Spiel des Monats: Gesprächsstoff

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Was wir noch sagen wollten: Unter dem Titel "Gesprächsstoff" sammelt die VGT-Autorenschaft ihre Gedanken zum Spiel des Monats im direkten Austausch, als Abschluss einer Woche zu einem Spiel - diesmal, als Auftakt, war es "The Binding of Isaac". Agata, Christof, Robert, Joe und ich im Gespräch. Wie zu erwarten war, ist es ziemlich länglich geworden.

Rainer: Los gehts! Binding of Isaac ist ein würdiges SdM #1, weil es bemerkenswert ist für mehrere Dinge: die nach Spelunky gelungenste und stilbildende Eigeninterpretation des Roguelike-likes, solides Gameplay, aber auch und vor allem durch den provokanten schlechten Geschmack, der sich durch das ganze Spiel zieht, vom Artwork bis zur Thematik.

Reden wir vielleicht zunächst zu Beginn über die Thematik: Isaac, das von der religiös wahnsinnigen Mutter eingesperrte nackte Kellerkind, das mit seinen Tränen schlussendlich gegen Mama und den Satan kämpft. McMillen selbst nennt seine katholische Erziehung und verschiedene Medienberichte über Kindesmisshandlungen und -wegsperrungen als Inspiration für die doch untypische Hintergrundstory, vor allem der Fall Caylee Anthony und die Lektüre seiner Frau: "My wife got on a kick of reading morbid news and reading books on child captives kept in basements." Trotz dieses düsteren Materials will McMillen dem Spiel aber selbst keine allzu ernsten Intentionen unterstellen: "... its all very dark, but dark humor." Aus aktuellem Anlass: Darf der das? Ist das “Satire”?

Agata: Natürlich darf er das. Die Frage ist ja eher, ob ein Mehrwert für das Spiel da ist? Das mit der Mutter hat mich am Anfang wirklich schockiert. Über das Intro hinaus wird das Thema aber kaum weiter aufgenommen und wenn, dann in ähnlicher Form wie die Ästhetik, als Fäkalwitz: Die Unterhose der Mutter als Item, usw. Man kann schon irgendwie damit argumentieren, dass die Loslösung des Teenagers von der Mutter auch den Weg der Grenzüberschreitung gehen muss. Es setzt die gewählte Ästhetik auf jeden Fall in einen passenden Rahmen.

Joe: Ich glaube auch, dass er das darf. Besonders tief oder gut fällt die Satire nicht aus, aber erlaubt ist sie trotzdem. Isaac hat nichts besonders Tiefgründiges über Religion zu sagen, wenigstens nicht auf thematischer Ebene. Über seine gebetsmühlenhafte Struktur habe ich ja schon geschrieben. Ich finde es dennoch ganz interessant, dass sich das Spiel einer bekannten Mythologie so pietätlos nähert.

Christof: Ich persönlich muss zugeben, dass ich absolut von der Thematik abstrahieren kann. (Und selbst erstaunt darüber bin.) Es gab in der unsäglichen Killerspiel-Debatte dieses Argument, dass die Präsentationsebene nur schon deshalb nebensächlich sein muss, weil Topspieler die Grafikeinstellungen zugunsten der Spiel- und Übertragungsgeschwindigkeit runterregeln, bis die Grafik beinahe abstrakt ist. Ich weiss nicht, wieviel Wasser dieses Argument trägt, aber ich kann für mich sagen: bei keinem anderen Spiel hatte ich eine derart deutliche Trennung zwischen den Mechanismen (die absolut einnehmend sind für mich -- so sehr, dass ich Valve letztens anfragte, damit sie mir das Spiel aus meiner Bibliothek löschen) und der Thematik, die mich eigentlich interessieren, vielleicht sogar schockieren sollte... aber die ich letztlich quasi nur aus einem Augenwinkel wahrnehme. Hattet ihr tatsächlich einen Moment der Abneigung, des Ekels vielleicht sogar, die McMillen ja irgendwie tatsächlich anstrebte? (Ob es einen "Grund" dafür gibt, kann ich nicht sagen -- vielleicht ist es ja genug, dass McMillen einfach seine Dämonen exorzieren wollte?)

