Mille cavernes: Wanderer im Sternenmeer
Naturbeobachtung erwies sich in der Romantik als zuverlässige Quelle für derartige Phänomene, festgehalten allen voran in den Gemälden von Caspar David Friedrich wie dem Wanderer über dem Nebelmeer oder dem Mönch am Meer. Allerdings mag die erschreckende Wirkung von Gewitterwolken und Bergeshöhen in den letzten zweihundert Jahren etwas nachgelassen haben. Der Ausblick ist in Skyrim und im Wanderer derselbe, aber das Motiv hat den Transport ins Zeitalter des Heliskiings kaum unbeschadet überstanden, auch wenn sich Spiele wie The Long Dark immer noch des kleinen Bisschens rauer Natur annehmen, die uns auf diesem weitgehend kartografierten und erschlossenen Planeten bleiben. Hier bietet Out There eine zeitgemäße Alternative, indem es uns eben in die nächste ungezähmte Wildnis versetzt.
Einen ähnlichen Gedanken präsentierte ich vor einiger Zeit in Five out of Ten, allerdings mit Fokus auf die Vorzüge des Weltallszenarios, während ich diesmal auf die damals nur am Rande erwähnte Struktur von Out There eingehen möchte. Ich behaupte, dass die Form des Roguelikes das Konzept weiter trägt als es das Setting allein könnte. Das zufällige Zahlenspiel des Todeslabyrinths stellt eine tatsächliche Unendlichkeit hinter die behauptete Größe, mit der sich die eingegrenzten Sandkästen anderer Titel nicht messen können. Aber noch wichtiger: die Mühen des Formats vermitteln auf mechanischer Ebene jene Kleinheit, die mich empfänglich für die Zerrissenheit und Ehrfurcht des Erhabenen macht.
Um diese spezielle Empfindung herauskitzeln zu können, genügt es eben nicht, nur eine Hälfte der Voraussetzungen zu erfüllen. Es reicht nicht, selbst groß zu sein oder mich klein zu machen. Die Größe von Minecraft wird bedeutungslos, wenn ich im Creative Modus in Sekunden Wüsten, Seen und Berge überfliege. Dass mich andererseits Binding of Isaac konsequent runterputzt, macht das Spiel noch nicht sinnlich überwältigend.
Erst die fein abgestimmte Kombination erhebt Out There, indem es mir ein gewaltiges Universum offenlegt, in dem zugleich der kleinste Schritt vorwärts mit enormer Anstrengung verbunden ist. Nicht etwa, auch das ist entscheidend, weil mich glorreiche Abenteuer oder spektakuläre Schlachten aufhalten, sondern weil meine karge Umgebung selbst die bloße Fortbewegung zur Herausforderung macht. Sie ist nicht, im eigentlichen Sinne des Wortes, feindselig, sondern steht durch ihre gewaltigen Maßstäbe meinen Interessen schlicht gleichgültig gegenüber.
Indem uns die Verbindung von Struktur und Szenario von Out There mit dieser ebenso unwirtlichen wie beeindruckenden Umgebung konfrontiert, macht es nicht nur das Erhabene erfahrbar, sondern uns zugleich empfänglich für die - um noch einmal auf die zuletzt besprochene, spirituelle Komponente von Roguelikes zu sprechen zu kommen - moralischen Schlüsse die wir aus unserer Unbedeutsamkeit auf kosmischer Ebene ziehen sollten. Welche das wären, ist Ansichtssache.
Während Kant, stets die pure Vernunft, den Schrecken vor der Natur als sentimentalen Unfug und das Erhabene als Gefühl des Triumphes menschlichen Erfindergeists über widrige Umstände betrachtet - schließlich sind wir trotz aller Unwetter noch immer nicht untergegangen -, sieht Schiller darin eine Lektion über den moralischen Umgang mit Kräften, die wir nicht kontrollieren können. In Über das Erhabene schreibt er:
Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der Mensch ist das Wesen, welches will.
Dies ist auf zweierlei Weise möglich. Entweder realistisch, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrscht; oder idealistisch, wenn er aus der Natur heraus tritt und so, in Rücksicht auf sich, den Begriff der Gewalt vernichtet. Was ihm zu dem ersten verhilft, heißt physische Kultur. Der Mensch bildet seinen Verstand und seine sinnlichen Kräfte aus, um die Naturkräfte, nach ihren eigenen Gesetzen, entweder zu Werkzeugen seines Willens zu machen, oder sich vor ihren Wirkungen, die er nicht lenken kann, in Sicherheit zu setzen. Aber die Kräfte der Natur lassen sich nur bis auf einen gewissen Punkt beherrschen oder abwehren; über diesen Punkt hinaus entziehen sie sich der Macht des Menschen und unterwerfen ihn der ihrigen.
Kann er also den physischen Kräften keine verhältnißmäßige physische Kraft mehr entgegensetzen, so bleibt ihm, um keine Gewalt zu erleiden, nichts anders übrig, als: ein Verhältnis, welches ihm so nachteilig ist, ganz und gar aufzuheben und eine Gewalt, die er der Tat nach erleiden muß, dem Begriff nach zu vernichten. Eine Gewalt dem Begriff nach vernichten, heißt aber nichts anders, als sich derselben freiwillig unterwerfen. Die Kultur, die ihn dazu geschickt macht, heißt die moralische.
Was bedeutet es denn nun aber, Roguelikes zu spielen, als nicht sich, wie hier gefordert, freiwillig Gewalt zu unterwerfen und sie so ins Leere laufen zu lassen? Kein anderes Genre entzieht sich so konsequent unserer Kontrolle: Es lässt sich nicht auswendig lernen, es lässt sich nicht immer zum Besten wenden, es spielt auch nicht immer fair mit uns. Erneut verweise ich zurück auf die Stoik , die Spelunky uns abringt indem es unsere wilden Gefühlsausbrüche still erträgt. Dass sich diese Lektionen in Moral auch mit religiösen Vorstellungen von Sanftmut in Verbindung bringen lassen, sei nur am Rande erwähnt. Für entscheidend halte ich aber die Beobachtung, dass das Konzept uns auf ludischer Ebene genauso überfordern kann, wie es Malerei auf visueller Ebene versucht.
Wo wir dabei schon in die Gefilde der Ästhetik geraten sind: Ich wollte schon lange mit euch über Proteus reden! Aber heben wir uns das für das nächste Mal auf.
Liebe Grüße, Joe