Spiel des Monats: Was man spielen soll: ICO (2001)
Wie:
Der Clou des Spiels ist, dass Yorda stets an der Hand geführt werden muss – sehr haptisch umgesetzt, indem dazu die Schultertaste R2 (die beim Entwickler Team ICO eine essentielle Rolle zu spielen scheint) gehalten werden muss. Lässt man los, so tauchen schon nach wenigen Sekunden Schattenwesen auf, die Yorda rauben und in die Dunkelheit zerren. Diese gilt es zu bekämpfen und in die Flucht zu schlagen, ohne das Mädchen zu verlieren - ein Action-Element, das auch dazu dient, die reine Erforschung mit traditionellem Gameplay verbindet
Der Schauplatz des Spiels, die gewaltige, verlassene Burg, ist eine einzige bedrohliche Einöde. Eine Ruine, eine zerfallene Festung, die von Mächten übernommen wurden, die wir nicht verstehen. Alles ist trist und traurig, ein Mix aus Finsternis und blendender Helligkeit. Es gibt wenig zu entdecken und eigentlich ist das Ziel der Weg nach draußen. Wirklich schön ist ICO weder auf PS2 noch PS3. Ursprünglich für die PS1 konzipiert, strahlt es nicht unbedingt mit glattgebügelten Texturen, aber wozu auch? Wieso sollte ein Spiel, das in einer Umgebung spielt, die schon lange von der Menschheit verlassen wurde, auch anders, sauber aussehen?
Musikalisch ist wenig los in ICO, aber das Wenige, trägt die kompletten 6-8 Stunden Spielzeit problemlos. Das Hauptthema hört man eigentlich nur zum Schluss einmal und dort ist es perfekt platziert. Die restliche Soundkulisse besteht aus Stille, Wind, dem fernen Flügelschlag der Möwen und sphärischem, bedrohlichem Klängen, sobald die Schattenwesen auftauchen - ein Minimalismus, der erstaunlich modern anmutet.
Warum:
ICO ist eine der schönsten Liebesgeschichten, die je spielerisch umgesetzt wurden. Sie handelt von zwei von der Gesellschaft verstoßenen Individuen, die in ihrer Einsamkeit und Verlorenheit zueinander finden und für die es in dieser Welt nur noch sie beide gibt. Eine sofort beginnende Freundschaft, eine in Sekunden entstandene Sympathie für einander, die daraus geboren werden, dass zwei Geächtete gemeinsam nach Glück suchen. Bonny und Clyde, Romeo und Julia, Orpheus und Eurydike.
ICO ist eines der intensivsten und fesselnden Spielerlebnisse, die ich je hatte. Ich wusste nicht, ob wir die Guten oder die Bösen sind oder ob es sowas wie Gut und Böse überhaupt gibt. Alles was ich wollte, war weg, raus, Freiheit. Und das trotz der omnipräsenten, über den Figuren wabernden, „Versagen“ schreienden Wolke aus Melancholie.
Obwohl: Es kann schon auch öde werden zwischendurch, wenn man sich nicht auf die Geschichte einlässt. Wenn man die Kulisse nicht aufsaugt und zu den Figuren keine Verbindung aufbauen kann, dann können die extrem kurzen 6-8 Stunden sich wie 100 anfühlen. Die Rätsel sind nicht so anspruchsvoll, die Kämpfe fordern selten. Wegen dem, was man für gewöhnlich "Gameplay" nennt, muss man ICO nicht extra wieder ausgraben. Es ist eine Frage der Erwartungshaltung, mit der jedes Spiel steht und fällt - und alle Spiele von Team ICO insbesondere.
Nachbarschaft: Neben den weiteren Spielen von Fumito Ueda - Shadow of the Colossus und, irgendwann vielleicht, The Last Guardian finden sich Elemente von ICO in zahlreichen späteren Titeln, die Einsamkeit und eine Atmosphäre der Melancholie klassischem Gameplay vorziehen - von der Dark Souls-Reihe bis hin zu rein atmosphärischen Titeln wie Journey. Der Einfluss des Spiels auf Gamedesigner kann kaum überschätzt werden.
Soll man? Wenn man sich darauf einlässt, wird ICO seine Spielerinnen und Spieler auch heute, 14 Jahre nach Release, bezaubern, berühren, mitreißen. Man soll - alleine um einen weitsichtigen Pionier selbst zu erleben.