Aufbruch mit Ermüdungserscheinungen
Das Gamesjahr 2013 im Rückspiegel.
Kaum ein Medium, das so sehr der Zukunft zugewandt ist wie Computerspiele - Conny Lee, Robert Glashüttner und ich haben uns ja erst im letzten FM4 Extraleben genau zu diesen Zukünften unterhalten. Man blickt nicht so gern zurück in diesem Medium und schon gar nicht in diesem Jahr, das laut der Zeitrechnung der beiden größten Konsolenhersteller Jahr Null einer "ganz neuen Generation" ist. Bringen wir das Offensichtliche hinter uns: 2013, das war das Jahr, in dem die historisch am längsten dienende Konsolengeneration endlich ihre Nachfolger gefunden hat. 2013 war NextGen-Launch - auch wenn Nintendo schon ein Jahr zuvor vorgeprescht ist.
Wenn man aber ohne die PR-Brille mit ihren Superlativen auf das Jahr zurückblickt, so sieht man neben dem ökonomisch motivierten Narrativ, dass nun mit PS4 und Xbox One quasi alles, das gesamte Spielen, neuer, besser und "emotionaler" werden soll, eigentlich eine Industrie, die zwar wirtschaftlich so gut wie alle anderen Entertainmentsparten abgehängt hat (wir erinnern uns: "GTA V" hat ja den Einnahmenrekord von "Avatar" lässig eingestellt), zugleich aber irgendwie angeschlagen dahinwankt.
Dead Space 3" trotz Zielgruppenmaximierung ein kommerzieller Misserfolg, "Tomb Raider" mit "nur" 3,4 Millionen Verkäufen eine"Enttäuschung" für Square Enix, "SimCity" ein Fehlstart mit maximalem Kundenfrust: au weia. Nur die 15 Top-Spiele eines Jahres machen Geld, alle anderen seien nicht profitabel, behauptete zumindest Guillaume de Fondaumière vor kurzem. Einige große Hochglanztitel des Jahres - von den oben erwähnten über das von einem Frisurenskandal erschütterte "DmC: Devil May Cry", den Rohrkrepierer "Aliens: Colonial Marines", das wiederaufgewärmte "Batman Origins", das unentschlossene "The Bureau: XCOM declassified", bis hin zum überambitionierten Filmspiel "Beyond Two Souls" - haben die in sie gesetzten finanziellen Erwartungen eher schlecht als recht erfüllt.
Und auch der Start der Xbox One verlief mehr als wackelig: Wie Microsoft nach skandalumwitterten Ankündigungen immer kleinlauter werdend Stück um Stück seiner umstrittenen DRM-Maßnahmen vor dem Launch demontierte, ist ein Gradmesser für die Unsicherheit in einem Medium, das sich rasend schnell verändert.
Die Meister sind müde", urteilt etwa Jan Bojaryn treffend in der Intro über das abgelaufene Jahr und dem kann man nur zustimmen. In gewisser Weise, so bemerkt man vielleicht jetzt im Rückblick, hat sich diese Müdigkeit auch schon länger durchs große, millionenschwere AAA-Gaming gezogen: Die müden kaputten Helden, die sich abgekämpft und zynisch dennoch weiterschleppen, gibt es nicht erst seit "Bioshock Infinite", "Last of Us" und "GTA V", sondern schon eine ganze Weile. Doch wie ihnen fehlt es auch der großen Industrie anscheinend an zündenden Ideen, wie es weitergehen soll.
Genau wie ihren müden Helden fehlt es auch der Gamesbranche an zündenden Ideen, wie es weitergehen soll.
Dass etwa für die alljährliche Wiederkehr von "Call of Duty" mit großem Bombast angekündigt wurde, dass als revolutionäre Neuerung tatsächlich ein Hund und Fische für "Emotionen" sorgen würden, ist schon fast Realsatire. Mit "Assassin's Creed: Back Flag" beschränkt sich Ubisoft ebenso auf Kundenbedienung mit Bewährtem, und in der Liste der auf Amazon UK Top 10 verkauften Videospiele der letzten 15 Jahre findet sich genau ein einziges, das keine Fortsetzung ist. Stagnation statt Revolution - bei Riesenbudgets und Erfolgsdruck tut man sich halt schwer mit Innovativem. Merke: Was der Gamer nicht kennt, kauft er nicht.
Same old, same old? Nicht ganz: Was neu ist, ist eine kritischere Öffentlichkeit in Blogs, Foren und Online-Medien, die dem bislang perfekt geölten Zusammenspiel aus Jubelpresse, Previewhype und Verkaufsfeuerwerk am Launchday hin und wieder Sand ins Getriebe streut. Dass etwa "Bioshock Infinite" trotz aller Ambitioniertheit letztlich mit seiner übertriebenen Gewaltdarstellung, latentem Rassismus und problematischen Geschichtsbildern nicht das "perfect game" ist, sprach sich sogar so weit durch, dass auf der großen Games-Reviewseite Gamespot nach einem euphorischen Launchday-Review - 9 von 10 Punkten! - ein halbes Jahr später ein zweites Review erschien, in dem des Kaisers neue Kleider mit 4 von 10 Punkten beim Namen genannt wurden.
