Spiel des Monats: Zynismus als Designphilosophie
Hotline Miami ist ein ausgestreckter Mittelfinger an die Welt. Söderströms erstes kommerzielles Spiel sollte nichts weniger sein als der resignierte Versuch, zu überleben, mit Spielemachen Geld zu verdienen. Trotz aller auch international bewunderten Brillanz seiner verqueren Games-Experimente sah sich der Schwede durch den Ausfall eines Unterstützers gezwungen, selbst kommerziell zu werden, sich selbst zu verkaufen. Und wenn schon, dann richtig.
Es fällt schwer, nicht schon in der Auswahl von Hotline Miami als erstes kommerzielles Projekt des gemeinsam mit Dennis Wedin gegründeten Studios Dennaton Games einen pragmatischen, aber zugleich geradezu bissigen Zynismus zu sehen. Hotline Miami ist ein Mordsimulator, wie er von Elternvereinen gehasst, von Millionen junger Spieler aber schon aus Prinzip geliebt wird: Als einsamer Rächer in Blut zu waten, kaltblütig und präzise ohne Emotion Dutzende gesichtslose Feinde in den Tod zu befördern, Schlachthäuser zu hinterlassen, bewaffnet mit bloßen Fäusten, Messern, Baseballschlägern, Pistolen, Schrotflinten - Hotline Miami ist an seiner Oberfläche eine brutale Machtfantasie, wie sie in C-Movies des Action-Splattergenres seit Jahrzehnten ohne großen Aufwand ihr Publikum findet.
Super Carnage hieß der Prototyp, an dem Söderström zuvor seit Jahren gearbeitet hatte, und es fällt auch schwer, sich einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dessen Konzept und jenem von Hatred einzureden, das ebenso das Töten als zentrales Element zelebriert. Wenn der Kraftakt, mit einem Spiel richtig Geld zu verdienen, gelingen würde, dann damit.
Dass Hotline Miami es nicht dabei beließ, diese im unnachahmlichen Flow inszenierte Gewaltorgie als Selbstzweck stehen zu lassen, macht seine Qualität aus und entfernt es Welten vom oben erwähnten polnischen Trottelmassaker. Ohne mich wiederholen zu wollen : Wir sind Tiere, die Grausames tun, ohne dafür einen Grund zu brauchen. Dass Hotline Miami uns das zeigt und sich zugleich über uns lustig macht, ist ein Moment, der Bioshocks stets überschätztem Wendemoment die Hosen runterzieht und ad absurdum führt: Scheiß auf hypnotische Phrasen - nobody made me do it.
Folgt man einer anderen Betrachtungsweise, wie es Joe in seinem Text zu Wrong Number tut, ist all das nur eine erfolgreiche Rechtfertigungsstrategie, ein intellektuelles Verbrämungsmäntelchen, um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen, hier trotz aller verschwurbelten Zitate von Lynch bis Nicolas Winding Refn eigentlich nur ein Geschicklichkeitsspiel mit unnötig blutiger und letztlich pubertärer Bebilderung zu genießen. Es macht den Kern eines gewalttätigen Spiels nicht unproblematisch, wenn uns von der Erzählebene eine Möglichkeit zur Metareflexion angeboten wird. Sind wir moralisch wirklich schon aus dem Schneider, weil uns das Spiel unsere Freude am virtuellen Massenmord höhnisch vor Augen hält?