Joe: Ich glaube die Fäkalästhetik ist letztlich irrelevant, weil das Wesen des Spiels in der ewigen Wiederholung liegt, und sich derartige Schockeffekte schnell verbrauchen. Irgendwann ist dementsprechend das Aussehen der Gegner weniger wichtig als deren Angriffsmuster und die Gestaltung der Gegenstände weniger wichtig als deren Funktion. Ich denke einfach nicht mehr wirklich über die Absurdität der ganzen Situationen nach. Ab und an passiert es mir dann doch, aber üblicherweise bin ich einfach tief in Konzentration versenkt.

Agata: Mich persönlich ekelt das Spiel schon ziemlich an. Diese ganzen Kackhaufen und Fliegenschwärme, das finde ich widerlich. Weil ich aber wegen der typischen Roguelike-Mechanik "nur noch einmal versuchen" immer wieder zum Spiel zurück komme, erzeugt die Konfrontation mit dem Ekel eine sehr interessante Dynamik. Es ist nicht nur die Mühe des Spiels, sondern auch eine emotionale, ästhetische Mühe, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen. Ich meine, die Ästhetik gibt der Mechanik eine weitere Ebene. In Roguelikes geht es viel ums Scheitern und das Erproben eigener Grenzen und beim Ekel geht es ja um die eigenen ästhetischen Grenzen. Dass das Ganze oft wie eine Art pubertärer Fäkalwitz daherkommt, bringt mich dann zusätzlich an meine Grenzen.

Robert: Normalerweise mag ich ja so heftige Körperlichkeiten vor allem in Filmen, Serien und Clips nicht - bestes aktuelles Beispiel aus dem Netz wäre “Racist Mario”. Southpark geht mir auch ziemlich am Keks mit den ständigen Klohumor, der dann auch noch von vielen als Teil einer deepen Story interpretiert wird. Bei Spielen ist die Sache wegen der bereits erwähnten zwei Ebenen - Präsentation und Spiel - in der Wahrnehmung meist abgeschwächt. Abgesehen davon liefert BOI hier dennoch wenig visuelle Schockmomente, vor allem, weil die ganzen Grausigkeiten mit so viel Cuteness und dicken Outlines versehen sind, dass es auch bei den ekelhaftesten Darstellungen eher kurios als abstoßend ist. Interessant ist aber, dass in den wirklich intensiven Momenten, etwa dem Intro oder dem Kampf gegen die “Mom” dann die Soundeffekte und die Animation ihren Teil dazu beitragen, dass man wieder wachgerüttelt wird und für eine Weile wieder mitbekommt, wie verstörend das hier eigentlich alles ist.

Rainer: Ad Dämonen exorzieren: Ich hab ja den Verdacht, dass McMillen hier einfach in einer Tradition aus einem anderen Medium steht: BoI fußt, wie viel vom Werk McMillens, letztlich in der Tradition der Underground Comix, in denen es dezidiert um Content geht, der im Mainstream verboten ist, sprich, um das Sprengen der Grenzen des guten Geschmacks. Inhaltlich geht BoI da schon in die Vollen, aber auch ästhetisch herrscht, wie gesagt, die Faszination am Ekelhaften: Scheißehäufchen, Schmeißfliegen, Blut und Beuschel bis hin zu toten Kindsföten. Ist dieser Ekel nun nur Selbstzweck? BoI könnte mechanisch ja genauso funktionieren, wenn wir in der Einheitsfantasy oder im Regenbogenzauberland mit Herzbärchen unterwegs wären, oder? Ums in eine Frage zu formulieren: Ist die Ästhetik, wie das kontroverse Thema, also nur Fassade?

Agata: Mechanisch würde das Spiel in einem generischen Setting immer noch sehr gut funktionieren, emotional, ästhetisch nicht. Als Gesamterlebnis kann man das nicht trennen.

