SPIEL/FILM: Eine Geschichte voller Missverständnisse

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Verwandt und doch grundverschieden, stehen sich die Medien Film und Spiel meist in unentschlossenem Zaudern gegenüber. Wie filmisch müssen, sollen, dürfen Spiele sein?  Wird das jüngere dem älteren Medium auf ewig hinterherhecheln - oder gehört dem Spiel unweigerlich die Zukunft? Welche ästhetischen, technischen und künstlerischen Wege werden Film und Spiel gemeinsam, welche getrennt weiterbeschreiten? In der Serie SPIEL/FILM werfen Kollege Ciprian David von negativ-film und ich einen gemeinsamen Blick auf zwei Medien. Zum Auftakt eine Grobanalyse. 

Spätestens seit dem unglaublichen finanziellen Erfolg von "Grand Theft Auto 5"  stehen sich Filme und Spiele zumindest finanziell und in Bezug auf die Bestseller auf Augenhöhe gegenüber. Ansonsten muss aber dem "kleinen Bruder" Games in diesem Duo ein gröberer Minderwertigkeitskomplex attestiert werden. Jeder Spieler kennt die hundertfach gegebenen und so gut wie niemals gehaltenen Versprechen vom "filmischen Spielerlebnis", vom "Film zum Mitspielen", vom "cinematic gameplay" - wenn hingegen von einem Film gesagt wird, er sei "wie ein Videospiel", ist das meist als Ohrfeige aufzufassen. Es ist ein Aufeinandertreffen zweier Medien mit vielen Missverständnissen - und vielfach nur einem, demselben Zielpublikum.

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"Play the movie"

Lange schon hechelt die Gamesbranche dem Film hinterher: Bereits in der mittleren Steinzeit des Videospiels boten Spiele wie "Space Ace" (1984), "Dragon's Lair" (1983) oder auch "Rebel Assault" (1993) tatsächlich ein "filmisches Erlebnis" - jedoch auf Kosten des Gameplays. Drückte man bei den toll animierten Sequenzen den falschen Knopf, hieß es "Game Over" - ein Spielmechanismus, der zwar "filmreife" Szenen bot, aber spielerisch ein düsterer Vorbote der modernen Games-Seuche QTE (Quicktime-Events) war.

Spiele wie Beyond vergessen vor lauter Begeisterung für die Schauspieler und ein "cinematisches" Erlebnis fast ganz aufs Gameplay.

Guillaume de Fondaumière, Quantic-Dream-CEO, sprach es erst vor kurzem im Interview mit dem GameStandard an: "Die Filmbranche ist 130 Jahre alt. In Sachen Inszenierung, Cinematografie, Geschichtenerzählung kann sie uns viel beibringen. Auf der anderen Seite haben wir das Know-how über Interaktivität. Wir können beide voneinander lernen." Dass das Patentrezept für diesen Know-how-Transfer noch nicht gefunden ist, müssen sich aber auch die "Beyond"-Macher anhören.

Denn manche Kritiker bedauerten auch anlässlich von "Beyond: Two Souls", dass David Cages Spiel vor lauter Begeisterung für seine Schauspieler und ein "cinematisches" Erlebnis fast ganz aufs Gameplay vergesse. Manche hämischen Kommentatoren verkündeten, sie würden sich den "Heavy Rain"-Nachfolger statt zu spielen lieber gleich in Let's Plays auf YouTube ansehen - bei dieser speziellen Vermählung von Storytelling und Interaktion, wie sie das erklärte Ziel von Quantic Dreams ist, hat Letztere dann diesmal wohl doch den Kürzeren gezogen.

Der Reviewer auf Eurogamer.es (spanisch) zieht gleich einen besonders hämischen Schluss: “Vielleicht sollte ‘Beyond’ mehr Spiel und weniger Film sein … oder zumindest ein besserer Film.”

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Missverständnis von Games-Seite

Es scheint sich um ein grundlegendes Missverständnis aufseiten der Gamesbranche zu handeln: Das, was Spiele als Medium so einzigartig macht, macht sie zugleich zu schlechten Filmen. Je mehr Interaktivität, desto weniger gelenktes Erlebnis - je filmischer die Spiele deshalb gestaltet werden, desto weniger Spiel bleibt übrig. Quicktime-Events, Cutscenes, streng lineare, aber dafür dramatische Geschichten - die "filmischsten" Spiele des Mediums sind meistens jene, die spielerisch am wenigsten hergeben.

