Killing me not so softly: Rückkehr zum Masochismus
EIn Gastbeitrag zur neuen Härte: Mein geschätzter Freund und früherer Kerkermeister Helfried Haider meldet sich mit dem folgenden Text zu Wort. Welcome!
3296: Die Anzahl der Tode, die ich erlitt, bis ich das Gratis-Indy-Spiel I Want To Be The Guy (kurz: iwbtg) durchgespielt hatte. Ein kleines Meisterwerk des 8-bit Masochismus, eine Reminiszenz an vergangene Tage, wo Computerspiele noch pixelig und Tode noch reichlich waren. Es ist nicht das einzige Spiel der vergangenen Jahre, in denen merkbar wird, dass der hohe Schwierigkeitsgrad in Spielen seine Rückkehr feiert.
In den 70er- und 80er- Jahren war es noch die Regel, dass Computerspiele, die damals fast nur als Spielautomaten existierten, sehr schwer waren. "Insert coin to play" war die Devise - und da wollte man natürlich auch ordentlich abkassieren. Wenn ein neuer Spieler mit nur einer Münze eine Stunde lang spielen kann, dann macht sich der Spielautomat nicht bezahlt. Wenn man aber nur eine Minute spielen kann, bevor man in den 8-Bit-Himmel kommt, dann werden die Spieler allzu sehr frustriert – ein kniffliger Balanceakt.
Meist wurden deshalb die Automaten, wenn sie frisch aufgestellt waren, auf "leicht" gestellt. Das gilt allerdings für damalige Verhältnisse: "Leicht" bedeutete noch immer, dass ein ungeübter Spieler nach kürzester Zeit Geld nachwerfen musste. Eine besondere Grausamkeit ist hier dem Erfinder von "Continue play?" zuzuschreiben: Ehrgeizige Spieler werden dadurch animiert, an schwierigen Stellen tonnenweise Geld nachzuwerfen, um trotz Bildschirmtod einen Level weiterzukommen. Wenn der Besitzer des Automaten am Abend feststellen musste, dass die Münzen wegen zunehmender Spielergeschicklichkeit weniger wurden, konnte er mit Hilfe eines Dip Switches die Schwierigkeit des Spiels auf die nächste Stufe heben. Schon am nächsten Tag mussten auch Veteranen dann feststellen, dass sie an Stellen, die sie zuvor mit schlafwandlerischer Sicherheit bewältigt hatten, plötzlich tausend Tode starben.
Noch dazu hatten Spiele damals wesentlich weniger Content als heute. Der hohe Schwierigkeitsgrad diente auch dazu, die wesentlich kürzeren Levels künstlich zu verlängern. Für einen Ghost'n'Goblins Speedrun braucht es nicht mehr als 20-25 Minuten. Bei diesem Klassiker des Masochismus gibt es aber eine besondere Gemeinheit: Alle Levels müssen tatsächlich zweimal gespielt werden, denn beim ersten Mal Durchspielen hieß es lapidar: "The room is an illusion and a trap devised by Satan" - und man beginnt von vorne, mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Erst nachdem man alle Levels noch einmal durchlaufen hat, heißt es in klassischem Nippon-English: "This story is happy end".
Konsolen und Computer haben den Aufbau von Spielen grundlegend verändert. Der technologische Sprung und neue Speichermedien ermöglichten es, wesentlich mehr Content einzufügen. Gleichzeitig wurde der Schwierigkeitsgrad nach unten geschraubt – Münzen musste man nun ja keine mehr einwerfen.. In manchen Spielen wurde es sogar unmöglich zu sterben - ausgerechnet die 2008er-Reinkarnation des in seiner Urfassung doch recht gnadenlosen Prince of Persia rettet dem Spieler bei jedem Absturz unweigerlich das Leben.
Der Vorteil des Hangs zur Casual-Schwierigkeit liegt auf der Hand: Man kann ein wesentlich breiteres Publikum ansprechen, schreckt Computerspielneulinge nicht sofort ab und macht das Spiel vom mörderisch strengen Zuchtmeister schließlich zum einfach zu konsumierenden Entertainment. Spiele werden mitunter sogar zu Familienereignissen.
Mit diesem Trend zum Kuschelspiel ist aber beileibe nicht die ganze Spielerschaft zufrieden: Manche suchen die Herausforderung und genießen die Überwindung absurd harter Prüfungen. Ein von unbeugsamen Spielern bevölkerter Teil des Internets hört nicht auf "härter!" zu schreien – besonders, aber nicht nur im Bereich der Indies.
Die alte Härte ist zurück. Nach langen Jahren des Wartens gibt es wieder Spiele, die einen so richtig dazu bringen, in die Tastatur zu beißen und den Monitor zu zertrümmern. Bei denen man flucht und wimmert und die Nachbarschaft aufweckt, weil man laut schreit, da der Boss gerade, als er endlich stirbt, noch einen letzten pixeligen Feuerball wirft und einen mit in den Tod reißt.
1249: Die Anzahl der Tode in I Wanna Be The Boshy, die der Zähler nach Bezwingung des ersten (!) Bosses anzeigt. Spätere Zählstände werden hier wohlweislich verschwiegen. In diese Reihe des neuen Hardcore-Spielens reihen sich nicht nur klassische Arcade-Games wie IWBTG, No Time To Explain und Super Meat Boy, sondern auch Konsolentitel wie Demon Souls, das nicht zuletzt aufgrund seines hohen Schwierigkeitsgrades in kürzester Zeit eine riesige Fangemeinde aufbauen konnte. Gerade Diablo III, welches im Normalmodus Tode nur mit drei Sekunden Wartezeit und Reparaturkosten bestraft, lässt mit dem Hardcore-Modus die alte Roguelike-Tradition des Permadeath neu aufleben.
Wollen manche Spieler also geknechtet werden? Oder handelt es sich dabei nur um Retro-Masochisten, die noch davon träumen, wie ihnen andere dabei zuschauen, wenn sie Golden Axe mit einer einzigen Münze durchspielen? Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Wem all dies noch immer zu wenig ist, kann sich ja seinen Schwierigkeitsgrad selbst anpassen und mit verbundenen Augen die "no sphere grid no summon no overdrive no escape no no-encounters no blitzball no customize challenge" bei Final Fantasy X versuchen. Oder iwbtg mit einem einzigen Leben durchspielen - laut YouTube geht sogar das. Ich widme mich lieber dem nächsten Spiel.