My AMAZE

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Über die letzte Woche in Berlin zum zweiten Mal über die Bühne gegangene A MAZE Indie Connect wurde schon einiges verewigt, doch wovon das Herz voll ist, geht bekanntlich der Mund über. Deshalb nach Texten für nahaufnahmen.ch und fm4 (hier und hier) ein letztes nostalgisches Roundup ohne formale Zwänge von Christof, Franziska, Robert und meiner Wenigkeit. Ein Free-for-all - wie es sich gebührt. Schön war's dort! Aber das sieht man eh.

Detail am Rande: Alles Nonkonformisten, diese Indies - ausnahmslos! Deshalb schreibt konsequent jeder seine AMAZE anders. Fact.

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Franzi Bechtold: Indie Connect - das war der Untertitel des AMaze. Und dieser konnte sich in seiner Gänze bestätigen. Schlecht organisiert, wie ich manchmal bin, stand ich zunächst vor der Location des vergangenen Jahres, die schick genug war, dass ich mich deplatziert und underdressed fühlte. Zum Glück kein Vergleich zu dem wirklichen Gelände Urban Spree. Geht es doch neben all den Shows, Workshops und Talks (die mal besser, mal schlechter waren) um das Vernetzen. Und dafür bot sich das Urban Spree ungemein an (zugegeben - die permanente Sonneneinstrahlung war sicher nicht unschuldig an der guten Stimmung). Es war lässig, abgefuckt, bunt, gemütlich. Indie eben. Ein Platz, an dem gerne mal ein oder zwei Bierchen getrunken werden. Vereinsamen sah ich über die Zeit hinweg keinen.

Unterm Strich ist der Austausch über das Programm doch ebenso wichtig wie dieses selbst und umso produktiver, wenn er mit Gleichgesinnten geschieht - und der offene Raum rund ums Gelände bot alle Möglichkeit mit Entwicklern, Kollegen, Veranstaltern (und wer eben noch gerade so im Hof stand) zu quatschen. Beispielsweise während man darauf wartet, dass die Award-Feier endlich startet.

Im Grunde war es ein bisschen wie Ferienlager mit Thorsten S. Wiedemann als dauerstrahlendem Heimleiter. Die ausgewogene Mischung aus chaotischer Planung, familiärer Atmosphäre und der Substanz des Programms waren mein Highlight - und können weniger an einer konkreten Situation als vielmehr an meiner Horizonterweiterung nach der Veranstaltung festgemacht werden.

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Rainer Sigl: Gameskultur hat, was Coolness und Popfaktor betrifft, ein Handicap: Spielen ist meist doch ein häusliches, solitäres, manchmal auch einsames Hobby. Wer im Gegensatz zum Zockmarathon im Kinderzimmer etwa gern laute Musik hört und dazu lustige Chemikalien einwirft, macht dies immerhin meist im geselligen Rahmen, umgeben von schick gestylten Gleichgesinnten und hin und wieder im Dreck herumkugelnd. Das macht Spaß, man trifft ähnlich Verstrahlte und erweckt bei zufällig Vorbeigehenden den erstrebenswerten Eindruck, dass da aber ganz schön was los ist in deiner Ecke.

Spielkultur hats schwer, da mitzuhalten. Meistens. Der glorreiche Gegenbeweis, vor wenigen Tagen zu Ende gegangen, war die A MAZE, die auf unnachahmliche Weise Punk Berlin, Indie-Games, Infantilismus und sympathisch selbstbewussten Spaß am Provisorium, am Pop und am guten alten Exzess verbindet.

Es ist wahrscheinlich gar nicht so leicht, die richtige Mischung zu finden: eine Crowd anzulocken, die einerseits zu 100 % Spiele - und nicht nur das damit verbundene Business - liebt und sich andererseits mit souveräner Lässigkeit in der Nachmittagssonne betrinken und nachts abshaken kann - noch dazu zur bizarren Show eines Künstlers wie Anklepants, dessen animatronische Gesichtsmaske samt hyperbeweglicher Penisnase für jedes Undergroundevent der Welt die passende Besetzung wäre.

Vielleicht ist in dieser Mischung gar die Antwort auf die ewige Frage zu suchen, was denn Indie eigentlich ist - oder sein könnte: Games als selbstverständlicher Puzzlestein im Medienmix jedes neugierigen Pop-Astronauten. Die Amaze ist für mich daher auch ein Versprechen an das eigene Medium: Dass man einem gelackten Massenmainstream am fiesesten dadurch den Mittelfinger zeigt, indem man die besten Partys macht und den meisten Spaß hat.

