Early Access: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben

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Noch vor wenigen Jahren war eines quasi Gesetz: Wer ein Spiel entwickeln wollte, brauchte tiefe Taschen. Konzeption, oft jahrelange Entwicklung, Werbung, Vertrieb - bis der erste Cent hereingespielt war, vergingen schon einmal Jahre. Nur finanzstarke Publisher konnten “ihren” Entwicklern jahrelange Produktionszeiten vorfinanzieren. Zugleich gewährte man in sorgfältig orchestrierten Preview-Events ausgewählten Medien exklusiven Zugang zu den halbfertigen Titeln, damit diese bei der Leserschaft für die nötige Vorfreude - und die essentiellen Vorbestellungen - sorgen sollten. Der Tag des Releases entschied dann allzu oft über Gedeih und Verderb der Entwickler, die dem “großen Tag” traditionell unter oft menschenunwürdigen Crunch-Bedingungen entgegenmalocht hatten.

Das Gegenmodell wurde vom wohl aktuell erfolgreichsten Indie-Spiel der Welt populär gemacht: “Minecraft” , die über 50 Millionen Mal verkaufte Lego-Sandbox des schwedischen Entwicklers Markus “Notch” Persson, bot Spielern bereits Mitte 2009 die Möglichkeit, für niedrige 10 Dollar die unfertige Alphaversion des Spiels auszuprobieren - die “Alpha-Funder” mussten überdies bei Fertigstellung dann keinen Aufpreis auf das fertige, teurere Spiel bezahlen.

Gemeinsam mit dem wenig später erfolgenden Aufstieg der Finanzierung durch Crowdfunding z.B. per Kickstarter stellt Alpha-Funding inzwischen ein funktionierendes und höchst erfolgreiches Gegenmodell zur klassischen Finanzierungsform durch einen Publisher dar. So finanzieren nicht auf den Massenmarkt hin optimierende Konzerne, sondern die Spielerschaft selbst die Entwicklung ihrer Wunschspiele - und dank bescheidener Budgets werden so auch kleine Nischen bedient.

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Early Access hat somit gleich mehrere Vorteile: Die Entwickler können sich unabhängig vom Publisher finanzieren und ihre eigene Vision verfolgen, Bug-Reports und Spielerfeedback fließen in die fortlaufende Entwicklung ein und ungeduldige Spieler können zum Teil schon Jahre vor Release selbst Hand anlegen und sogar noch gegenüber dem regulären Preis sparen.

Es gibt viele positive Beispiele für das Funktionieren dieses Modells: Neben “Minecraft” stehen vor allem die aberwitzige Hardcore-Simulation “Kerbal Space Program” und die phänomenal erfolgreiche Zombie-Sandbox “DayZ” ganz oben auf dem Early-Access-Siegertreppchen. Aber auch “Rust”, “Starbound”, “Don’t Starve”, “The Forest”, “Wasteland 2” und “Prison Architect” sind der Beweis dafür, dass Early-Access-Modelle sowohl für Entwickler als auch Spieler durchaus von Vorteil sind. Das jüngst final veröffentlichte Oldschool-Rollenspiel “Divinity: Original Sin”hat mit seinem Early Access auch bewiesen, dass nicht nur Simulationen oder Multiplayer-Sandkisten, sondern durchaus storylastige, narrative Spiele trotz Frühzugangs für Spieler spannend bleiben können.

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Wo viel Licht ist, ist aber auch viel Schatten. “DayZ”, im obigen Absatz als postives Beispiel genannt, ist trotz sensationeller Verkäufe und Millionen Fans weltweit zugleich abschreckendes Negativ-Exempel für die Schattenseiten des Early Access: Nach jahrelanger Entwicklung ist vieles im Spiel immer noch Stückwerk, die zugrundeliegende Engine stellt sich immer mehr als ungeeignet heraus und die riesenhaft angewachsene Spielerschaft wird von vielen dank fehlender Anticheat-Lösungen und nicht implementierter Community-Tools zunehmend als toxisch empfunden.

Early Access bedeutet einen finanziellen Vertrauensvor-schuss, den manche Entwickler mehr verdienen als andere.

Dass sich “DayZ”-Erfinder und Mastermind Dean Hall Anfang dieses Jahres von seinem nach eigenen Aussagen“fundamental fehlerhaften” Projekt zurückgezogen hat (wenn auch nicht vollständig), wird verbittert als Kindesweglegung interpretiert - trotz millionenfacher Verkäufe, so die Kritiker, bestehe die Gefahr, dass “DayZ” für immer eine halbfertige, bug-verseuchte Ruine von einem Spiel bleibe.

