YouTube-Phänomen Minecraft
Ein Grundpfeiler des Erfolgs von “Minecraft” war schon sehr früh seine Präsenz auf Videoportalen wie YouTube. Schon 2009 begannen Fans, ihre Erlebnisse im Spiel per Video mit anderen Zusehern zu teilen. Mit umwerfender Resonanz: Die Sandbox im Klötzchenlook hat nicht nur ein Drittel ihrer Spielerbasis durch Videos angezogen , sondern auch einiges dazu beigetragen, das Phänomen “Let’s Plays” und Spielinhalte auf YouTube und Streamingdiensten wie Twitch fest zu verankern. 2014 lag “Minecraft” auf YouTube nur von “Music” geschlagen auf Platz zwei der am häufigsten gesuchten Begriffe.
Game-Content – Let's Plays, Walkthroughs, Reviews oder Trailer - macht insgesamt inzwischen stolze 15 % der gesamten auf YouTube hochgeladenen Clips aus, und pro Minute kommen 300 Stunden an Video-Uploads auf YouTube dazu. “Minecraft” hat dabei eine Vorreiterrolle inne: Insgesamt haben Videos zum Spiel mehr als unfassbare 60 Milliarden Views generiert, das übertrifft die Reichweite der auf Platz zwei nachfolgenden Blockbusterreihe “Call of Duty” um das Dreifache.
Warum aber ist ausgerechnet “Minecraft” als Videocontent so erfolgreich? Der Retropixellook des Spiels ist nicht gerade Eye-Candy, und auch spielerisch passiert für außenstehende Beobachter oft nicht gerade Weltbewegendes in den knapp 70 Millionen YouTube-Treffern, die eine Suche nach dem Spiel ergibt. Was macht “Minecraft” also besonders?
Zunächst sind es natürlich die “Personalities”, die das Phänomen Let's Play auch im Gesamten ausmachen. Für viele Zuseher sind diese YouTube-Stars fast so etwas wie Freunde, denen man beim Spielen gerne zusieht und sich von ihnen unterhalten lässt. Ganze Karrieren heute megaerfolgreicher YouTube-Personalities wie des weltweit bekanntesten YouTubers PewDiePie, Stampylonghead oder im deutschen Sprachraum von Gronkh oder Sarazar basieren zu einem bedeutenden Teil auf den teils hunderten Stunden, die sie sich von Fans beim Graben, Bauen und Überleben in “Minecraft” über die Schulter schauen ließen.
Dabei steht oft weniger das Spiel an sich im Vordergrund, sondern der jeweilige Spieler. “Minecraft” kommt dieser Art der Unterhaltung perfekt entgegen: Da es ohne Handlung und meistens auch ohne besonders hektische Action auskommt, bietet es den jeweiligen Let's Playern besonders viel Raum, sich darzustellen. Anders formuliert: Im Gegensatz zu anderen Spielen, die oft genug die gesamte Aufmerksamkeit des Zusehers für sich verlangen, lässt das Gameplay von “Minecraft” als Hintergrundrauschen viel Platz und viel Gelegenheit, zu erzählen, Witze zu machen oder einfach für die Selbstdarstellung der jeweiligen Videomacher – je nachdem, welche Aufgaben sich diese in ihren Spielsessions selbst stellen.
Wie überhaupt “Selbstdarstellung” mit der Kreativität des Sandkastens perfekt zusammenpasst: Statt wie in anderen Spielen einem festgesetzten Ziel nachzujagen, bieten die fast unendlichen Möglichkeiten von “Minecraft” den Videomachern alle Freiheiten, sich ihre eigene Bühne zu bauen und sich eigene Ziele zu setzen – von größenwahnsinnigen Bauprojekten über gefährliche Höhlenexpeditionen bis hin zum Erforschen vorgefertigter Maps, die vom “Game of Thrones”-Kontinent Westeros über die gesamte Landmasse Großbritanniens bis hin zur österreichischen Bundeshauptstadt Wien und noch viel weiter reichen.
