Gemeinsam nach der Apokalypse

Dieser Essay ist ein Gastbeitrag von Agata Góralczyk.

Wenn die Welt zu Grunde geht, will niemand alleine sein. Wer das Ende der Welt überlebt hat, schließt sich mit anderen Menschen zusammen und schöpft aus der Kraft des Miteinanders. So hat es mir zumindest meine Großmutter über die Zeit nach dem Krieg erzählt.

Ich stehe in einem blauen Trainingsanzug vor einer versiegelten Schleuse: Bunker Nr. 13, in dem ich bisher mein ganzes Leben verbracht habe. Ratten knabbern an meinen Schuhen. Es ist dunkel und fremd hier. Ich bin alleine. Ich weiß es noch nicht, aber ich werde bis zum Ende des Spiels alleine bleiben.

Ich mache mich in Fallout auf die Suche nach einem Wasserchip, den mein Bunker dringend zum Überleben braucht. In Shady Sands - einer bäuerlichen Siedlung, auf die ich Gott sei Dank nach kurzer Suche treffe - haben sie viel geschafft. Sie haben nach dem atomaren Weltuntergang einen Ort aufgebaut. Sie züchten Vieh und bauen Gemüse an. Sie haben eine funktionierende Wasserversorgung in dieser Wüste. Es gibt einen Arzt, einen bedachten Anführer und eine Stadtmauer. Niedrige Häuser aus rohem Stein, gerade Feldreihen und gebeugte Rücken zeugen von Entbehrung, harter Arbeit und einer starken Gemeinschaft.

Trotzdem haben sie Probleme, die nur ich lösen kann. Ich, ein Niemand aus einem bis dato versiegelten Bunker. Sie können sich einiger aggressiver Skorpione nicht erwehren und auch die Entführung von Tandi, der Tochter des Dorfvorstehers, durch benachbarte Banden überfordert sie. Ich komme also, ich rette und ich gehe wieder. Es ist nicht nur der Wasserchip, dessentwegen ich weiter gehen muss. Fallout hat einfach keinen anderen Weg vorgesehen. Ich kann zwar die Probleme der Leute auf verschiedene Arten lösen: mit Waffengewalt, mit ein paar Tricks. Ich kann sie auch ignorieren. Niemals aber kann ich ein Teil der Gemeinschaft von Shady Sands werden. Ich kann es immer nur als Kulisse meiner Heldentaten, als Mahnung an meine Entscheidungen und Kompetenzen besuchen.

Auch Junktown, ein Ort mit einer starken Wirtschaft, Recht und Ordnung steht vor unlösbaren Problemen. Sie können sich intern nicht einigen. Jemand soll die Machtverhältnisse im Ort verändern. Der Ort selber schafft das nicht, die Gemeinschaft ist zu schwach. Sie brauchen mich, haben auf mich gewartet. Auf mich, die einzelne Wölfin, die schwarze Ritterin, die einsame Reiterin.

Es ist eine traurige Figur, auf deren Schultern das Wohl und Wehe dieser jungen Welt lastet. Diejenige, die nie dazu gehört, immer außen vor bleibt. Sicherlich ist Fallout ein Spiel mit einer Spielmechanik, die durch Vereinfachung die Komplexität der Realität zugänglicher machen soll. Es ist auch eine Flucht aus dem Alltag, aus der Normalität der komplizierten Beziehungsgeflechte eines echten Lebens, in dem ich auf andere angewiesen bin.

Es ist aber auch mehr. Es ist ein seltsam zerbrochenes Bild von Mensch und Gesellschaft, eines, das in postapokalyptischen Spielen vor allem neueren Datums vorzuherrschen scheint. Maddy Myers schreibt in ihrem Artikel über Zombiespiele das erste Resident Evil (1996) unterscheide sich von seinen Nachfolgern ganz fundamental in der dort gezeigten Weltanschauung.

"... the original Resident Evil differs from post-90s-era zombie videogames because it does not have a libertarian message ... [modern] zombie narratives ... often feature lone wolf, super-smart characters ... The heroes of these stories are the kinds of people who most of us would consider very unpleasant in “real life,” since they’re often assholes who stockpile weapons and have complete disregard for the comfort or safety of others, placing their own well-being above all else ... Indeed, the common assumption seems to be that these types of people are the only possible people who can survive a zombie apocalypse."

