Wer verschläft die Indie-Revolution?
Dieser Artikel erschein zuerst für DerStandard.at.
Es ist nichts Neues im Gaming, dass in sich geschlossene Paralleluniversen nebeneinander existieren: Videospiele sind ein Medium, das sich seit jeher auf verschiedene "Systeme" aufteilt, die von ihren jeweiligen Fanboys verbissen verteidigt werden. Aus aktuellem Anlass branden auch die zyklisch auftretenden "Konsolenkriege" wieder mit neuer Energie auf, und nach dem - freundlich gesprochen - leisen Start der Wii U konzentriert sich alles auf die Ankündigungsschlacht der Giganten Sony und Microsoft.
"Platform Exclusivity" heißt seit jeher das Zauberwort, das möglichst viele Spieler zu der einen oder anderen Konsole locken soll, doch 2013 hat sich die Welt der riesigen Gamesblockbuster längst von einzelnen Konsolen verabschiedet: Die Megaseller, etwa die "Call of Duty"- oder "GTA"-Reihe, sind auf allen Plattformen zu Hause und bilden so, ganz plattformunabhängig, das Universum des Hochglanzgamings: Triple-A, das heißt riesige Entwicklungskosten, gewaltige PR-Etats, eine Konzentration auf immer bessere Grafik - und zunehmend spielerisches Auf-Nummer-sicher-Gehen.
Sorgenkind AAA
Dass diese Welt des Triple-A-Spielens mit handfesten Problemen zu kämpfen hat, war vor kurzem ausführlicher Thema - und die überraschende Nachricht, dass etwa AAA-Flaggschiff "Tomb Raider" mit "nur" 3,5 Millionen verkauften Exemplaren für Publisher Square Enix " nicht der erhoffte Erfolg" war, zeigt deutlich, dass sich die Lage nicht gerade entspannt hat. Die Welt des großen, klassischen Games-Business ist ein hartes Pflaster, auf dem vor lauter Zielgruppenoptimierung und Überfrachtung mit hoffentlich profitablem Zusatzschnickschnack das eigentliche Produkt schon mal unterzugehen droht.
Wie eingangs gesagt: Im Gaming existieren seit jeher viele Welten nebeneinander, und es gehört zu den bemerkenswerteren Umwälzungen der letzten Jahre, dass auch diesem System der müden Riesen längst eine Alternative gegenübersteht. Digitale Distribution, mediale Aufmerksamkeit und die mit der längstdienenden Konsolengeneration nicht gerade frischer werdende AAA-Konkurrenz machen's möglich: Independent-Games waren und sind eine Revolution im Spielesektor.
Hoffnung Indie
Indiespiele sind in. Sie sind billiger als ihre Vollpreiskonkurrenz, können kreative Risiken eingehen und ihre Macher, oft ambitionierte Einzelkämpfer oder winzige Teams, können via Kickstarter oder Alpha-Funding direkt mit ihren Kunden in Kontakt treten. Sowohl bei BAFTA als auch GDC wurden Indie-Spiele mit Preisen überhäuft und ließen oft millionenteure AAA-Titel alt aussehen. Durch die Möglichkeit digitaler Distribution braucht es heute keinen Publisher mehr - so erblühte in den letzten Jahren eine lebendige Szene aus qualitativen und originellen Projekten, die zunehmend größere Zielgruppen erreichten. Die GameStandard-Serie "Best of Indie" gibt Monat für Monat nur einen winzigen Einblick in eine Szene, die wächst und wächst - und bietet überdies der traditionell immer wieder aufbrandenden Diskussion, was denn nun "noch Indie" sei und was nicht, eine monatliche Bühne. Nicht erst seit dem großen Erfolg herrscht Unabhängigkeitserklärungsbedarf im (gar nicht mehr so untergrundigen) Underground.
Zunehmend zieht es vor allem anspruchsvolle Gamer hin zu den kleinen Unabhängigen.
Nicht zuletzt ist das Erblühen von Indie aber auch auf die Schwäche des großen, klassischen Games-Business zurückzuführen. Denn die Sachzwänge, die mit dem Jonglieren vieler Millionen Dollar Entwicklungskosten und der nötigen Orientierung am Massengeschmack einhergehen, verärgern immer häufiger die traditionelle Hauptzielgruppe des Mainstreams - die Core-Gamer. Wenn sich Blockbuster, um profitabel zu werden, immer mehr am Massengeschmack orientieren und so immer austauschbarer werden - die Shooterisierung von "Dead Space 3" oder "Tomb Raider" lassen grüßen -, suchen viele ehemalige Fans enttäuscht nach Alternativen. Der Erfolg von Indie-Nischentiteln wie "FTL", "Legend of Grimrock" oder "Day Z" ist ein Beweis dafür, dass auch mit Special Interest Geld zu machen ist. Zunehmend zieht es vor allem anspruchsvolle Gamer hin zu den kleinen Unabhängigen.