Und die Spielesessions sind längst nicht mehr auf simples Bauen, Erforschen oder gar das Bewundern vorgefertigter Welten beschränkt: Die gewaltige Community hat in unzähligen Mods und “Adventure Maps” dafür gesorgt, dass neben dem zweckfreien Klötzchenbau in der Sandbox auch jede Menge andere Spielerlebnisse verfügbar sind – und das natürlich nicht nur für Spieler, sondern auch für die Millionen Zuseher an ihren Monitoren.
Dieser immense Abwechslungsreichtum macht neben seiner Eignung als Plattform für Selbstdarstellung einen zweiten Erfolgsfaktor aus, doch für Martin Fornleitner ist auch noch etwas anderes entscheidend: “Viele Spieler sehen in den YouTube-Videos, welch ungewöhnliche Projekte in 'Minecraft' überhaupt möglich sind und bekommen so Anreize, Ähnliches in ihre eigenen Welten einfließen zu lassen. Es ist ein gegenseitiges Anspornen und Ausreizen dieses Spiels.” Der 31-jährige Wiener ist als stolzer Weltrekordhalter im “Minecraft”-Marathon im “Guinness-Buch der Rekorde: Gamer's Edition ” eingetragen: Bereits 2011 hat sich der IT-Fachmann und Blogger mit einer 24-Stunden-Session “Minecraft” auf seinem Sony Xperia (!) mit diesem seitdem ungeschlagenen Rekord verewigt.
Für Fornleitner geht “Minecraft” wegen seiner spielerischen und gestalterischen Freiheiten weit über andere Spiele hinaus: “In 'Minecraft' geht es eben darum, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Bei anderen Spielen definiert das eigene Erlebnis das Medium, aber Let´s Plays von 'Minecraft' können fast so etwas wie eine virtuelle Kunstgalerie darstellen.” Dieses kreative Spiel erhebt “Minecraft” über den Rest elektronischer Unterhaltung und hat das Spiel zu Recht längst auch in viele Schulklassen geführt – auch wenn konservativere Ausreißer wie die Türkei auch hier immer noch eine Gefahr für unschuldige Kinderseelen entdecken wollen. Für den “Minecraft”-Weltmeister aus Wien wie für viele Fans hingegen steht das Schöpferische im Vordergrund: “Ich bin ein kreativer Mensch, ich zeichne gerne, befasse mich mit Videobearbeitung, Sounddesign und vielem mehr. 'Minecraft' gab mir als erster Softwaretitel die Chance, zwei meiner Leidenschaften gleichzeitig zu befriedigen: etwas Neues zu schaffen und Gaming.”
Die Frage, warum ausgerechnet ein Spiel wie “Minecraft” nicht nur für Spieler, sondern auch für Zuschauer Zuschauer derartigen Sonderstatus hat, lässt sich somit eigentlich leicht beantworten. Es ist nicht nur seine besondere Eignung als Plattform für YouTube-Personalities; es ist mehr als sein beispielloser Abwechslungsreichtum. Es ist auch mehr als “nur” sein Spielprinzip, das die Kreativität seiner Spieler anstachelt. “Minecraft” hat dank intensivem Austausch in sozialen Netzen, per Video, aber auch in unzähligen Foren und Wikis seine Spieler zu einer globalen, riesigen Community vereint und bringt sie immer wieder dazu, sich auszutauschen, eigene Projekte voll Stolz zu teilen, sie zu würdigen und in immer größere Dimensionen voranzutreiben.
“Minecraft” ist ein Phänomen, weil es auf beispiellose Art und Weise seine Community und ihre eigene Kreativität ins Zentrum stellt – nicht nur in seiner Multiplayerkomponente, sondern auch im Austausch zwischen eigenem Bauen und Inspiration durch das, was andere damit erschaffen. So bleibt es für Spieler, aber auch für jene, die anderen beim Spielen auf YouTube oder Twitch zusehen, zeitlos, spannend und immer wieder neu. Die Chancen stehen gut, dass es als altersloser Klassiker noch viele Jahre diesen Ausnahmestatus behalten wird.