehung dieselben Wege so lange zu gehen, bis die Prüfung erledigt ist; andererseits aber auch, weil sie plausibel sind, architektonisch klug in sich gefaltet und zum Großteil, oh ultimatives Nerdtum, als Modelle nachbaubar. Die Brücke, die man möglicherweise zu Beginn in der Ferne sieht, werden wir erreichen; wir werden uns zuvor unter ihr durch, später in ihrem Inneren, danach auf Leitern über sie hinaus bewegen, bis wir schließlich auf ihr stehen, wo uns die Prüfung erwartet. Was uns überrascht, wenn wir wieder hierher zurückkehren, mit Selbstbewusstsein, neuen Waffen, erprobten Reflexen und der Gelassenheit des Veteranen, ist die tatsächliche Kleinheit dieser Welt, deren Linearität geschickt verschleiert wird. Es war dieser Marsch von nicht einmal zehn Minuten, der für uns zu Beginn so endlos weit, tödlich und schier unmöglich erschienen ist? Die Räume, Orte und Architekturen dieser Spiele sind Zeugen unserer Erlebnisse, mit Blut, Schweiß und Tränen, kurz: unseren Gefühlen durchtränkt. Es sind Orte, die bei uns bleiben, auch wenn wir sie nie wieder betreten; Architekturen der Prüfung.

2 Der Begriff der Demut ist nicht gerade in Mode, doch Miyazaki lehrt uns dessen Macht - und die Größe, die uns daraus erwächst. Egal, wie souverän wir geworden sind, wie stark bewaffnet und erfahren wir sind: Übermut, Gedankenlosigkeit und Hochmut selbst vor den schwächsten Gegnern bringen uns verlässlich zu Fall. Wikipedia sagt: Nach Erich Fromms Kunst des Liebens ist Demut die der Vernunft und Objektivität entsprechende emotionale Haltung als Voraussetzung der Überwindung des eigenen Narzissmus - ein Narzissmus, der sonst in einem Medium, das von Machtfantasien und oft kindischer Wunscherfüllung geprägt ist, genährt, gefördert und befriedigt wird. Bloodborne und seine Vorgänger sind Lehrmeister der Demut, ohne uns aber über Gebühr zu demütigen; ihre Prüfungen sind so groß, weil wir an ihnen wachsen sollen, aber nie zu groß, um sie zu bewältigen.

Demut ist die Tugend, die aus dem Bewusstsein unendlichen Zurückbleibens hinter der erstrebten Vollkommenheit hervorgehen kann.

Es ist Michael Abbotts von mir wiederholt zitiertes Bild des “Soul Dojos”, des Ortes der Übung, der uns hier geboten wird, wenn wir uns denn üben und den Prüfungen stellen wollen. Wenn wir “gesiegt” haben, haben wir das Spiel ebensowenig “geschlagen”, wie wir unseren Lehrer besiegen, wenn wir seine Aufgabe gelöst haben; Demut ist die Tugend, die aus dem Bewusstsein unendlichen Zurückbleibens hinter der erstrebten Vollkommenheit hervorgehen kann.

3 Von Inspiration, Genialität und Visionen ist oft die Rede; doch der Wert hervorragenden Handwerks wird in Zeiten von Wegwerfmassenprodukten, wie sie auch kurzlebige Blockbuster sind, nur selten gewürdigt. Wer den Strategy Guide zu Bloodborne durchblättert, kann das präzise Räderwerk, in dem er oder sie im Spiel gefangen ist, im Detail bewundern. Tabellen über Tabellen, Analysen der Angriffsmuster, Verhaltensweisen und Schwächen aller Gegner, nicht nur der Großen, eine genaue Erklärung der verschiedenen möglichen, vom Spieler niemals in allen Varianten erfahrbaren Angriffsmethoden, Waffen, Strategien. Kein Wunder, dass Infizierten wie mir der Gedanke an andere (Rollen-)Spiele nach dieser Erfahrung öde erscheint: Die handwerkliche Präzision, mit der das Gameplay in Sachen Abwechslungsreichtum, strategischer Tiefe und Mechanik glänzt, lassen die meisten Spiele, und seien sie noch so groß, vermissen. Und wie opulent ist diese Welt, wie liebevoll gestaltet, wie verschwenderisch in ihren Details! Vom außergewöhnlichen Charakterdesign über die atmosphärischen Orte bis hin zu den Skulpturen, die gefälligst eigene Kunstgeschichte-Seminararbeiten verdienen: Die Menschen, die an Konzept, Innenleben und Oberfläche dieser Spiele arbeiten, von Hidetaka Miyazaki abwärts, sind Handwerker, für die die Frage, ob sie jetzt denn nicht auch Künstler sind, irrelevant ist, weil sie hinter der Liebe zu diesem Handwerk und ihrer Meisterschaft darin verschwindet.