Die Antwort auf diese Frage ist – irrelevant. Letztlich interessiert sie auch seine Macher nicht, die mehr als deutlich schon in Teil eins in einer absurden Schlusspointe als gelangweilt-sinnlose Drahtzieher des Mordens nur mit den Achseln zucken. (Wer übrigens meint, der durch Fleißaufgaben freischaltbare alternative Schluss inklusive Verschwörungstheorie sei der richtige, verdient wohl jeden Spott.) Hotline Miami ist kein Spiel über Gewalt, sondern eines über Gewaltrezeption, über die Diskussion darüber und über ihre kommerzielle Verwertbarkeit. Es ist eine Schöpfung des blanken Zynismus, der, wie immer, aus enttäuschtem Idealismus geboren ist. Natürlich ist die Metaebene ein Deckmäntelchen, sind die Story, die letztlich seichten Reflexionen zu seiner Gewalt und auch die ruhigen Szenen, in denen wir durch unsere Schlachtfelder zurück zum Auto gehen müssen, kalkuliert, Fassade, Vorwand – aber zugleich, das sollte nicht vergessen werden, sind sie da, sind im Spiel reflektiert und Teil des Gesamtpakets. Das ist nicht nichts.
Hotline Miami bietet nicht nur eine Rechtfertigung für seine unreflektierten Spieler, die sich so ironischerweise die Frage nach der Fragwürdigkeit ihres Tuns nicht mehr selbst stellen müssen, sondern denkt die Diskussion über sich selbst mit, hinterfagt sich, oberflächlich, aber auch auf einer Metaebene. Es verspottet beide: seine unreflektierten Spieler, die es direkt und plump beleidigt und verhöhnt, aber auch seine “intellektuellen” Verteidiger, denen es letztlich und bewusst Banales als Tiefgründigkeit verkauft. Dennaton, so muss man unterstellen, verachtet beide Zielgruppen, denen man mit jeweils guten Gründen ein Produkt anbietet.
Das könnte man verwerflich nennen, wenn Hotline Miami nicht zugleich in seiner Hingabe zur Perfektion des Gameplays, in seiner hypnotischen Ästhetik von Sound und Grafik, in seiner Fähigkeit, Flow auszulösen, ein so verdammt gutes Spiel und den Eintrittspreis unbesehen wert wäre.
Wrong Number, so verurteilt mein geschätzter Freund und Kollege Joe schon im ersten Satz seines Texts den Nachfolger, wäre nun, selbst nur gemessen an seinem Vorgänger, kein gutes Spiel. Und er versucht auch den Einwand zu entkräften, just das sei Absicht: Das Argument vom absichtlich schlechten Gamedesign, so Joe, diene letztlich nur als Schutzschild vor Kritik. Dabei, so widerspreche ich, hat Wrong Number diesen Schild nicht nötig, versucht ganz und gar nicht, seine Designentscheidungen dadurch zu rechtfertigen . Wenn eine mögliche Definition eines guten Spiels jene sei, dass es imstande wäre, einerseits durch sein Design die Ideen seiner Macher wahrhaftig zu verkörpern und andererseits seine Spieler nicht zu langweilen, dann ist Wrong Number beileibe kein schlechtes Spiel. Ich bewundere es im Gegenteil sogar dafür, so direkt und mit derartig konsequentem Zorn trotz aller Ähnlichkeiten zum Vorgänger diesen kontinuierlich zu dekonstruieren, die Allmachtsfantasie zu zerstören, mit noch größerer Verachtung und beißendem Spott all das wegzulassen, was an Teil eins universelles Lob erfahren hat.
Der leichtfüßige Flow, die Improvisation – verschwunden, ersetzt durch Auswendiglernen, stumpfen, wenn auch immer noch hypnotischen Grind, Die and Retry: "No will of our own, just mindless obedience", wie es im Spiel heißt. "All we know is that deep down, somewhere in there, we enjoy it." Die Story, trotz surrealer Zeitsprünge und absichtlicher Verdunkelung in Teil eins linear, aber andeutungsstark, vielsagend, im Nachfolger ersetzt durch ein chaotisches Durcheinander, das zu viel sagt, überladen ist und dennoch keinen Sinn ergeben will. Russen auf Hawaii, militärische Drogen, Untergrundorganisationen, Atombomben, Polizeithriller, alles egal. Es ist absurd, Wrong Number diese Verworrenheit vorzuhalten: Hier wird mit Lust jener Deckmantel dekonstruiert und buchstäblich in die Luft gesprengt, der in Teil eins als oberflächlich intellektuelle Klammer eine Rechtfertigungsschablone, eine scheinbare Metaebene angeboten hat: Die Sinnlosigkeit, hier nach einem Auftrag, in all dem Morden einen Sinn zu suchen, wird mit Nachdruck sabotiert. Das ist das Gegenteil von "Obfuscation", wie Joe schreibt, von Verdunkelung: Im Gegenteil ist es eine absichtliche Offenlegung des immer schon Abstrusen, das wir doch gern als Rechtfertigung gehabt hätten. Es ist sowieso egal – have a nuke.