Mission accomplished.

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Christof Zurschmitten: Mein a.maze ist ein Drogendealer am Hintereingang der Urban Spree, der zum Wegweiser kaum taugt. Mein a.maze sind Gespräche über die Synchronisation von Zombiestimmen, während ein vietnamesischer Kellner sich über meinen Übereifer beschwert. Mein a.maze ist ein Typ vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, ein Gorillakostüm und ein Kopfschütteln. 

Mein a.maze ist der Restschweiss auf einem weitergereichten Controller, und das freundschaftliche Fluchen, wenn mein Pixel-Samurai in Zeitlupe zerfetzt wird. Mein a.maze sind die hochfliegenden Pläne für die Zukunft des Journalismus, die nach dem fünften Freibier allen Ernstes gemacht werden, und die letzte Fotokabine Deutschlands vor rostigen Treppen. Mein a.maze ist der Moment verwirrter Blindheit beim Eintritt in den aus Doom entführten Korridor, an dessen Ende einem Lemminge beim Pinkeln zusehen. Mein a.maze ist eine absehbare Dichte von Vollbärten und eine völlig unerwartete von verflucht gut sitzenden Lederjacken. 

Mein a.maze ist eine Gruppe von englischen Trinktouristen und ihr Aufschrei: "Holy shit you guys guess where we're at, a fuckin' international video game conference.“ Mein a.maze ist ein hyperaktiver Pole, dem man es für einmal nicht übelnimmt, wenn er doch nur Spass und Spielen will. Mein a.maze ist das Zögern nach der Frage, was man hier verloren hat und das Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Mein a.maze ist der tausendste Vorsatz, selbst kreativ zu werden, bald, irgendwann, dieses Mal wirklich. Mein a.maze ist Aufwachen neben einem Grasdinosaurier, mit Kurzzeitnostalgie statt Kater. Mein a.maze ist der beste Burger der Stadt neben den Verkaufszahlen der WiiU. Mein a.maze sind panische Anweisungen, den Kato-Axomolator auf fünf zu stellen, jetzt, subito, verdammt, WIR HABEN ES GESCHAFFT. Mein a.maze ist ein Tanz, der aus peinlicher Berührtheit innert Sekunden umschlägt in ein Gefühl von Verbundenheit und Triumph.  Mein a.maze ist „Ach du bist das“, und das dazugehörige Lächeln. 

Mein a.maze ist die Verdichtung von Buchstaben zu Gesichtern und die Erkenntnis, dass der Aggregatszustand nichts ändert an der Sache. Mein a.maze war, schätze ich, alles in allem, eine verflucht gute Zeit.

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Robert Glashüttner: Zwischendurch das Spiel weglegen und sich einen Drink gönnen, an die frische Luft gehen und die gerade erlebten Geschehnisse Revue passieren lassen. Der Ratschlag unserer Eltern, ein ausgeglichenes Leben zu führen, war vielleicht doch nicht so schlecht - und ist sogar mit unserer Leidenschaft für digitale Spiele vereinbar.

Selten war eine Computerspielkonferenz so familiär und hat die perfekte Brücke zwischen uns, den Game-Controllern und dem viel gerühmten "real life" geschlagen wie die zweite Ausgabe der "Indie Connect". Draußen konnten wir zur fortgeschrittenen Stunde sogar buchstäblich mit dem Bier in der Hand "SPiN WARS" spielen - eine Art Deathmatch-"Asteroids" für bis zu vier Spieler/innen, das mit einzig und allein einem großen, roten Knopf gesteuert wird.

Drinnen in der Halle trohnte zur selben Zeit die mächtige Maschine von "The Gaudy Woods", drei an einer hohen, gebogenen Stange montierte Autoreifen, die mit starken Gummiseilen eine Art selbstgebasteltes Fitnessgerät ergaben. Wenn wir uns drauf stellten, rollten wir ein pixeliges Fass durch einen wunderlich-surrealen Wald. Es war eine physische Herausforderung ebenso wie ein immersives Eintauchen in eine virtuelle Welt - jene Eigenschaft, die uns an Computerspielen seit jeher fasziniert. Die "Indie Connect" hat durch ihre gesellige Struktur in keiner Minute einen Zweifel in uns aufkommen lassen, digitale Spiele wären eine unwürdige Zerstreuung. Selten war unsere Zeit für uns Spieler/innen besser aufgehoben als an diesen zweieinhalb Tagen in Berlin.

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