Fun, fun pain: Hearthstone
Hearthstone ist eine Verkaufsplattform mit Kaufanreizsystem in Spielform.
Während Diablo 3 ein Hybrid war - ein Vollpreisspiel, das dank Echtgeldauktionshaus und Item-Grind als Endgame im Spieldesign seltsam verkrüppelt verblieb -, ist Hearthstone als reiner Free2Play-Titel in gewisser Weise ein offenes Produkt, ehrlich, geradlinig. Dabei erübrigt sich die Frage nach der Moral: Natürlich ist Free2Play ein völlig legitimes Konzept, natürlich kann Blizzard, das hier wie wenige andere alles richtig macht, dieses Monetisierungsmodell nicht vorgeworfen werden.
Blizzard will natürlich Geld verdienen, auch wenn Hearthstone kostenlos spielbar ist. Warum auch nicht? Es ist ein Hochglanzprodukt, das Spaß macht, leidlich originell ist und mit einem Ausmaß an Polish daherkommt, der anderswo fehlt. Es ist Geld wert. Der Reiz, sich in seinen ineinander verzahnten Systemen zu verlieren, vom Crafting übers Sammeln über die Arena bis zum Tüfteln am perfekten Deck, soll aber seine Spieler nicht nur, wie in World of Warcraft mit seinem Abosystem, möglichst lange an das Spiel binden, sondern sie vor allem dazu animieren, tatsächlich Geld auszugeben.
Daran ist nichts Verwerfliches.
Hearthstone zwingt nicht, es verführt. Dementsprechend zelebriert Blizzard den Moment direkt nach dem Geldausgeben, wenn wir unsere Geschenke auspacken. "Open Pack", so heißt ein eigener Menüpunkt, und hinter ihm verbirgt sich eine intime Hinterbühne, auf der wir unsere Neuerwerbungen mit größtmöglicher Haptik auspacken und unserer Sammlung einverleiben. Von Hand ziehen wir unser gerade erworbenes (oder aber im Schweiße unseres Angesichts erspieltes) Kartenpack in die Mitte, ein Feuerwerk an Sound und Effekten untermalt die Enthüllung unserer neuen Spielmöglichkeiten. 40 Packs um ca. 50 Euro, also den Vollpreis von Diablo 3, zu kaufen und hintereinander auszupacken - das ist fast liebloser Hardcore, aber hey: Zeigs uns. Wir wollen es.
Auf der großen Vorderbühne wird mit Karten gespielt - doch auf der fast intimen Hinterbühne geht es um Geld und Endorphine.
Die Blizzard-Psychologen, die hier mit uns spielen, waren ihr Geld wert. Natürlich ist auch Hearthstone wieder ein einarmiger Bandit, in den wir unser Geld schieben sollen, denn natürlich setzt man sich letztlich, trotz aller Skills, die im Spiel tatsächlich gefragt sind, einem Zufallsgenerator aus, der bestimmt, ob in unserem eben gekauften Pack die heiß begehrten Rares, Epics, Legendaries und Golds sind oder nicht. Es ist, wie schon bei Diablo 3 und seinem Loot-Drop-Algorithmus, ein mathematisches System, das per Münzwurf Endorphinausschüttungen generiert. Gerade häufig und selten genug, um uns zu motivieren. Um diese Enorphinausstöße wieder und wieder zu erleben, musste man bei Diablo immer viel Zeit investieren - bei Hearthstone darf man sich konsequent mit Geld von dieser Zeitinvestition freikaufen.
Doch halt: MUSS man denn Geld ausgeben? Die kurze Antwort: Nein - aber das Design bringt einen dazu, es zu WOLLEN. In täglichen Quests lassen sich Goldstücke verdienen, mit denen man sich die intime Kartenpack-Stripshow auch im Spiel und durchs Spielen selbst finanzieren kann - besiege drei Gegner im Ranked-Modus für 40 Gold! -, doch auch hier ist die Imbalance zwischen Belohnung und Aufwand meisterhaft gestaltet: Pro Tag kann ich mir so gemeinsam mit dem Geld für Siege mit nicht ganz unbeträchtlichem Zeitaufwand insgesamt 100 Gold erspielen - genau so viel, wie ein Pack kostet. Um die restlichen 60 Gold freizuspielen, kann ich "Golds" zerlegen, craften oder 18 Partien gewinnen. Eine Partie dauert etwa zehn Minuten, im Crafting-Menü verbringt man auch eingige Stunden - macht solide geschätzt drei Stunden. Pro Tag. Für 100 Tage. Fun Pain at its best.