Am Ende wandern wir, skandinavisch-mythische Insider-Schlusspointe, als völlig durchgedrehter Drogenwahnsinniger über die Regenbogenbrücke ins Nichts statt als Krieger nach Walhalla. FUCK YOU. YES, YOU ESPECIALLY.
Die Liste der absichtlichen Kränkungen seiner Spieler lässt sich fortsetzen. Militärmissionen, die sich nicht zufällig anfühlen wie aus Ikari Warriors und Commando reinkarniert; Levels, in denen die verschiedenen Gegnertypen das Spiel fast den Charakter eines blutigen Puzzlers annehmen lassen; Handlungszweige, die im Nichts verschwinden. Wrong Number demütigt seine Spieler - besonders jene, die mit der Form des ersten Teils besonders gut vertraut waren.
Wrong Number ist in seiner Feindseligkeit noch zynischer als der Vorgänger, der als kalkuliertes Vehikel zum Geldmachen schon berechnend genug konzeptioniert war. Es ist, siehe die Definition des Wortes ganz oben, von beißendem Spott geprägt und missachtet bewusst die Gefühle anderer Personen oder gesellschaftliche Konventionen – und zwar jene beider Zielgruppen, des unreflektierten wie des reflektierten Teils der Spielerschaft. So betrachtet ist es vor allem mit seiner Inklusion der Vergewaltigungsszene auch ein perfider Spiegel gesellschaftlich akzeptabler Grenzen: Was ist zu viel? Reicht es, eine derartige, natürlich fiktive Szene nochmals auf eine weitere fiktive Metaebene zu heben? Genügt es, sie überspringbar zu machen? Natürlich ist das Provokation um der Provokation willen – und in diesem Beispiel eine meiner Ansicht nach überflüssige -, doch so gesehen fügt sich ihre Existenz auch wieder ins Ganze: Ein Schockwert ist ein Schockwert. "Seems they need buckets of blood before they even raise an eyebrow."
Die Rechnung, so muss festgestellt werden, geht auf: Auch Wrong Number ist erfolgreich, wurde – auch von mir – empfohlen und gespielt. Warum? Weil es – und hier widerspreche ich Joe erneut – eben kein schlechtes Spiel ist, sondern ein im Inneren völlig anderes. Das machte es - wie ich vermute - für Dennaton zur einzig möglichen Form der Fortsetzung. Über seine technischen Mängel muss nicht diskutiert werden, doch seine Intensität im direkten und indirekten Dialog mit seinem Publikum bleibt konsequent und außergewöhnlich. Es ist ein kommerzielles Produkt von jemandem, der Kommerzialität zutiefst verachtet; das ist sein Geheimnis und zugleich eine bitterböse Pointe, die sich in Diskussionen um “gut” oder “schlecht” nicht abbilden lässt. Gut, dass es keinen dritten Teil geben wird.
Wrong Number ist zum zweiten Mal das gewalttätigste Mixtape der Welt, von jemandem, der dich dafür verachtet, dass du ihn anhimmelst. Sein Zynismus ist, wie immer, enttäuschter Idealismus, mit einem heißen, glühenden Kern der Hoffnung, tief in ihm vergraben. “Hurting other people” ist, für eine Fortsetzung, zu wenig. Diesmal sind wir selber dran.