Beim "Spiel des Jahres" für viele, "GTA V", ging es dann noch schneller: Als Gegengewicht zu den sowieso und überhaupt stattfindenden Jubelkaskaden gab es schon beim Launch des Blockbusters kritische Stimmen zu hören, Rockstars Gangster-Sandbox sei unverhohlen frauenfeindlich und könne seinen pubertär-destruktiven Grundton nicht auf ewig mit dem Mäntelchen der Satire rechtfertigen. Dem Verkaufserfolg tat dies zwar keinen Abbruch, das ändert aber nichts daran, dass eine kritischere Haltung gegenüber auch diesen Megatiteln ein begrüßenswertes Novum ist. Auch das Konsumgut Games musste sich 2013 zunehmend kritischeren Blicken stellen als jenen der üblichen Waschmaschinentests.
Wie schön es wäre, könnte man im Rückblick auf das Jahr davon sprechen, dass sich die vor einiger Zeit ins Rampenlicht gerückten Probleme mit Sexismus in Industrie und Spielerschaft durch Anita Sarkeesian oder ein Umdenken in der Branche gebessert hätten! Doch auch 2013 sind solche Outfits auch in großen, "seriösen" Titeln möglich, werden Zombiespiele mitverstümmelten Bikini-Frauentorsosbeworben, witzeln Xbox One-Presenter auf großen Bühnen überVergewaltigungen und werdenYouTuber als Werbefiguren verpflichtet, die ihr "Rape Face" als lustiges Scherzchen verstehen. Da passt es auch ins Bild, dass gegen Anita Sarkeesian nicht nur offiziellePetitionen, sondern sogar vonseiten Anonymous zur Rettung der "Gamer Culture" vor den bösen Frauen aufgerufen wurde. Seufz.
Trotz aller deprimierenden Sexismus-Skandale auch im letzten Jahr: Es regt sich Widerstand.
Man darf dabei aber eines nicht vergessen: In allen oben genannten Fällen regte sich massivster Widerstand, wurden immer öfter jene ansonsten viel zu oft schweigenden Mehrheiten aktiv, um gegen diese Praktiken der Branche, aber auch gegen die Vereinnahmung eines ganzen Mediums durch ein paar sexistische selbsternannte "Core-Gamer" aufzustehen. Überhaupt, die von zahllosen Vollhonks angesichts der bösen Frauen als gefährdet behauptete "Game Culture", was soll das überhaupt sein? Dass Fragen wie diese und auch jene nach der angeblich normalen Geschlechtertrennung im Gaming 2013 auch in großen Gamespublikationen im Netz gestellt wurden, war vielleicht der schönste Erfolg eines Jahres, das ansonsten trotz großer Versprechungen mit großen Aufbrüchen geknausert hat.
Im Kleinen hingegen hat sich viel getan - und so verwundert es auch wenig, dass in vielen der unvermeidlichen "Game of the Year"-Listen heuer überraschend viele Indie-Titel neben dem Hochglanz-Bling des AAA zu finden sind. Eine Auswahl: "Gone Home" hat ebenso wie"Kentucky Route Zero" und "Amnesia: A Machine for Pigs" dem Erzählen im Medium neue Facetten abgewonnen, "The Stanley Parable" hat gleich fast alle Erwartungshaltungen mit Humor unterlaufen und Ausnahmespiele wie "Papers, Please" zeigen nonchalant auf, wie man die Realität in Spielmechaniken gießen kann. All diese und noch viele weitere kleine Titel haben auch 2013 unter Beweis gestellt, dass Videospiele ein aufregendes Zukunftsmedium sind - da ist die Stagnation im Hochglanzsegment leicht zu verschmerzen.
Ein ganzes Jahr ist vorbei - und vieles blieb in diesem Rückblick unerwähnt: der Aufstieg des "Early Access" als Erfolgsmodell, die Widergeburt der PS Vita als Indie-Maschine, die Ouya, die Zukunftshoffnung Oculus Rift, die triumphale Renaissance des Rogue-likes und ein stetig wachsendes Medium, das neben den erwähnten wankenden Dinosauriern auch eine nie zuvor dagewesene Vielzahl kleiner, flinker, toller Spiele hat, die jetzt, über 50 Jahre nach der Geburt des gar nicht mehr so jungen Mediums, diesem irgendwie dann doch in die Mitte der Gesellschaft verhelfen werden.
Tschüss 2013, mit deinem Reboot des Konsolenkriegs mit seinen müden Kriegern: Die Zukunft des Spielens sieht gut aus - ganz egal, welcher Generation die jeweiligen Spielgeräte angehören. Game on.
Dieser Text erschien zuerst für fm4.