Fun: Es macht Spaß, zu spielen, sein Deck zu tunen, Karten zu studieren, sich zu messen. Pain: Der Schmerz, der uns dazu bringen soll, zu kaufen, ist hier aber zumindest einer des Verlangens, der Sehnsucht - und nicht, wie etwa in Tiny Tower, jener dumpf bohrende Schmerz der Langeweile, der mit der Erledigung stupidester Aufgaben wie Liftfahrten einhergeht. Dafür ist Blizzard zu gratulieren, denn hier verlieren andere F2P-Titel ihre Spieler: Man fühlt sich schnell zu sehr gegängelt, wenn das Spiel seine Reize hinter stupidem Bestrafen fürs Nichtbezahlen versteckt. Hearthstones spielerische Vorderbühne, das Kartenspiel mit immer neuen Motivationen, bleibt als Spiel immer da, ob bezahlt oder nicht. Es wartet als grundsolide Belohnung neben all der Monetisierung, fast abgekoppelt von der intimen, fast versteckten Hinterbühne, auf der Geld getauscht wird, atemlos Packs aufgerissen und ganz andere, noch intensivere Endorphinschübe erlebt werden.
Oder zumindest: halb abgekoppelt. Denn wer beginnt, im Ranked-Modus oder gegen andere als die vom Matchmaking vorgeschlagenen Gegener zu spielen, bemerkt sehr schnell, dass das Versprechen aller Trading-Card-Games, dass auch ohne den Kauf all der Booster-Packs und Specials gespielt und gewonnen werden kann, schon wieder nicht ganz eingehalten werden kann. Pay2Win, die große Verurteilung jedes F2P-Systems, sie lässt sich nicht widerlegen. Wer bezahlt, hat auf jeden Fall buchstäblich die besseren Karten - zumindest aber hat er sie früher. Den Worten Helfrieds für diese Seite vor zwei Jahren ist wenig hinzuzufügen.
Wer bezahlt, hat auf jeden Fall buchstäblich die besseren Karten - zumindest aber hat er sie früher.
Versuchen wir eine kleine Rechenaufgabe, um herauszufinden, wie viele Packs man kaufen muss, um garantiert alle Karten zu besitzen oder durch Crafting hergestellt zu haben. Nachdem mir die Wahrscheinlichkeiten nicht bekannt sind, werde ich hier nur grob schätzen können. (Natürlich, so ein berechtigter Einwand, wird niemand ALLE Karten besitzen wollen, sondern sich auf einzelne Charaktere spezialisieren.) Die Wiki-Datenbank listet momentan über 500 verschiedene Karten auf, einer laufenden Erweiterung steht aber nichts im Weg. Fünf Karten gibt es pro Pack, und der erwähnte Zufallsgenerator sorgt dafür, dass wir normale Karten sehr oft, seltene und epische aber nur sehr selten zu sehen bekommen. Egal: Behaupten wir mal ganz blauäugig dass wir mit dem Kauf von 100 Kartenpacks so gut wie alle Karten zu sehen bekämen - manche gibt es ja von Vornherein gratis, und besonders rare lassen sich durch das Craften weniger seltener auch herstellen.
Wollen wir uns nun ohne Geldausgeben diese 100 Packs erarbeiten, brauchen wir 10.000 Goldstücke. 100 kann man pro Tag maximal gewinnen, wofür wir, wie oben erwähnt, mindestens drei Stunden spielen müssten. Klar: Auch in der Arena lassen sich Gold und Karten gewinnen - doch nur gegen den Einsatz von 150 Gold darf man sie betreten, und ein Sieg ist keinesfalls garantiert. 100 Tage für 10.000 Goldstücke, für 100 Packs. Ein Dritteljahr also müsste man täglich wohl drei Stunden in Hearthstone grinden, um - vielleicht! - in den 100 Packs alle Karten zu bekommen. (Wahrscheinlich, darauf sei nochmals hingewiesen, bräuchte man sogar noch mehr Packs; andererseits wird wie erwähnt kaum ein Spieler ALLE Karten haben wollen.)