Abkehr vom Business
Die Erstarrung des Mainstreams samt Zwang zur möglichst effektiven Monetisierung bewegt auch bereits einige ehemalige AAA-Entwickler dazu, dem großen Geschäft den Rücken zuzukehren. Adrian Chmielarz, ehemaliger Creative Director bei People Can Fly, fasste seine Abkehr von Triple-A in einem Interview pointiert zusammen: "Einen AAA-Titel zu entwickeln, ist ein dauernder Kampf: Jede Idee muss von so vielen Leuten abgesegnet werden, jede Entscheidung braucht ein eigenes Komitee. Klar hat diese Arbeitsweise Vorteile, aber der größte Nachteil ist es, dass die Spiele den persönlichen Touch verlieren. ... Überdies leiden AAA-Spiele an ihrer Risikoscheue. Ich versteh schon: Es geht um Millionenbeträge. Aber anstatt darüber zu jammern, nehmen wir die Sache jetzt in die eigene Hand und wollen als Indies etwas Frisches abliefern."
Auch Richard Lemarchand, bis 2012 als Lead Designer bei Naughty Dog für die "Uncharted"-Reihe zuständig, hat sich aus ähnlichen Gründen vom Hochglanz-Mainstream verabschiedet und unterrichtet nun lieber an der University of South California an der Interactive Media and Games Division. Für ihn war die Teilnahme am Indie-Festival IndieCade der Wendepunkt: "Diese aufstrebende Szene - Indie Games, Art Games - hat mich schon immer fasziniert, sogar bevor ich in der Konsolenspieleindustrie gearbeitet habe. ... Hier im akademischen Bereich können wir uns wirklich auf die künstlerischen Aspekte des Gamedesigns konzentrieren. Wir brauchen überhaupt keinen Gedanken daran verschwenden, wie wir das Endprodukt dann zu Geld machen sollen."
Indie means money
Diese Gedanken machen sich dafür andere - und nicht ohne Erfolg: Steam, die größte Spieleplattform auf dem PC-Bereich und De-facto-Marktführer mit nicht unproblematischem Kunden- und DRM-Verständnis, profitiert schon jetzt vom Aufstieg der kleinen Unabhängigen, die durch Einbindung ins Steam-Universum per Greenlight allerdings streng genommen auf ein wenig dieser Unabhängigkeit verzichten. Und auch Apple, Marktführer im Mobile-Gaming-Bereich, schneidet an den Umsätzen der hunderttausenden Mobile-Entwickler in seinem App-Store gehörig mit.
Für die allermeisten Indie-Entwickler selber bedeutet der Rummel um Indie allerdings meist nicht unbedingt einen Vorteil: Angesichts der riesigen Welle an Independent-Spielen, die täglich in aufgeregten Ankündigungen, Kickstarter-Aufrufen oder Games-Contests wie den regelmäßig stattfindenden "Ludum Dares" hinzukommen, wird die Entdeckung wirklich interessanter Titel fast zum Glücksfall - ein Grund, warum die profilierten Indie-Entwickler Terry Cavanagh und Porpentine auf der diesjährigen GDC dazu aufriefen, das Kuratieren dieser schier unüberblickbaren Flut von Spielen stärker als journalistische Aufgabe wahrzunehmen - angesichts des beschränkten Platzes eine Aufgabe, die auch hier im GameStandard vor nicht gerade kleine Herausforderungen stellt.
Und die Konsolen?
Es ist also keine Übertreibung, den Aufstieg der Indie-Szene als immer noch stattfindende Revolution zu bezeichnen - doch wird sie überall wahrgenommen? Sony hörte die Signale offensichtlich: Die prominente Anwesenheit Jonathan Blows beim Reveal der PS4 war ein unmissverständlicher Schritt in diese Richtung, und auch das bereits seit einigen Jahren stattfindende Indie-Engagement zeigt, dass Sony hier aufmerksam zuhört.