4 Ich habe zuvor von der Kleinheit dieser Welt gesprochen, und davon, dass ihre Linearität verschleiert wird. Bloodborne ist wie seine Vorgänger ein stolz lineares, in dieser Hinsicht altmodisches Spiel, das den offenen Welten mit ihren leeren Seelen , wie sie am Fließband andernorts überall entstehen, geschlossene Welten mit einem Übermaß an Beseeltheit entgegenstellt. Wenige Spiele trauen sich, das obsessive, inzwischen zumindest mich entnervende Paradigma der offenen Welt so achtlos beiseitzuwerfen und stattdessen die Freiheit des Spielers nicht in möglichst großen, “offenen” Räumen, sondern in den persönlichen Momenten des Flows, in der Performanz des Spielers in diesen Räumen zu suchen. Es macht nichts, dass wir hier eine lineare Geschichte erzählt bekommen, statt uns auf einer riesigen, seelenlosen Weltkarte ach so “frei” von einem Symbol auf der Minimap zum nächsten durchzuschlagen, denn es ist trotzdem viel mehr unsere Geschichte, die wir mit unseren Erinnerungen erfüllen, als es anderswo je der Fall sein wird.

Die Frage, ob Bloodborne und die Souls-Spiele mit ihrem starken Fokus auf skillbasiertem Gameplay denn überhaupt Rollenspiele sind, ist dem Irrtum geschuldet, dass Rollenspiele dem Ego des Spielers die großen Freiräume zu lassen hätten, was seine Bewegung, seine Entscheidungen in der Story oder in der narzisstischen Gestaltung seines Charakters in Aussehen und Zahlen betrifft. Wir spielen hier eine Rolle, die wir mit jeder Bewegung, jedem gelungenen oder verfehlten Angriff, jeder Investition in diese oder jene Waffe, in diesen oder jenen Eigenschaftspunkt ausfüllen. Unser Jäger ist eine Leerstelle, die wir mit unserem Tun ausfüllen, mit unserem Lernen und Üben, und zwar, im Unterschied zu reinen Actionspielen, auf ganz individuelle Art und Weise. Fragt man nach als besonders schwer oder leicht empfundenen Gegnern, bekommt man unterschiedlichste Antworten; was für den einen die schwerste Herausforderung war, ist für den anderen, mit seinem Spielstil, mit seinem speziellen Charakterentwurf, eine Trivialität. Der schweigende Protagonist, dieses auf ewig mit Gordon Freeman verbundene Konzept, hat hier seine höchste Berechtigung.

5 Bei all der Bewunderung für die Architekturen, die Strenge der Prüfungen, die mechanischen Feinheiten und die Souveränität der Gestaltung überragt dennoch für mich die spezifische Art des Erzählens in den Spielen von From Software alle anderen Aspekte in ihrer unmittelbaren Faszination. Es ist ein Erzählen, wie es nur im Computerspielen existieren kann, ein beiläufiges, dunkles, aber dadurch machtvolles Erzählen in Fragmenten, Andeutungen, Hinweisen. Es ist vor allem nur ein potenzielles Erzählen, das bewusst verfolgt werden muss, sich nicht aufdrängt und auch damit zufrieden ist, als reine Atmosphäre zu existieren, in den surrealen Cutscenes ohne Kontext, in kryptischen Botschaften, den Beschreibungen von Gegenständen und wenigen Monologen - kein Wunder, dass die Aufgabe, alles zumindest ansatzweise zu verstehen, eigene Scholaren hervorbringt.

Ein Erzählen, das bewusst verfolgt werden muss, sich nicht aufdrängt und auch damit zufrieden ist, als reine Atmosphäre zu existieren.

Es ist ein Erzählen, das sein Publikum ernst nimmt, und sein Publikum ist beileibe nicht jeder, der Bloodborne und seinen Vorgängern auf andere Weise verfallen ist. Diese Welten offenbaren sich nicht nur im Wort, sondern in allem: in den Gegnern, in den Orten, sogar in den Namen seiner Schauplätze, die Hidetaka Miyazaki selbst und mit großer Sorgfalt auswählt. Ob die Geschichten, die erzählt werden, letztlich weniger banal sind als die anderer Spiele, ist irrelevant; auch wenn Bloodbornes Wandel von Gothic zu kosmischen Horror der Marke Lovecraft, wie er hier meisterhaft dokumentiert ist, sich selbstverständlich in die handwerkliche Brillanz des gesamten Spiels einreiht. Es ist kein Wunder, dass Experimentatoren wie Mark Johnson bei der Entwicklung seines stark literarisch inspirierten Spiels Ultima Ratio Regum die Souls-Reihe als große Vorbilder in Sachen außergewöhnlicher Erzählweise nennt; auch in dieser Hinsicht ist Hidetaka Miyazaki ein konsequenter Innovator.

Bloodborne war das erste Spiel von From Software, das ich durchgespielt habe. Ich werde mich wieder in die Welt der Souls-Reihe wagen und sehen, ob mich die Lehren in Demut nun weiterbringen. Und ich erwarte die noch folgenden Spiele dieses Ausnahmeentwicklers mit großer Spannung. Es gibt meinem bescheidenen Urteil nach aktuell kaum Relevanteres im Bereich großer Spieleproduktionen. Ich bin infiziert. Und glücklich.

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