Wenigstens, so könnte man besänftigen, ist “DayZ” zumindest eine Ruine, in der Millionen Spieler bereits viel Spaß hatten - nicht einmal das ist bei den schwarzen Schafen der Branche gesichert. Denn letztlich leistet man mit seiner Teilnahme am Early Access einen finanziellen Vertrauensvorschuss, den manche Entwickler mehr verdienen als andere.

Seit sich im März 2013 auch die Downloadplattform Steam für Early Access geöffnet hat, häufen sich die Negativmeldungen. Erst vor kurzem zog Steam-Betreiber Valve die Notbremse: Der Early-Access-Titel “Earth: Year 2066” wurde kurzerhand von Steam verbannt und die Zahlungen zurückerstattet, nachdem sich User massenhaft über den Zustand des Open-World-Spieles beschwert hatten. Der Developer hatte das Blaue vom Himmel versprochen - eine realistische Chance, dass aus der katastrophalen Alphaversion jemals etwas Vernünftiges werden könnte, sahen weder Spieler noch Valve.

Doch auch in weniger spektakulären Fällen mussten hoffnungsfrohe Alpha-Funder ihren Optimismus bereuen: Das Zombie-MMO “The War Z” implodierte bereits 2012 unter der Last nicht erfüllter Versprechungen, das per Early Access von 200.000 Alpha-Fundern finanzierte Aufbaustrategiespiel “Towns” wurde von seinen Entwicklern unfertig aufgegeben und auch Peter Molyneuxs “Godus” stellte sich - nach gewohnt blumigen Versprechungen an die Finanzierer - nicht als die in Aussicht gestellte Revolution des Gott-Simulationsgenres, sondern als stupide Klickorgie heraus.

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Inzwischen hat Valve im FAQ zu Early Access eine Warnung veröffentlicht: Manche Entwickler, so steht dort zu lesen, würden es eventuell nicht schaffen, ihr Spiel fertigzustellen - die Spieler sollten nur dann Geld ausgeben, wenn für sie der momentane, unfertige Ist-Zustand schon als Kaufanzreiz ausreicht. Kaputte Spiele, die mit Lügen angepriesen und nie fertiggestellt werden: Das Risiko eines Fehlkaufs bleibt - wie meist - letztlich beim Kunden. Trotzdem überwiegt bei Valve der Optimismus: Early Access sei dennoch “the way games should be made”, wie bereits zu Beginn des FAQs bekräftigt wird.

Im schlimmsten Fall hat man bei Fertigstellung dann gar keine Lust mehr, noch weiterzuspielen.

Mag sein, dass Spiele bei ihrer Werdung von früher Kundeninvolvierung profitieren - aber haben auch die Spieler immer etwas davon? Auch wenn “alles klappt”, sprich: das Early-Access-Spiel spielbar ist, die Entwickler Wort halten und irgendwann tatsächlich ihren Titel als fertig beurteilen, gibt es für viele Spieler berechtigte Einwände gegen das aktuell boomende Finanzierungsmodell. Schließlich, so lautet ein nicht von der Hand zu weisender Einwand, verbringt man per Early Access unter Umständen schon so viele Stunden mit einem fehlerhaften, unfertigen Spiel, dass man bei Fertigstellung dann gar keine Lust mehr hat, noch weiterzuspielen. So würde man nur als - nicht nur unbezahlter, sondern sogar zahlender - Betatester missbraucht, der das fertige Spiel dann gar nicht mehr genießen könne.

Dass das Early-Access-Modell nur eine vorübergehende Mode ist, scheint allerdings nicht zu erwarten: Zu erfolgreich ist das Modell für große und kleine Entwickler, und auch für die Spieler großer Early-Access-Erfolge wie “Starbound”oder “Rust” überwiegen die Vorteile des Modells. Denn immerhin werden auch vorsichtigere Käufernaturen, die kein Problem mit den - von früher gewohnten - längeren Wartezeiten haben, in der Regel ja nicht dazu gezwungen, schon in halbfertige Spiele zu investieren.

Im Gegenteil: Abwarten und Tee trinken ist in vielen Fällen, so auch bei so manchem Early-Access-Projekt, wohl die sicherste Variante, bei der nichts schiefgehen kann. Denn merke: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. 

Dieser Text erschien zuerst für den Standard.

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