Während also manche Spiele seit Jahrzehnten am liebsten Filme wären - mit Grauen erinnert man sich vielleicht an über 70 Minuten lange Cutscenes in so manchem "Metal Gear Solid" -, beruht diese Verliebtheit nicht auf Gegenseitigkeit. Für Roger Ebert, den heuer verstorbenen legendären Filmkritiker der Chicago Sun-Times, war schon 2005 die Angelegenheit klar: Spiele seien zumindest künstlerisch ein minderwertiges Medium, das niemals mit dem Film gleichziehen könne. "Spiele erlauben von Natur aus Spielerentscheidungen - und das ist genau das Gegenteil der Strategie ernsthafter Filme oder von Literatur, die von der Kontrolle ihrer Autoren leben."

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"Games can never be art"

Deshalb, so verstärkte Ebert nach dem Aufschrei auf Spielerseite seine Aussage, könnten Spiele "niemals" zur Kunst werden - eine Fundamentalkritik, die man dem Filmliebhaber und gamesfernen Intellektuellen auch posthum als recht arrogantes Vorurteil ankreiden muss. Freilich eines, das nicht von ungefähr kommt: Eine ganze Palette grottiger Verfilmungen von Games-Stoffen trug garantiert zusätzlich nichts dazu bei, das Image des jüngeren Mediums aufzubessern - das Einzige, was schlimmer ist als Spiele zum Film, sind Filme zum Spiel. Betrachtet man die in diesem Video zusammengetragenen 20 Minuten dessen, was Hollywood während des Aufstiegs von Spielen zum Milliardengeschäft so zum Thema eingefallen ist, muss man der Traumfabrik dennoch deprimiert eine totale Ignoranz attestieren, die der tatsächlichen Bedeutung des Mediums im 21. Jahrhundert völlig entgegensteht.

Da passt es auch ins Bild, dass die Regielegenden George Lucas und Steven Spielberg vor kurzem Games demonstrativ die kalte Schulter zeigten: Am Rande eines Gesprächspanels an der University of South California äußerte Spielberg ganz grundlegende Bedenken: "Man sieht [im Spiel] vielleicht eine Cutscene und ist bewegt von der Story. Dann nimmt man den Controller in die Hand und in dieser Sekunde schaltet etwas im Herzen ab und es wird ein Sport daraus." Obwohl die Regiegrößen eine Zukunft sehen, in der Spiele vielleicht zu Größerem fähig sind, bleibt für sie das Storytelling dennoch auf Dauer die Domäne des nicht interaktiven Films: "Geschichten zu erzählen erfordert eine komplizierte Konstruktion", so Lucas. "Wenn man jeden reingehen lässt, um zu tun, was er will, ist es keine Geschichte mehr sondern nur ein Spiel."

Hollywood beginnt zu verstehen, dass es nicht um das Geschichtenerzählen geht, sondern um Ästhetiken und narrative Strategien des jüngeren Mediums.

Aber auch die Regielegenden sitzen hier einem Irrtum auf: Dass viele Spiele lediglich dem Film nacheifern, ohne jemals seine Qualitäten zu erreichen, spricht nicht gegen das Medium Spiele - vielmehr zeigt diese Unmöglichkeit seine Eigenständigkeit und Unterschiedlichkeit. Mit jüngeren Regisseuren, die selbst einen persönlichen Zugang zum Medium haben, ändert sich aber die herablassende Pauschalverurteilung zumindest ein wenig - und Hollywood beginnt zu verstehen, dass es vielleicht gar nicht so sehr um das Geschichtenerzählen allein geht -- also auch nicht um die Games-Stoffe an sich --, dass sehr wohl aber die Ästhetiken und narrativen Strategien des jüngeren Mediums Beachtung verdienen.

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Missverständnis "Gamesästhetik"

Allerdings herrscht nach wie vor ein - weiteres - Missverständnis vor, was unter der oft bemühten "Videospiel-Ästhetik" zu verstehen sei. Jüngere Action-Regisseure wie Zack Snyder ("300", "Sucker Punch", "Man of Steel") nennen Spiele zwar - sicher mit Blick auf ein global wachsendes Publikum - dezidiert als Inspiration, mit der tatsächlichen Spielästhetik haben aber sowohl die Actionblockbuster Snyders als auch plakativ mit Retro-Games-Gags werbende Komödien wie "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" oder mit Games-Themen spielende Actiongurken wie "Gamer" nicht viel gemeinsam.