Die Bewohnerin des Bunkers Nr. 13, die ich in Fallout (1997) verkörpere, stammt aus einer engen Gemeinschaft. Aus einer versiegelten Anlage, die nun mehrere Generationen nach dem Kriegt beherbergt hat. Ich kenne nichts anderes als die geschlossene Welt des Bunkers. Es wäre mir das Nächste, mich mit anderen zusammenzutun, Hilfe bei anderen erfolgreichen Gruppen zu suchen um zu überdauern.

Statt dessen sehe ich gewachsene Gemeinschaften, die erfolgreich die neue Welt aufbauen und die doch auf meine Hilfe bei den banalsten Problemen angewiesen sind. Ian aus Shady Sands ist ein wesentlich besserer Kämpfer als ich. Er hätte das Skorpionproblem zusammen mit ein paar der Ortswachen längst beseitigt haben können. Fallout aber will mir weismachen, dass diese Gemeinschaft schutzlos ausgeliefert, ein hilfloses und zum Handeln unfähiges Opfer der sie umgebenden Welt ist. Angewiesen auf die Hilfe derjenigen, die von außen kommt: der ungebundene und ex-soziale Übermensch, der überlegene Einzelne. Ich bin eine Art Messias, der aber nicht aus ihrer Mitte stammt, sondern nur von außen kommen kann. Die kleinen Videos am Spielende zeigen es ganz klar und deutlich: Wenn ich den finalen Gegner besiegt habe, florieren die Orte, die ich besucht habe. Tue ich das nicht, bleiben im Sand der Wüste nur noch gebleichte Knochen als Mahnmal an das Versagen.

Es ist ein Bild von Individuum und Gesellschaft, das ein großes Misstrauen gegenüber Gemeinschaften zeigt.

 

Das Bild des überhöhten, einzig kompetenten Individuums in Fallout ist noch gar nicht das größte Drama. Es ist die Degradierung der Gemeinschaften, die viel schwerer wiegt. Die Gemeinschaften in Fallout sind alle inkompetent ihre Probleme zu lösen. In einer Welt, in der es um den Aufbau einer neuen Gesellschaft und um deren Überleben geht, ist Inkompetenz die größte Schmach, gleichbedeutend mit dem Untergang. Es ist ein Bild von Individuum und Gesellschaft, das ein großes Misstrauen gegenüber Gemeinschaften zeigt. Ein Bild, wie es die bekannteste und einflussreichste Verfechterin von individualistischen und anti-kommunistischen Ideologien, Ayn Rand, in ihren Werken ausmalt: Nur eine Welt, die die Interessen des Einzelnen vor die der Gemeinschaft stellt, kann Erfolg haben. Alle anderen sind zu Scheitern und Elend verurteilt.

Sicher kann man Fallout mit seinen zahlreichen Verweisen an die Denkwelt der 50er insgesamt als retro-futuristische Hommage betrachten, in der nicht nur die Designelemente, sondern auch das von den Ängsten der westlichen Welt vor dem Kommunismus geprägte Weltbild übernommen wurden. Bioshock - in der klaren Nachfolge retro-futuristischer Dystopien - stellt diese Problematik ganz klar in den Mittelpunkt seiner Narrative: Die objektivistische Utopie des Andrew Ryan - die Namensähnlichkeit ist gewollt - zerfällt vor den Augen des Spielers in einer Kakophonie aus Wahn. Was bei Bioshock aber als Kritik verstanden werden kann, ist in Fallout der mechanische wie narrative Normalzustand. Als Spielerin kann ich mich diesem unkritisch kolportierten Weltbild nicht verwehren.

