Spiel des Monats: Das Ende der Magischen Stunde
Und dennoch diese Namensänderung: Dark, und sie ist mehr als verdient. Der Beginn des Spiels mit seiner falschen Lagerfeueridylle am Fuß eines gewaltig wirkenden Baums ist ein einziger Trugschluss … denn was danach kommt, sind zahllose Stunden in gebrochenen, in ewiges Zwielicht getauchte Burgen, in diesigen, kränklich vor sich hin wuchernden Wäldern und Verliesen, in denen selbst der Gedanke an ein Wort wie „Oberlicht“ wie blanker Hohn wirkt.
Es ist kein Zufall, dass die Orte, zu denen sich die Spieler meist bloße Augenblicke vor dem Verrecken retten, Lagerfeuer sind, und ebenso wenig zufällig ist der eine Satz, der wie kein anderer mit der Souls-Serie verbunden wird, nicht das von der Marketingabteilung beschworene Prepare to die. Es ist vielmehr ein Mantra, ein Gebet, das diese Worte und die Dunkelheit zu bannen sucht: Praise the sun! Das Geheimnis der Souls-Spiele ist: Sie wissen um die Bedeutung der „Magischen Stunde“, jenem in der Fotografie so geschätzten flüchtigen Moment, in dem Tag und Nacht in der perfekten Balance schweben.
Und es ist abermals kein Zufall, dass das eindrücklichste Erlebnis in Dark Souls genau auf dieser Schwelle stattfindet. Dabei sind die Souls-Spiele an nachhaltigen Eindrücken alles andere als arm – es liegt in ihrer Natur, dass sie sich den zu permanenter Wachsamkeit angehaltenen Spielern in stetiger Wiederholung unauslöschlich einprägen. Und dennoch ragt eine Spitze heraus aus den ausufernden mentalen Karten der durchwanderten Welten, die zweifelsohne noch jahrzehntelang abrufbereit in unserem Gedächtnis warten werden: Es ist der Augenblick, in dem sich der von uns gesteuerte Untote eine Passage erlitten hat durch eine selbst für Souls-Verhältnisse außergewöhnlich böswillige Festung, um auf ihren Zinnen einen jener unwahrscheinlichen Siege gegen einen übermächtigen Gegner zu erringen, die den dunkel pulsierenden Rhythmus der Souls-Spiele vorgeben. Die wortwörtlich aus heiterem Himmel kommende Belohnung sind zwei geflügelte Dämonen, die den Untoten aufladen und mit ihm in die Höhe entschwinden. Der Blick nach unten ist ein Geschenk, ein Rückblick auf die vergangenen zig Stunden, auf die Welt, die man sich Zoll um Zoll erkämpft hat.
Doch der Augenblick gehört nicht dem Blick zurück, sondern dem nach vorne: Die Dämonen tragen einen über eine Klippe, die bislang für das Ende der Welt gehalten wurde, und offenbaren nichts weniger als eine gesamte neue Welt. Ein Meer von Zinnen und Erkern verrät einen baulichen Reichtum, der all die durchaus eindrücklichen Gebiete, die man bereits durchstreift hat, in den Schatten stellen. Wortwörtlich, denn was den Eindruck von Anor Londo so gewaltig macht, ist: die Sonne, das malerische Licht, das die verlorene Stadt durchflutet… erst in diesem Moment versteht man wirklich, wie sehr man sich all die Zeit über nach ihr gesehnt hat, und auch wenn der Weg voran wieder in die Dunkelheit führen wird, ist dieser Augenblick doch der vielleicht wichtigste der gesamten Reise durch Dark Souls: Er erinnert uns daran, was wir bereits geleistet haben, und vor allem auch: was wir noch leisten können werden. Praise the sun.
In Dark Souls II, dem kürzlich veröffentlichten ersten Nachfolger – dem ersten ohne Neuerfindung des Namens – gibt es einen Augenblick, der unzweifelhaft die Erinnerung an dieses Erlebnis aufruft, und er kommt zu einem unerwarteten Zeitpunkt: Das Spiel setzt ein mit einem Marsch durch ein in gräuliche Lichtschlieren getauchtes Tal, das, wie jeder Auftakt innerhalb der Souls-Serie, neben einer verkappten Rahmung der Handlung und einigen grotesk verkürzten Anweisungen vor allem erste Gelegenheiten zum Scheitern birgt. Doch ist dieser Initiationsritus erst einmal überstanden und eine von dumpfer Symbolik widerhallende Höhle durchschritten, wird man, noch etwas feucht und zitternd vor lauter Metaphorik, mit einem unverhofften Anblick konfrontiert: Ein sanft abfallender Pfad führt zu einer Klippe hin, die über einem in goldenes, immerwährendes Abendlicht getauchten Ozean aufragt.