Joe: Ich glaube nicht, dass die Transplantation so einfach funktioniert. Abseits der Gewichtigkeit des Stoffes, der Missbrauchshandlung die erzählt wird und der Respektlosigkeit, die sich dem Ganzen wohl vorwerfen ließe, ist das Szenario halt auch einfach unverbraucht und neu. Es fühlt sich lebendiger und persönlicher an als Einheitsfantasy.

Robert: Man könnte bei jedem Spiel das Setting wechseln und dann sagen, dass es ja das gleiche Spiel wäre. Dieser Zugang passt zu diesem alte Ludologie-Zugang, nach der die Präsentation eines Spiels irrelevant sei. Von dieser Idee haben sich die Game Studies aber schon zurecht vor einer Weile verabschiedet. Die Ästhetik ist Teil des Spiels und wäre sie nicht da, wäre es nicht BOI sondern ein anderes Spiel, das bloß ein ähnliches Game Design hat.

"Wäre BOI auch mit Glücksbärlis und Elfen als Thema so bekannt geworden?"

Christof: Interessant dabei ist ja auch, dass McMillen ursprünglich meinte, ein kleines Projekt zu machen, das nur eine Nische überhaupt wahrnehmen wird. Das war natürlich etwas naiv nach dem Super Meat Boy-Supererfolg, aber es macht alles vielleicht verständlicher: dass die Plattform ursprünglich das heillos überforderte Flash war. Und eben auch, dass er so tief in seine persönlichen Abgründe hinabsteigen kann. Das hat, ökonomisch gesehen, natürlich einen doppelten Effekt: Einerseits versperrt es ihm Plattformen, wie etwa den 3DS, da Nintendo das Spiel trotz anfänglichem Interesse ja schlussendlich nicht haben wollte. Andererseits hat es dem Spiel ja auch Aufmerksamkeit verschafft. Obwohl ich, wenn ich mich nicht täusche, nicht gerade Bibliotheken von Texten über die Ekelästhetik gelesen habe. Und McMillen hat es nun wirklich nicht nötig, mit billigen Schockeffekten auf sich aufmerksam machen zu müssen. Insofern möchte ich Rainers Frage umstellen: denkt ihr, dass BoI so bekannt geworden wäre auch mit Glücksbärlis und Elfen?

Rainer: Spontane Antwort: nö.

Robert: Die Frage ist für mich eher: Wäre BOI ohne McMillen und seinen zu diesem Zeitpunkt bereits existenten Fame so bekannt geworden?

Joe: Ich glaube die Frage passt nicht. Lässt sich das überhaupt so einfach umdrehen wie ihr behauptet? Ein Spiel, in dem Glücksbärlis sich gegenseitig umbringen, hätte ja wieder was Subversives.

Rainer: Oh, aber die Glücksbärlis bringen sich ja nicht um. Die bewerfen einander so lang mit Küsschen, bis sie glückselig gen Himmel aufsteigen. Aber im Ernst: Es geht wohl schon ums Gesamtpaket. BoI ist ein megasolides Spiel, mit außergewöhnlicher Ästhetik.

Joe: Mit Küsschen wärs vielleicht doch was geworden. Ich hätts gespielt.

Agata: Standard-Fantasy wäre da vielleicht ein besserer Vergleich. Die Bärlis sind zu abgedreht.

Rainer: Aha, da wird also gegen Bärlis diskriminiert. Werd ich mir merken. Aber was anderes: Zum Gameplay - kein noch so provokantes Spiel hätte Bestand ohne solidestes Mechanik, und hier kann man BoI nichts vorwerfen - bis auf ein paar technische Schwabbeligkeiten, die mit Rebirth zumindest zum Teil behoben wurde. Statt BoI wie den Bruder im Geiste Meatboy zu loben, kommen wir doch mal auf die Schwächen des Gameplay zu sprechen. Ist das alles so tight, wie es der Kult vermuten ließe?

