"It's definitely creepy down here" - Das Politische im Teenie-Slasher-Genre

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Eugen Pfister über Until Dawn, Horror und Politik.

1. Winter in den Rocky Mountains: Schneebedeckte Berge, dichte Tannenwälder, eisige Gebirgsbäche, eine pittoreske Seilbahnfahrt zu einer luxuriösen Berghütte, Snowboards lehnen erwartungsvoll neben dem Eingang, im großzügigen Kamin brennt ein heimeliges Feuer während wir uns auf ein Schaumbad bei Kerzenschein vorbereiten. Das "Survival-Horror"-Spiel Until Dawn" nimmt seinen Anfang mit zehn High-School-Freunden, die gemeinsam ein paar gemütliche Tage in der riesigen Washington Lodge für ihr traditionelles "Winter Getaway" verbringen wollen. Dann bricht die Idylle: Nach einem unglücklich verlaufenen Streich verschwinden die zwei Zwillingsschwestern Hannah und Beth Washington spurlos – ein Prolog, der zu spielen ist.

Das eigentliche Spiel fängt ein Jahr später mit der Einladung Josh Washingtons (der Bruder von Hannah und Beth) an, der die sieben verbliebenen FreundInnen bittet mit ihm gemeinsam den Jahrestag des Unglücks in derselben Berghütte zu verbringen. Als Horrorkenner wissen wir, was das heißt: Ein Damoklesschwert schwebt von Anbeginn über den Köpfen der verbliebenen sieben ProtagonistInnen. Der Makel, der Sündenfall des böswilligen Streichs, muss gesühnt werden. Die Wälder werden düster, die Gebirgsbäche reißend, die Seilbahnfahrt wird schwindelerregend und eine Nacht in einer abgeschiedenen Berghütte scheint vor allem Tod und Verderben zu versprechen.

Das 2015 vom britischen Spieleentwickler Supermassive Games exklusiv für die Playstation 4 entwickelte Until Dawn ist ein der Essenz des Teenie-Slasher-Horror besonders getreues Spiel. Rudolf Inderst spricht deshalb in seiner Besprechung von einer "liebevollen Verbeugung vor dem Teenie-Slasher-Genre" Tatsächlich spielt sich der "interaktive Horror-Film" wie ein Potpourri klassischer Horror-Tropen : Vom Indianerfluch über das verlassene Krankenhaus bis zum maskierten, axtschwingenden Psychopathen spannt sich der unwahrscheinliche dramaturgische Bogen. Doch trotz des Rückgriffs auf immer wieder verwendete Genre-Versatzstücke schafft das Spiel das Kunststück, eine sowohl eigenständige als auch in sich glaubwürdige Erfahrung zu bieten, die nicht an genuinen Momenten des "Horrors" verliert. Das ist auch durch die Spielmechanik bedingt. So ist es möglich, dass jedeR einzelne ProtagonistIn zu einem oder mehreren bestimmten Zeitpunkt sterben kann.

2.

Ähnlich wie in der Science Fiction, werden auch im "Horror" traditionell Themen verarbeitet, die als "kollektive" oder "kulturelle" Ängste wahrgenommen werden. Weswegen ich nach dem Politischen in Until Dawn suchen möchte. Kann ein Tennie-Slasher Horror-Game überhaupt politisch sein? Ist ein oberflächliches "Slasherfest" mit einem Überangebot an Blut (bzw. Gore), sexuellen Anspielungen und abstrusen Plotversatzstücken nicht in seiner Essenz apolitisch?

Until Dawn sticht insofern aus der Menge bisheriger Horrorspiele hervor, als es sich noch mehr als seine Vorgänger an Stereotypen des Horrorfilms, seiner Narration und Ästhetik abarbeitet. Im Gegensatz zu vielen ambitionierten Untergrundhorrorfilmen versucht es nicht ein einzelnes exotisches (politisches) Thema zu bearbeiten und eignet sich besonders gut als Gradmesser für Mainstream-Diskurse des Genres.[1] Indem es getreu traditionelle Versatzstücke des amerikanischen Horrorfilms zitiert, bietet es uns eine handliche Aufbereitung gängiger politischer Mythen:

So lässt sich in Until Dawn zu Beispiel die genreübliche alptraumhafte Inszenierung eines Krankenhauses, inklusive des obligatorischen düsteren Geheimnisses feststellen: In der Vorgeschichte von Until Dawn, die sich den SpielerInnen mittels versteckter "Clues " (Zeitungsberichte, Photos, Krankenakten, etc...) erschließt, waren 1952 mehrere verschütte Minenarbeiter Opfer eines „uralten“ indianischen Fluches geworden, der sie langsam zu abscheulichen Monster mutieren ließ. In ein nahes Krankenhaus aufgenommenen wurden die Überlebenden aber weniger behandelt, als dass ihre Transformation wissenschaftlich observiert wurde. Der Natur des Genres gemäß fielen die beobachtenden Ärzte bald ihrer unethischen Neugier zum Opfer, als die nun zu Wendigos mutierenden Patienten übermenschliche Reflexe und Stärke entwickelten. Die SpielerInnen begegnen den Überresten dieser Erzählung in Until Dawn in Form der nach wie vor das nun verlassene Sanatorium durchstreifenden Monster.