Was ist das überhaupt für ein seltsam verqueres Menschen- und Gesellschaftsbild? Eine Vorstellung jedenfalls, die man sich nur in einer stabilen Gemeinschaft und mit einem Lebensstandard leisten kann, in dem keine fundamentalen Nöte herrschen. In einer Kultur, in der die Errungenschaften einer funktionierenden und versorgenden Gesellschaft für gegeben genommen werden und der Einzelne mit seinem Streben nach persönlicher Freiheit und Wunscherfüllung in den Vordergrund der kulturellen Narrative rückt.

Menschen, die einen großen Krieg, die die Verwüstung und Vernichtung überdauert haben, erzählen viel vom Wiederaufbau. Von der Schaffung einer neuen Welt aus den Trümmern einer, die oft unwiederbringlich verloren gegangen war. Sie erzählen von der Suche nach ihren Familien, von neuen Freunden und Nachbarn. Sie erzählen von der Kraft der sich bildenden Gemeinschaften, vom gemeinsam Geschafften.

Die Fantasie von der Überlegenheit des Einzelnen in seiner Autarkie ist gerade in einem post-apokalyptischen Szenario schier absurd. Historisch sind alle Versuche ein Land abgeschottet und ohne Bindungen, also autark zu gestalten elendig gescheitert. Gewachsen sind sie oft aus Angst vor und Unfähigkeit zu Beziehungen und Bindungen, aus Angst vor Menschlichkeit und aus Größenwahn. Kein Mensch ist nur aus sich selbst hervorgegangen. Jeder Einzelne von uns ist aufgezogen, geprägt, versorgt von irgendeiner Gemeinschaft. Menschen, die nicht in der Lage sind, sich in ein gesellschaftliches Netzwerk zu integrieren, sind gewiss auch nicht in der Lage, die Komplexität des wirklichen Lebens und Überlebens von Gemeinschaften überhaupt zu überblicken. Geschweige denn diesen zu helfen.

Nur ein Überlegener, der den Willen zur Macht hat, könne die Welt retten, sei der Welt von Nutzen. 

 

Das Bild von Mensch und Gesellschaft, das mir Fallout in der Interaktion meiner Bunkerbewohnerin mit der Welt zeigt, ist nicht nur absurd. Es postuliert auch, nur ein Überlegener, der den Willen zur Macht hat, könne die Welt retten, sei der Welt von Nutzen. Mit schwerwiegenden Folgen für jeden Nicht-Übermenschen. Ganz schnell sind wir - wenn es um die Frage geht, wie wir mit "nicht ausreichend kompetenten" Menschen umgehen sollen - bei sehr ekeligen Antworten. Wenn es nicht mehr um meinen Platz in der von Beziehungen geprägten Gemeinschaft, sondern um meine Leistungsfähigkeit und Nützlichkeit geht, sind wir viel zu schnell in der Barbarei vor jedwedem Gesellschaftsvertrag.

Die Suchende aus Bunker Nr. 13 kann sich in kein Netzwerk integrieren und kann nicht mit Gruppen interagieren. Es ist in der Mechanik des Spiels nicht vorgesehen Gemeinschaften durch Beziehungsarbeit zum gemeinsamen Handeln gegen eine Bedrohung zu bewegen. Obwohl die Bunkerfrau ein paar Schlagkräftige um sich scharen kann, wird sie bis zum Abspann alleine bleiben. Egal, wie viele sie rettet.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum normalerwachsene Menschen, den klassischen Narrativen von Videospielen nicht viel abgewinnen können. Während die Jugendliche qua ihres Lebensabschnitts nach einer Loslösung aus ihren hergebrachten Beziehungsstrukturen von Familie und Dorf strebt, hat sie im Erwachsenenalter kein sonderliches Interesse mehr an solchen Erzählungen. So sehr The Last Of Us oder Telltales The Walking Dead- in der Nachfolge alter post-apokalyptischer Spiele wie Fallout - in der Modernität ihrer Inszenierungen und Mechaniken gelobt werden, so altbacken und adoleszent ist nach wie vor die Struktur ihrer Geschichten.

Arnost Stanzel hat in der WASD#5 über die prägende Wirkung von Computerspielen auf unser Verständnis von Wirtschaftssystemen geschrieben. Wie sehr prägt das Weltbild eines Videospiels unsere Vorstellungen von Mensch und Gesellschaft?

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