Christof: Die Tatsache, dass kein anderes Spiel in meiner Steam-Bibliothek auch nur annäherend so viele Stunden bekommen hat, würde darauf hindeuten, dass es das ist. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass BoI neben Spelunky das mit Abstand beste Roguelike-like(-like)-Spiel bislang ist. Die Balance zwischen Können und Glück, die so entscheidend ist für das Genre, wurde meinem Empfinden nach nirgendwo sonst so gut getroffen. (Im Gegensatz zu FTL habe ich z.B. sehr selten das Gefühl, vom System und Pech totgemacht worden zu sein.) Dass eben Reflexe wichtig sind, und nicht nur strategisches, tiefes Wissen, ist einer der wichtigsten Unterschiede zum “klassischen” Rogue -- und für mich, auch wenn ich zwei linke Daumen hab, entscheidend.

Joe: Dass schon die völlig überforderte Flash-Version sich solcher Beliebtheit erfreute, spricht für mich eher dafür, dass es bei dem Spiel nicht um den absolut perfekten Juice eines Luftrausers oder Hotline Miami geht. Große Roguelikes zeichnen sich eher dadurch aus, dass ihre zufälligen Elemente auf vielfältige Weise miteinander interagieren. Bei Spelunky ist das die Umwelt, in der Feinde sich gegenseitig verletzen, Fallen auslösen und teils absurde Kettenreaktionen lostreten. Bei Isaac ist es die eigene Spielfigur, die durch Zuführung allerhand wundersamer Reagenzien verwandelt wird, deren verschieden Kombinationen jeweils interessante bis instabile Wirkungen zeigen. Aus der Verbindung des Technology-Lasers mit zielsuchenden Spoon Bender Schüssen ergibt sich dann etwa ein zielsuchender Laser. Weniger empfehlenswert etwa die Vereinigung von Ipecac und My Reflection, was die explodierenden Geschosse zu mir zurückkehren lässt. Um solche nachteiligen Effekte zu umgehen muss ich natürlich erstmal alle Gegenstände im Spiel erkennen können. Aber wenn mir ein Gegenstand einmal den Run versaut, dann merke ich ihn mir auch.

Agata: Ich hasse Roguelikes, weil ich mir ständig wie die totale Loserin vorkomme. Gleichzeitig wecken sie meinen Ehrgeiz: Ich will doch noch einmal versuchen, ob ich nicht weiter komme. Meine Erfahrungen mit dem Genre sind sehr begrenzt, die Mechanik bei BoI wirkt aber aufs Wesentliche reduziert. Das gefällt mir, weil ich mich nicht mit immer wieder neuen Spielelementen beschäftigen muss, sondern mein Spiel verbessern kann.

Rainer: BoI erschien ja zu einer Zeit, als der Begriff “Roguelike-like-like-etc” noch nicht so geläufig war, und war neben Spelunky eines der ersten modernen Actionspiele, die sich bei Rogue derart bedienten (Disclaimer: Rogue war nie weg, I know, Diablo etc etc). Es sieht fast so aus, als wäre das Modell von BoI - einzelne verknüpfte “Räume” statt gesamte prozedural generierte Levels, eine Unzahl an Gegenständen, Charakter-Level-ups - eher als Spelunky die Blaupause für viele moderne RLLs geworden. Ich behaupte: BoI bleibt Rogue viel treuer als Spelunky, und das macht es so erfolgreich.

Robert: Call for Rogue-like³ papers!

Joe: Aber Spelunky war doch auch erfolgreich?

Christof: Aber erst spät. Interessant wäre vielleicht die Frage, warum Spelunky drei Jahre lang als Nischenphänomen relativ unbemerkt existieren konnte, und dann um 2011/12 erst die Explosion des Roguelikes mit BoI und FTL eintegreten ist… aber das führt vielleicht zu weit?