Dass mit "Journey" eines der innovativsten und von Ästhetik, Anspruch und Philosophie eindeutig als dem "Indie-Spirit" verpflichtetes Spiel von Sony selbst vertrieben wurde, passt so auch gut ins Bild - der kommerzielle und kritische Erfolg des Ausnahmetitels wird Sony hoffentlich auf diesem Weg bestärken, auch abseits jahrelang erprobter Formate Neues zu wagen.
Nintendo zögert
Leider ist bei den Konkurrenten auf dem Konsolenmarkt bislang wenig von derartiger Aufbruchsstimmung zu bemerken. Bis auf gutgemeinte Ankündigungen ist vom "Umdenken" Nintendos in Sachen Wii-U-Indies noch wenig zu bemerken - auch wenn mit Dan Adelman erstmals eine dezidierte Ansprechperson im Konzern ausschließlich für die Belange der Indies zuständig ist.
Einige wenige besonders anachronistisch erscheinende Hürden für Indies auf dem Weg zur Konsolenpräsenz wurden beseitigt. So müssen zwar immer noch alle Entwickler, die für Nintendos Online-Marktplatz entwickeln wollen, "lizensierte Nintendo-Entwickler" samt Firmenstatus sein, doch müssen sie zumindest keine eigene Firmenbüroadresse mehr vorweisen. Eine gute Nachricht - doch macht schon die Notwendigkeit dazu schmerzhaft klar, in welchen Kategorien der japanische Gigant noch immer denkt. Dennoch: Der Goodwill ist da; ob angesichts stotternden Verkaufsstarts der Wii U die neue Indie-Toleranz überhaupt bezahlt machen wird, ist indes noch unklar.
Schlafender Riese Microsoft
Somit bleibt nur ein letzter Riese, doch in Redmond scheint man nicht nur aus den Protesten gegen "Always on" und Gebrauchtsoftwaredilemma nichts zu lernen, auch die Indie-Welt scheint in den Köpfen der Microsoft-Headquarters nicht angekommen zu sein. Alles, was bislang von der Xbox One bekannt wurde, spricht für ein Fortsetzen der bereits bekannten Strategie in Redmond. Auch die neue Xbox sieht sich vornehmlich als AAA-Bombastvehikel - und dass das Verhältnis zwischen Indie-Entwicklern und Microsoft nicht das beste ist, zeigte sich erst kürzlich anlässlich des Exodus von namhaften Indies zu Sony und im Zustand des nur als katastrophal zu bezeichnenden und bald aufgelassenen Xbox-Indie-Marktplatzes XBLIG. Auch beim Thema Self-Publishing auf dem Online-Marktplatz Xbox Live Arcade bleibt Microsoft bei seiner restriktiven Politik und erlaubt nur Indies mit Vertrag mit einem Publisher den Zugang zum Online-Markt für One - eine Vorgehensweise, die jener von Nintendo und Sony diametral entgegensteht und in der Indie-Gemeinde erstaunt bis verärgert quittiert wurde.
NFL statt Games-Vielfalt
In einer Reaktion auf den Entwickleraufschrei stellte Xbox-Manager Don Mattrick lediglich vage die künftige Unterstützung durch eine Developer-Initiative bekannt. "Wir werden ein Independent Creator Program haben und wir werden es fördern", so Mattrick gegenüber Kotaku ohne Konkretes anzukündigen. "Wir geben den Leuten die Werkzeuge. Wir glauben - ich glaube -, dass dies wichtig ist." Microsoft, so muss man auch angesichts der Zurückhaltung zu diesem Thema beim letztwöchigen "One"-Reveal schlussfolgern, ist dabei, die Indie-Revolution zu verschlafen. Das ist schade, denn angesichts des ohnehin stark US-zentrischen Zugangs der Konsole und der gleichzeitigen Stärke der Indie-Welt auf Microsofts Betriebssystem Windows wäre eine dezidierte Hinwendung der Redmonder zur kleinen, feinen Indie-Welt für viele Spieler sicher mehr Kaufanreiz gewesen als etwa die American-Football-Liga NFL on Xbox. Vielleicht bringt die Präsentation der ersten One-Games auf der E3 dann doch ein Erwachen.
Denn nur auf Triple-A, TV und Sport zu setzen, könnte den Käufern - und somit, nicht zu vergessen, hauptsächlich Gamern - auf Dauer dann vielleicht doch etwas zu wenig sein. Wie sagte Michael Gorbatschow: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."