Peters Game
Über die Bundeswehr muss man wissen, dass Änderungen sich dort sehr langsam durchsetzen und dass der Laden beim Aneignen neuer Fähigkeiten weniger auf pädagogisch wertvolle Methoden, sondern eher auf Wiederholen, Wiederholen, Wiederholen setzt: Gewehr zerlegen und zusammensetzen, ABC-Ausrüstung anlegen, ABC-Ausrüstung ablegen oder solange mit Übungshandgranaten beworfen zu werden, bis das mit dem in Deckung gehen richtig klappt. Besteht man einen Test nicht, kriegt man den selben Test nochmal, gefolgt von “Klement! Sie haben doch Abi!” Ein Satz der Segen und Fluch gleichzeitig ist, denn zu einem führt er dazu, dass die Ausbilder einen durch den Test rasseln lassen, als Gleichmachungsmaßnahme - “Doch nicht so schlau, Klement!” Zum anderen darf man aber auch als Wehrdienstleistender an einem simulierten Gefecht auf Battalionsebene mal die Russ...Rotland spielen.
Winziger Exkurs: Die Menschenführung 2000 sollte zu dieser Zeit die Bundeswehr zeitgemäßer machen, da mit dem Ende des Warschauer Pakts sowohl Lieblingsgegner als auch -argument flöten gingen: “Wären das die Russen, wärt ihr alle tot!” Daher wurden neben dem Verbot Schutzbefohlene fies zu schikanieren auch alle Länderbezeichnungen durch Farbcodes ersetzt.
Krieg spielen vs. Kriegsspiele
So begab es sich, dass ich als Kanonenfutter ins Gefechtsübungssimulationssystem eingewiesen wurde, um es den Offizieren nicht unnötig schwer zu machen den Lehrgang zu bestehen. Was sie nicht wussten, dass ich bereits im zarten Alter von vierzehn sowohl Dune II als auch Harpoon kennengelernt habe. Letzteres hat Tom Clancy dazu benutzt, um für seinen Roman "Red Storm Rising" zu recherchieren, in dem der Warschauer Pakt in Europa einen Krieg anzettelt. Als ich bei der Bundeswehr antrat, kamen noch Command & Conquer und einige Multiplayer-Matches in StarCraft dazu.
Einen Basissatz an Spielzügen, wie Rush und Turtle, brachte ich also mit und das ist auch der Grund, warum es einige lange Sitzungen für alle Beteiligten wurden: Denn sie traten an, um Krieg zu spielen, während ich automatisch in meine erlernten Fähigkeiten aus digitalen Kriegsspielen zurückfiel: Für mich war es nur eine weitere Runde Command & Conquer, nur mit schlechter Grafik, fummeliger Steuerung – lauter verschiedene "MOVE"-Befehle – und höherer Komplexität.
Die Tücken des Micromanagements
Mit den ersten kleinen Übungsgefechten zeigte sich bereits, dass wir irgendwie nicht dasselbe Spiel spielten: Ich sollte mit einem dutzend Kampfpanzer und der doppelten Menge an Begleitfahrzeugen ein kleines Dorf einnehmen: Aus einer Meatspace-Perspektive wäre es vernünftig gewesen sich an das Dorf heranzutasten, schließlich will man nicht in einen Hinterhalt fahren. Ich dagegen ließ meine Schützenpanzer mit Vollgas in das Dorf brettern und die Infanterie aus ihren Transportern absitzen. Die Kampfpanzer rückten währenddessen nur in wechselseitigen Sicherung vor.
Was bedeutet, dass ein Panzer steht und sichert, während der andere fährt, dann wird gewechselt. Eine Sache, die man so einem Menschen in einem Panzer nicht extra sagen muss, das machen kluge Panzerfahrer von alleine. Doch in der Simulation war es einer von mehreren Bewegungsbefehlen, die explizit gegeben werden mussten.
Mein Gegenspieler ließ erst einige Fahrzeuge mit dem "MOVE"-Befehl vorrücken, um dann den Rest ebenfalls mit dem selben Kommando hinterherzuschicken. Das Resultat: Die Einheiten meines Gegenspielers rückten langsam über das offene Feld vor, als ihnen die ersten Lenkwaffen meiner Infanterie um die Ohren flogen. Da er nicht mehr zurück konnte, warf er alle Kräfte in einen verzweifelten Vorstoß auf das Dorf, der durch nachrückenden Kampfpanzern völlig aufgerieben wurde – da sie sich eben gegenseitig sicherten und daher die kritische Sekunde vorher auf ihre über das Feld rumpelnden Widersacher feuern konnten. Ich verlor einen Panzer durch einen Volltreffer, einer blieb mit beschädigter Kette liegen. Nach ungefähr fünf Minuten Warten fragte ich vorsichtig “Und was mach ich jetzt?” Der trockene Kommentar des Übungsleiters: “Dein Krieg ist vorbei, fahr doch mal in den anderen Gefechtsstreifen.”