Rainer: Fakt ist, dass mit FTL, BoI und eben dem Spelunky-Rerelease - quasi die Dreifaltigkeit des modernen Roguelike-likes - die Dämme so richtig gebrochen sind. Kurze, immer wieder abwechslungsreiche Spiele, die auch - Obacht: These - für Let’s Player dauerinteressant sind, haben seitdem ein riesiges Publikum.

Robert: Der Erfolg von Spelunky 2.0 war auch, das es visuell einfach so viel stringenter und aufgeräumter dahergekommen ist. Wie schon erwähnt, ist die Ästhetik bzw. die visuelle Präsentation sehr eng mit der Freude am Gameplay verbunden - oft mehr, als wir uns eingestehen. Ich spiele Hearthstone z.B. unter anderem deshalb so gerne, weil die Karten so super aussehen, alles animiert ist und das Spiel in jeder Hinsicht ein tolles Art- (und Sound-) Design hat.

Christof: Meine These ist ja, dass die Popularität von Roguelikes eher dadurch kommt, dass sie selbst für Vielbeschäftigte komplexe, erfüllende Spielerlebnisse in wenig Zeit packen. Aber du hast natürlich recht, Rainer, dass die “Zuschauerschaft” ein wichtiges Element der Popularität ist. Und Roguelikes sind durch ihre endlose Variabilität natürlich auch endlos wiederspiel und -schaubar. Je nach Seed können sich quasi organisch alle Arten von Situation ergeben, von Slapstick (wenn jemand zum sprichwörtlichen Pechvogel wird) bis hin zum heroischen Alleingang gegen das Schicksal. Im Falle von BoI hat sich ja ein -- korrigiert mich, wenn ich mich da irre - besonderes Phänomene ergeben, das so kein anderes Roguelike hervorbrachte: die Racing League, bei der quasi das Roguelike zusammenfindet mit Twitch und Esport: zwei Spieler starten simultan in einem Wettlauf in den Abgrund -- wer zuerst Mom’s Heart besiegt, gewinnt. Denkt ihr, dass dies ein Hinweis dafür ist, dass BoI mehr als andere Roguelikes Können belohnt?

Joe: Ich glaube der Reiz dabei liegt eher darin, dass eben nicht nur das reine Können entscheidet, sondern dass der Zufall, oder eben Glück, auch mitspielt. Das ist halt etwas anderes als eine Partie Starcraft oder Counterstrike zu sehen, die von der Struktur her immer gleich abläuft. Der bessere Vergleich wären aber vermutlich Wettrennen in linearen Spielen, etwa dem Isaac-Vorbild Zelda. An der Let’s Play These ist bestimmt was dran. Spelunky fand ja nicht nur in der Originalversion von 2009 kaum Aufmerksamkeit, auch die Neuauflage die 2012 auf der Xbox rauskam scheint nicht so eingeschlagen zu sein wie die inhaltlich identische Version die ein Jahr später auf dem PC erschien. Weil dort inzwischen diese Youtube-Community enorm gewachsen ist, für die sich das Spiel perfekt anbietet.

Rainer: Hm. Stichwort - Daily Challenge. Ein Kniff, um das autistische Single-Player-Roguelike sozial zu machen. WE ARE DOOMED. Vielleicht sind wir das aber sowieso - wir haben ja alle wohl schon viel, viel Zeit in BoI versenkt. Zeit der Wahrheit: Wie viel eures Lebens habt ihr schon im Keller mit BoI verbracht? Ich oute mich: Trotz Dutzender Stunden habe ich die Mama noch nie besiegt. I’m a loser, baby. (Oh Gott, sind wir noch Freunde???)

Christof: Wir können Freunde sein, wenn wir eine dieser schrägen Kinderfilm-Freundschaften haben, bei denen der eine bewundernd zum anderen aufschaut?

Rainer: Bleibt also alles, wie es ist. Phew.

Joe: Ich wollte schon sagen: Das tun wir doch sowieso alle. Gegenseitig.

Rainer: WO IST EIN THERAPEUT, WENN MAN IHN BRAUCHT.