Die Zahlen - grob geschätzt, wie sie sind, und obwohl sie die tatsächliche Drop-Häufigkeit der rarsten Karten nicht berücksichtigt - zeigen uns, warum wir in Hearthstone etwas kaufen wollen. Fun Pain -
something that is simultaneously entertaining and a little bit annoying. [Buyable items that reduce this pain] were extremely popular among players, even though they only existed because it was painful to play the game in the first place!
Fun pain und ihr Heilmittel. Geld auszugeben reduziert unseren Schmerz, der vom Spiel und seinem quälend langsamen Grind verursacht wird. Für 50 Euro bekommen wir 40 Packs auf einen Schlag, in einer Sekunde. Verglichen mit 100 Tagen Mühsal ist das eine Belohnung orgiastischen Aumaßs.
Free2Play ist, wenn es richtig gemacht wird, ein extrem lukratives Geschäftsmodell. Blizzard könnte alternativ ein Spiel zum Vollpreis verkaufen, das alle Karten zum stückweisen Freispielen enthält. Die Einstiegshürde wäre eine Investition von 50 Euro, und diese Hürde ist hoch. Free2Play lockt viel mehr Spieler an, das Gebotene macht Spaß, ist perfekt produziert - und weckt in uns den Wunsch, Blizzard Geld geben zu wollen. Shut up and take my money.
Ist das unmoralisch? Mitnichten. Es ist nur, das ist klar, etwas anderes als das Produkt, das wir normalerweise kaufen, wenn wir ein Spiel erwerben. Hearthstone ist mehr als nur ein Kartenspiel, in dem wir kostenlos gegen Spieler aus aller Welt antreten und dank genial verunmöglichter direkter Kommunikation diesen Spielern nicht zu nahe kommen müssen. Es ist mehr als nur eine Sammlung perfekt in Szene gesetzter Appelle an unseren Komplettierungs- und Sammeltrieb. Es ist auch mehr als nur ein extrem clever gamifiziertes Craftingsystem.
Hearthstone ist all das, aber vor allem eins: Es ist eine Verkaufsplattform mit Kaufanreizsystem in Spielform. Wer das im Hinterkopf behält, wird auf höchstem Niveau unterhalten.
Kommentare
Ich teile die Meinung, dass
Ich teile die Meinung, dass dieses System legitim ist -- trotzdem ist es genau das, was mich weiland davon abgehalten hat, Magic: The Gathering, den Paten der Collectible Card Games zu spielen, obwohl ich mich der Faszination der rudimentären, auf dem Pausenplatz gespielten Partien nicht entziehen konnte. (Tatsächlich war ich selbst überrascht davon, wie oft ich eine viele Jahre später in einem Steam Sale erstandene digitale Version, Duel of The Planeswalkers 2013 oder so, gespielt habe -- obwohl der das wichtigste taktische Element, das Bauen des eigenen Sets abgeht.)
Insofern: so sehr mich Hearthstone von Ferne interessiert (es ist weniger komplex als Magic, oder?), so sehr bin ich mir bewusst, dass ich mir das im Moment schlicht nicht leisten will... wobei ich eher von Zeit- als Geldinvestement spreche.
Das spätestens durch Netrunner: Android populär gemachte Gegenmodell des Living Card Games, bei dem die Karten nicht per Zufall verlost werden, sondern jeder Spieler genau weiss, was in einem neu erstandenen Paket ist, wäre mir sehr viel mehr entgegen gekommen... andererseits verstehe ich aber, das da letztlich weniger Geld zu machen wäre. Trotzdem: Das erste Living Card Game von dieser Qualität und mit dieser Spielerbasis würd mich vermutlich packen. Bis dahin schaue ich weiter sehnsuchtsvoll befremdet auf eure Twittermeldungen zu nächstlichen Hearthstone-Eskapaden.
Ad Zeit: Das Kuriose an
Ad Zeit: Das Kuriose an Hearthstone ist die Tatsache, dass du zwar (natürlich) Stunden um Stunden in das Game versinken kannst, aber nicht zwingend viel Zeit reinstecken musst, um damit Spaß zu haben. Man ist selten wirklich überfordert, vor allem, weil es rundenbasiert ist und du am Anfang nie mehr als fünf Karten hast. Auch mit den basic cards kannst du durchaus gegen Leute gewinnen, die schon 30+ Packs aufgerissen haben, wenn du richtig spielst. Diese zu kennen dauert nicht lange. Das ist schon eine ziemlich Errungenschaft, auch diese spielerische Einstiegshürde so niedrig zu halten.
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