Cheesing, das: Ausnutzen von Fehlern im Spielsystem oder in den Regeln, um einen Vorteil zu erlangen
Darauf folgte die Kür: Rotland, also ich, ein anderer Wehrpflichtiger mit Abi und drei Feldwebel des Simulationszentrums, sollten Ulm so schnell wie möglich einnehmen. Geplant war ein Gefecht von circa drei Stunden, in denen wir uns an den vorbereitenden Stellungen von Blauland aufreiben sollten. Nach einer halben Stunde war alles vorbei und Rotland rollte nach Ulm. Jeder von uns hatte ein Bataillon unter seiner Kontrolle. Mir wurde ein Unterstützungsbataillon zugewiesen, mit einem bisschen von allem, nur ohne schwere Einheiten. Mit dabei waren hundert Transporthubschrauber, die für so einen echten Krieg mit Sicherheit total nützlich sind, mir aber in dieser Situation nichts brachten. Also schickte ich sie vor der Offensive in die gegnerischen Linien. Überall wo einer durch eine versteckte Luftabwehrstellung abgeschossen wurde, schrieb ich mir die Koordinaten auf einen Zettel, reichte ihn an den Typ weiter, der das Artilleriebataillon hatte.
Woraufhin er ihnen Liebesgrüße aus Mosk...aus der Hauptstadt Rotlands schickte. Nach fünfzehn Minuten war an der Front nichts mehr, was einem Kampfhubschrauber oder Erdkampfflugzeug hätte gefährlich werden können. Dann ließen wir die Offensive mit Unterstützung von allem, was Raketen oder Bomben unter den Flügeln hatte, losrollen. Nach zwanzig Minuten waren die Stellungen überrannt. Bevor es zum “GG no re” kam, setzte der Übungsleiter die Simulation zurück. Im Besprechungsraum wurde per Beamer ein lustiges Video gezeigt, in dem ein Esel einen Mann beim Pinkeln stört und dann über die Wiese jagt, um die Schwere der Situation zu unterstreichen. Die Offiziere fanden das nicht witzig. Die Sache mit den Transporthubschraubern, die ich Luftabwehrstellungen suchen schickte, nahm der Leiter mit Humor. Doch aufgrund des brachialen Durchbruchs bekamen wir Kampfhubschrauberverbot für die ersten drei Gefechtsstunden, damit Blauland beim zweiten Anlauf den Sieg davontragen sollten.
Spielverderber
Nach dem Neustart der Übung trafen wir uns diesmal nach zwei Stunden im Besprechungsraum. Das Kampfhubschrauberverbot hatte uns zu schaffen gemacht und die Sache mit den Transporthubschraubern durfte ich nicht mehr bringen. Aber ich hatte in meinem gemischten Battalion eine Menge Kommandofahrzeuge, die in der Simulation nicht sonderlich nützlich waren. In der echten Welt würde ich in einem davon sitzen, doch da Obergefreiter Klement die Befehle kühn via Maus und Tastatur gab, war ihr unmittelbarer Nutzen fraglich. Daher schickte ich sie in jedes Gebüsch, zu dem ich sie durchschmuggeln konnte. Eines davon schaffte es zwei Kilometer hinter die Linie und konnte so die Verteidigungslinie aufklären. Auf die Schwachstelle hämmerten wir mit Bomblets von Artilleriegeschützen und Kampfflugzeugen, nachdem die eingegrabenen Kampfpanzer von Blauland alle ein löchriges Dach hatte, wischten wir mit unseren unverbrauchten Verbänden den Rest auf. Beim Treffen im Besprechungsraum wirkte die Stimmung etwas angespannt, denn Infiltration ging in Ordnung, aber doch nicht mit Kommandofahrzeugen! Das pädagogische Video zu der Gelegenheit: Ein Turner der im Sprung mit seinen Weichteilen voraus mit dem Bock kollidiert und sich dann auf dem Boden windet.