Joe: Ich hab das Original irgendwann mal eine halbe Stunde lang gespielt und dann genervt liegen lassen. Mit dem Remake habe ich laut Steam inzwischen 78 Stunden verbracht, und ein paar auf der Vita, aber darüber breiten wir den Mantel des Schweigens. Dazwischen liegen gut 200 Stunden Spelunky als Katalysator, die mich für Roguelikes geöffnet zu haben scheinen.

Robert: Ich habe Mom einmal besiegt, glaube ich. BOI habe ich aber im Vergleich zu Spelunky quasi so gut wie gar nicht gespielt. Spelunky über 250 Stunden, BOI ein nur paar. Mal sehen, wie es ein paar Tage nach diesem Gespräch hier aussieht.

Christof: Im Keller unter dem Haus hört dich kein Psychotherapeut schreien! ...das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Laut Steam hatte ich die “Golden Boy”-Trophäe für alle gesammelten Items im ersten Spiel nach 48 Stunden. ...ich glaube aber, dass das ein Bug war. Die einzig richtige Antwort ist aber eh: ZU VIELE STUNDEN. Tatsächlich habe ich anfangs dieses Jahres, nach ca. 40 geloggten Stunden in Rebirth, einen drastischen Schritt gemacht: ich hab entdeckt, dass ich immer im Zweifelsfall einer halben Stunde Isaac den Vorzug gebe vor jedem anderen Spiel. Unfehlbar. Deswegen habe ich den Valve-Kundenservice gebeten, Isaac endgültig aus meiner Bibliothek zu löschen. (Was übrigens ein halbwegs kafkaeskes Verfahren ist: ich kenne jetzt meine Rechte als Valve-Kunde und kann den Abschnitt zitieren, in dem mir das Recht eingeräumt wird, das Abo eines Spiels zu kündigen.) Wir hatten ja schon mal darüber gesprochen, dass Roguelikes eine Art glorifizierter einarmiger Bandit sind: scheint, als wäre ich in Fäkal-Vegas verloren gegangen, wenn ich nicht den Stecker gezogen hätte. Und ihr so?

Robert: Sei ehrlich, Christof: Hast du das gemacht um diese Erfahrung (mit Steam, und überhaupt) zu machen und eine gute Geschichte erzählen zu können? Oder war das ein tiefer Wunsch, weil du das Spiel auch, wenn du es versteckt hättest, wieder rausgekramt hättest? Ansonsten ist es bei mir so, dass ich das mit mir selbst klären muss, wie lange was gespielt oder getan werden sollte. Weil sonst müsste man ja ständig Dinge vor sich verstecken lassen.

Christof: Wenn du schon als Kleinkind Satan mit deinen Tränen in die Schranken verwiesen hast, geht mehr hardcore ja eigentlich nicht mehr. Mehr hardcore ist nur: ein Spiel aus der Steam-Bibliothek löschen zu lassen. (Aber ehrlich: Es ging schon auch um die Erfahrung. Dass das Spiel schon länger als “Hidden”-Spiel innerhalb von Steam versteckt war und ich es trotzdem immer wieder gefunden habe, spielt aber schon eine Rolle...)

Joe: Wo wir schon beim Thema verstecken sind: An Isaac lässt sich auch gut beobachten wie der Gemeinschaftsgedanke und die Auslagerung von Wissen in Wikis den Umgang mit Geheimnissen in Spielen verändert. Ein solches gibt es im Spiel nämlich, in Form eines geheimen Charakters, bei dem es schon unglaubliche Detektivarbeit erfordert herauszufinden, welche Schritte nötig sind um ihn freizuschalten, von der Absolvierung der selben ganz zu schweigen. Eigentlich.