Vor allem die von Snyder in "Sucker Punch" verwendete Filmsprache zeigt deutlich, dass hier nicht Spielästhetiken, sondern vielmehr die hektische Bildsprache aus Werbe- und Musikvideos zur Anwendung kommt - was bleibt, ist das Überwältigungskino der Marke Michael Bay mit seinen  verwirrend schnellen Schnitten, bombastischen Explosionen und aufgelösten Sichtachsen, vom Filmkritiker Matthias Stork anklagend "Chaos Cinema" genannt. Auch Joseph Kosinskis Möchtegernblockbuster "Oblivion" bediente sich ausgiebig bei Games-Ästhetiken von "Portal" über "Halo" bis hin zu "Mass Effect" - zu mehr als oberflächlichen Zitaten aus der Welt der Games-Blockbuster reichte es aber bislang kaum.

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Ein dritter Weg

Sind also Film und Spiel trotz Verwandtschaften und Annäherungsversuchen mal von dieser, mal von jener Seite dazu verdammt, nie zueinander zu finden? Während die Versuche einiger Teile der Spielebranche, den "Film zum Spielen" zu finden, nur schleppend vorankommen und möglicherweise - ganz sollte man die Interaktivität dann doch nicht opfern - zum Scheitern verdammt sind, zeigt sich auf der Seite des Films trotz aller Begriffsverwirrungen ein interessantes Umdenken: Wenn hunderte Millionen Menschen mit Videospielen ihre Freizeit verbringen, verspricht die genauere Analyse nicht unbedingt der Inhalte, aber zumindest der narrativen und visuellen Strukturen dieses Mediums auch für Filmemacher ein potenzielles Millionenpublikum.

Neill Blomkamps Science-Fiction-Epos "Elysium" etwa erinnert strukturell stark an das, was Spieler aus ihrem Lieblingsmedium kennen; kein Wunder, galt der games-affine Südafrikaner doch jahrelang als potenzieller Regisseur für die letztlich ad acta gelegte "Halo"-Verfilmung. Die britische Edge, das Aushängeschild des anspruchsvollen Gamesjournalismus, feierte den Sci-Fi-Film mit einem glatzigen Matt Damon in der Hauptrolle als "bislang innigste Umarmung der Videospielsprache im Film"; es sei überhaupt das erste Mal, dass die Floskel "it's like a videogame" nicht abwertend zur Anwendung kommen könne.

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"It's like a videogame!"

AAuch Alfonso Cuaróns "Gravity", aktuell in den österreichischen Kinos, leiht sich einiges von Spielen: Von der First-Person-Perspektive in manchen Sequenzen bis hin zum grundlegenden Aufbau verdanke der Weltraumthriller unverschämt viel einer unmerklichen Verwurzelung im Medium Videospiele, urteilte voll Stolz und Staunen Chris Plante von Polygon. Im Gegensatz zum "Chaos Cinema" à la Zack Snyder  oder Michael Bay setzt Cuarón bekanntlich gern auf ein Stilmittel, das für Spieler selbstverständlich, für alle anderen allerdings überraschend grundlegend zur Ästhetik des Mediums gehört: der Verzicht auf Schnitte und die Verwendung langer "One shot"-Einstellungen, wie sie in Spielen selbstverständlich sind. Schon Cuaróns "Children of Men" zitierte in einigen bemerkenswerten Einstellungen nicht nur die schnittarme "One shot"-Ästhetik, sondern begleitet den Protagonisten wie aus der Schulterperspektive - so wandern Darstellungskonventionen leicht und unmerklich vom "jüngeren" Medium Spiel zurück in den Film.

Auf gewisse Art und Weise sind Games vielleicht im Jahr 2013 doch im Film angekommen - aber anders als erwartet.

Man sieht: Auf gewisse Art und Weise sind Games vielleicht im Jahr 2013 doch im Film angekommen - zwar nicht unbedingt so, wie sich Hollywood oder die Spielebranche das vorgestellt haben, aber dennoch, so möchte man hoffen, zum gegenseitigen Vorteil. Dass Filmästhetiken und -konzepte das (letztlich komplexere) Medium Games beeinflussen werden, bleibt garantiert - dass Spiele ästhetisch, und das nicht nur an der Oberfläche, auf den Film zurückwirken, ist eine Pointe, die Spieler angesichts oft erlebter Herablassung aus Hollywood vielleicht freuen wird. Schlussendlich aber sind es gute Nachrichten für alle, Film- und Spielfreunde.

Denn egal, wie unterschiedlich oder uniform Spiel- und Filmbranche auch sein mögen - das Publikum ist in vielen Fällen dasselbe. Und im besten Fall stehen am Ende dieses Weges bessere Spiele - und auch bessere Filme. 

Eine gekürzte Version dieses Artikels erschein für den Standard.

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