Gorgeous view, so der massenhaft im schemenhaften Nachrichtensystem der Souls-Reihe auf den Boden geschriebene Kommentar anderer Mitspieler, und, unfehlbar: Praise the sun. Ein Gebet, das zum ersten Mal nicht am Ende der Nacht erklingt, sondern einen Anfang markiert. Auch das kann in dieser Serie, die nichts dem Zufall überlässt, nicht anders als gewollt sein. Dieser strahlende Anblick: er ist keine Belohnung, sondern ein Willkommensgeschenk. Es ist die ins Licht geschriebene Bekräftigung der erklärten Absicht der Entwickler, auch neue, andere Spieler begrüßen zu wollen.
An diesem Gedanken wäre an sich nichts auszusetzen. An der Geste mit ihren überspannten Zügen allerdings schon eher, und tatsächlich ist dies das größte Problem einer Serie, die bislang ihren schartigen Charme als Ehrenmal trug, aber trotzdem alles richtig zu machen schien: Dark Souls II meint es, auch wenn es dem Spieler wie zur Bekräftigung seiner motherfuckbadassness immer wieder nägelgespickte Knüppel zwischen die Beine wirft, letztlich gut mit ihm. Und vergisst dabei gelegentlich, wie viel besser seine Vorgänger den Spieler und die Natur seines Kampfs mit den inneren Dämonen verstanden haben. In nichts wird dies deutlicher als im Entscheid, die Gegner, die in Demon’s und Dark Souls nach jedem Ableben des Spielers mit ihm wiederauferstanden sind, nach dem zehnten Tod verschwinden zu lassen. Verfehlt dabei ist nicht, dass es dem Spieler die Möglichkeit entzieht, Erfahrungspunkte zu sammeln und dadurch seinen Spieler-Charakter stärker zu machen – tragisch ist, dass diese Entscheidung es dem Spieler verunmöglicht, seinen Schweinehund zu bezwingen und damit seinen eigenen Charakter zu stärken, der in diese Serie immer unendlich viel wichtiger war als die Statistiken der untoten Gestalt, die auf der anderen Seite des Bildschirms mitleidet.
Das größte Missverständnis gegenüber den Souls-Spielen ist es, dass sie über die Maßen „hart“ seien – sie sind, oder waren, eigentlich nur hartnäckig in ihrer Tendenz, den Spieler ernst zu nehmen. Demon’s Souls und Dark Souls prügelten ihn mit einer Hand zu Tode und streckten ihm zugleich, in einer unendlich nobleren Geste, die andere hin, um zu signalisieren: „Du kannst es schaffen. Gib nicht auf. Ich glaube an dich. Ich werde da sein, und warten, bis du bereit bist.“ Die Verweigerung der Auferstehung der Gegner in Dark Souls II tritt uns dagegen die Füße unter den Beinen weg, um uns freundlich lächelnd eine Krücke hinhalten zu können.
Natürlich ist dies nicht genug, um mit der Faszination der Souls-Reihe zu brechen. Alles andere ist immer noch da: Das Wissen um die Wahrung von Mysterien und die Heftigkeit von Körpern, die aufeinanderprallen, die Forderung ungeteilter Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, für diese Aufmerksamkeit reich zu entschädigen mit ungesehenen Welten, Wesen und dem so seltenen Gut unverbrauchter Ideen… Was gebrochen wurde, ist lediglich der Vertrag zwischen Spieler und Spiel, das beiderseitige Versprechen der Geduld, und der Kreislauf der ewigen Wiederkehr, der die Souls-Spiele so merkwürdig aus der Zeit zu rücken schien.
Mit Dark Souls II ist, mit einem Wort, das Ende der Magischen Stunde angebrochen. Die Balance zwischen Licht und Dunkelheit wird für eine letzte Wanderung halten… ob danach aber ein neuer Tag oder eine neue Nacht anbricht, wird sich erst zeigen müssen.
Dieser Text erschien ursprünglich für die WASD #5.