In der dritten Runde fand ich heraus, dass ich Minen auch aus der Luft abwerfen konnte - wieder so ein Ding, dass im tief in den Menüs versteckt war. Da die Simulation immer wieder zurückgesetzt wurde, hatte ich aus der Runde zuvor noch ein ganz gutes Bild der Truppenbewegungen und warf überall in die Nachschubwege großzügig Fahrzeugminen. Hier half “Wiederholen, wiederholen, wiederholen” nur den Bös...Rotland. Dieses Mal sollte es dreieinhalb Stunden dauern, bis wir den Durchbruch erzielten, denn Blauland ging irgendwann der Nachschub aus, der mit dem Befehl “Fahr über Straßen zum Ziel” losgeschickt worden war. Straßen, auf denen jetzt überall Minen lagen.
Eine der goldenen Regeln beim digitalen Kriegsspiel: Zwing deinen Gegner mit möglichst wenig Aufwand viel Kleinscheiß zu managen: Für mich waren es fünf Klicks den Jet loszuschicken. Auf der Gegenseite mussten sie den Tross erst anhalten, umleiten und prüfen, ob auf der Ausweichstrecke nicht auch irgendwelche Gemeinheiten lauerten. Denn wie beim Zauberlehrling machten die virtuellen Einheiten ganz genau das, was man ihnen auftrug: Auch stumpf ins Minenfeld fahren. Beim dritten Treffen im Besprechungsraum bekamen wir hartes Spaßverbot: Keine Kampfhubschrauber, keine Jets, keine Artillerie für drei Stunden. Ein indirektes Todesurteil, dessen Vorbote das Wegfallen der lustigen Videos war. Sie hatten genug.
Bedingt abwehrbereit
Da die Simulation in Echtzeit lief, saßen wir fünf Stunden und versuchten mit den gegebenen Möglichkeiten, unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Inzwischen kamen unsere Gegenspieler auch auf den Trichter, über die äußeren Grenzen Einheiten in unser Hinterland zu schmuggeln, doch die begegneten dieses Mal nicht nur Kommandofahrzeugen, die ich wieder zweckentfremdete, sondern auch Jagdpanzern, die durch schlechtere Beweglichkeit ohnehin mit dem Push der Hauptlinie nicht so richtig mithalten konnten. Doch trotz Tricksereien und fiesen Aktionen im Hinterland mit allem, was ich irgendwie durchschmuggeln konnte: Die Übungsleitung hatte uns durch das Verbot von allem, was irgendwie Feuerkraft schnell und flexibel an die Front bringen konnte, die Zähne gezogen - verständlich, der ganze Scheiß dauerte jetzt schon Stunden länger als geplant. Der heilige Gral der Bundeswehr, das Gefecht der verbundenen Waffen tat das, was von Anfang an hätte passieren sollen: Wir rieben uns an den Stellungen von Blauland auf, da wir nichts anderes mehr tun konnten als den guten alten Tank Rush sehenden Auges in vorbereitete Stellungen zu jagen. Als wir wieder Zugriff auf all unsere Spielzeuge bekamen, war es zu spät. Die Jets, Kampfhubschrauber und die Artillerie hatten nichts mehr, das sie unterstützen konnten. Wenige hundert Meter vor Ulm kam unser Angriff zu erliegen.
Die Stimmung im Besprechungsraum war ausgelassen, es gab wieder lustige Videos. Mein Hauptmann, mit einem Weizen in der Hand, meinte “Na, Klement, haben wir es euch mal gezeigt.” Bevor der rationale Teil meines Hirns es verhindern konnte, sagte ich “Hat ja auch lang genug gedauert.” Zum Wochenende gab es einen neuen Wachplan und ich stand drauf. Totally worth it, GG no re.
PETER KLEMENT hat gedient und glaubt, dass der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit mit dem Besitz eines Schweizer Messers beginnt. Kann noch immer brav alle Varianten der Boyevaya Mashina Pekhoty 1 aufsagen.
P.s.: Dinge, die sie auch nicht witzig fanden:
Bei einem Angriff imaginärer Gegner mitten in der Nacht laut “FUMP” rufen und sich wieder hinlegen, mit dem Hinweis, dass man sie alle mit dem imaginären Granatwerfer erwischt hat.
Bei einem Manöver auf alle Fahrzeuge einen kleinen Klebezettel mit “Unsichtbar und unzerstörbar” anbringen und alle Klebezettel mit Beschreibungen der Sabotagen durch Infiltrationsteams, wie “Sprengkörper im Motorraum”, gepflegt zu ignorieren.