-------------Warnung: Der kommende Absatz enthält Spoiler-------------------------

Aber dann war das Rätsel doch drei Tage nach Erscheinen des Spiels geknackt, weil jemand im Programmcode nachgeschaut hat. Mittlerweile sind die vier speziellen Tode bekannt, die ich im Spiel hintereinander sterben muss, um diese Figur freizuschalten und auf den entsprechenden Seiten tauschen die Leute Seeds aus, die sich dafür anbieten. Wenn sich so eine engagierte Gruppe daran macht so einen Tresor zu knacken, dann eben nicht mit dem Stethoskop, sondern mit dem Presslufthammer.

Agata: Tja, mit meinen Achievements kann ich Euch alle problemlos toppen. Allerdings mehr so im Bereich “auf dem Boden bleiben” und “zurück ins echte Leben”. Ich habe vielleicht irgendwas zwischen 10 und 20 Spielanläufe hinter mir und sterbe spätestens im zweiten Level. Die Spielästhetik ist für mich halt nicht von der Mechanik abkoppelbar und der Ekel viel zu groß. Ich muss dann ständig über komplizierte Fragen nachdenken, auf die ich keine Lust habe. Vor 15 oder 20 Jahren hätte ich zu der Ästhetik des Spiels gewiss einen anderen Zugang gehabt. Jetzt bin ich erstens kein Teenager mehr und zweitens selber Mutter. Das gibt eine ganz andere Perspektive und macht das Spiel zu einer ganz besonderen Herausforderung: Wie werde ich mich eines Tages fühlen, wenn meine Kinder pubertieren und mich auch mit ästhetischen Mitteln werden provozieren wollen? Wie wird das - vielleicht einmal - sein, einen Sohn zu haben, der sich wird von mir - mit allen (mir un-)erdenklichen Mitteln - loslösen wollen?

Agata: Aber mal ne andere Frage, ab ungefähr welchem Alter würdet ihr ein Kind/Teenager BoI spielen lassen?

Robert: Provozieren viele Teenager diese Tage nicht mit Normcore und Anpassung? Das regt die Generation X dann eh saftig auf - Mission erfüllt. Ab wann spielen lassen: Gute Frage. Ab 12? Generell ist wohl wichtig, zu wissen, was das eigene Kind spielt und mit ihm drüber sprechen.

Rainer: Ich bin Kindsbesitzer und sage: Mit 18 Monaten ist mein Kleiner unter Umständen doch noch ein bissi zu klein. Vielleicht mit sechs. Wenn er dann im Alter ist, wo das ganze Ekelhafte so richtig spannend ist. (Seriously: Ich hab keine Ahnung - die Frage, was mein Kind ab wann spielen soll, beschäftigt mich aktuell noch nur in schlaflosen Nächten.) Aber mein Verdacht ist der, dass wie oben gesagt die ganzen Oberflächen bei der Beschäftigung mit dem Spiel mehr und mehr in den Hintergrund treten. In Mario hüpft man Schildkröten auf den Schädel, in BoI schießt man seine ungeborenen Geschwister mit Eitertränen … hmm. Ich weiß, worauf du hinauswillst.

Rainer: Anyway! Schlussfrage: Ihr seid fünf Jahre auf einer einsamen Insel, nur mit BoI. Wie reagiert ihr bei eurer Rettung?

Agata: “Ich will zu meiner Mama!!!”

Christof: Ich hätte die Fähigkeit zu sprechen längst verloren und würde meine Retter stattdessen aggressiv anpinkeln und vollheulen.

Robert: Mit schreckerfülltem Gesicht. Und alles, was von den Rettern gesagt wird, verarbeitet mein Hirn in Echtzeit mit den Audioeffekten der Erzählstimme aus dem BOI-Intro.

Joe: Vermutlich wäre ich froh, dass Schiffe keine Keller haben.

Rainer: Tja, das ist leider alles falsch, die richtige Antwort wäre gewesen: Auf einsamen Inseln gibts keinen Strom. Pfeifen!

Robert: Rainer Sigl ist ein Mann, dessen Hoffnung auf jegliche Utopie dem blanken Zynismus gewichen ist!

Rainer: Wenn das kein perfektes Schlusswort ist.

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