Hier transportiert das Spiel den konventionellen Horror-Tropus einer gefährlichen und vor allem "unmenschlichen Medizin", welcher die wissenschaftliche Erkenntnis wichtiger ist als das Wohl der einzelnen PatientInnen. Dieser Mythos nimmt wahrscheinlich seinen Ursprung in den von vielen Gesellschaften ursprünglich als unethisch wahrgenommenen Leichenautopsien, und wurde vor allem im zwanzigsten Jahrhundert durch eindeutig unethische „Experimente“ insbesondere der NS-Medizin übermäßig verstärkt. Er greift somit auf ein historisch bedingtes "Unwohlsein" im kollektiven Gedächtnis zurück und soll als Warnung dienen.

Auch das Motiv des "Indianerfluchs" muss als politischer Mythos gelesen werden.

Der bereits angesprochene - ebenso genreübliche – Indianerfluch muss auch als politischer Mythos gelesen werden. Die SchreiberInnen von Until Dawn sprechen im Spiel dabei offen ein, diesem Tropus zugrundeliegendes "kollektives schlechtes Gewissen an". Im Spiel liest man in einem Brief von Joshs Mutter (ein weiterer "Clue") : "It's good to know that the tribe still feel an attachment to the land here, even if we have a few unfortunate problems (graffiti, people sleeping in the outbuildings). This is their ancestral home, after all. I have made contact with the descendants of the tribe and intend to make a donation to their elder council. Healing the wounds of the past won't be easy, but I feel it's a step that is necessary."

In einem Aufsatz von Robert Saunders kann man nachlesen, dass der Wendigo-Mythos im Horror Genre bereits eine Vorgeschichte hat. Einem Mythos der Cree zufolge würde jeder Mensch, der aus Völlerei auch Menschenfleisch äße, zu einem unmenschlichen Monster. In Antonia Birds Film "Ravenous" (US/UK/CR 1999) wurde der Wendigo vor allem zur Geißel der europäischen Eindringlinge, die die Landschaft zerstörten: "an agent of horrific vengeance upon European /Euro-American interlopers who violate indigenious space" [2] Until Dawn übernimmt Antonia Birds Wendigo-Mythos, allerdings ohne die zugrundeliegende kritische Aufarbeitung der Kolonialgeschichte zu thematisieren.

„B ut why can’t a game pay homage to a genre without having women run around darkened hallways in a towel in order to highlight her vulnerability and without reappropriating Native American iconography in order to establish a “spooky” mood?” Das Zitat aus Bianca Battis Artikel weist uns auf einen dritten politischen Mythos hin: Das Bild der Frau im Horrorgenre. Spätestens seit dem Buch: "Men, Women, and Chain Saws: Gender in the Modern Horror Film" von Carol J. Clover aus dem Jahr 1992 ist eine feministische Aufarbeitung des Genres auch in der Forschung Thema. In Until Dawn begegnen wir auf einen ersten Blick drei vergleichsweise eigenständigen und selbstbewussten Frauen: Sam, Jessica und Emily (Nur Ashley entspricht noch ein wenig dem alten Stereotyp der Damsel in Distress).

Will Byles - Creative Director von Until Dawn erklärte dazu der LA Times: "That old-fashioned misogynistic attitude feels very dated now. This is a balance between four guys and four girls. It’s not like the girls all die and they all die horribly. We’ve avoided the traditional phallic stabbing. It just doesn’t feel contemporary." (Bianca Batti sieht diese Gleichberechtigung durch gleichmäßige Verteilung der Geschlechter zu recht kritisch.) Für uns interessant ist, dass sich die EntwicklerInnen des Spiels zu einem bestimmten Zeitpunkt bewusst mit der Frage der Gleichberechtigung auseinandergesetzt haben. Das heißt natürlich nicht, dass das Spiel tatsächlich eine gleichberechtigte Darstellung aufweist sondern, dass das Spiel sich bewusst innerhalb eines Genderdiskurses bewegt.

Wie „politisch korrekt“ ist Until Dawn in Hinblick auf den ethnischen Hintergrund seiner Protagonisten?

Ein verbreiteter amerikanischer Horrorfilm-Tropus, der besagt, dass schwarze Charaktere immer und ausnahmslos zuerst sterben , führt uns schließlich direkt in die zeitgenössische amerikanische Gesellschaftspolitik. Es ist zwar in Until Dawn durch die ergebnisoffene Struktur des Spiels nicht zwangsmäßig gegeben, dass Matt als erster stirbt, wurde aber in einem Forum trotzdem thematisiert. Wie „politisch korrekt“ ist Until Dawn in Hinblick auf den ethnischen Hintergrund? Die Gruppe der sieben Freunde beinhaltet u.a. den afroamerikanischen Matt und die asiatisch-amerikanische Emily. Das mag zwar vielleicht nicht der tatsächlichen ethnischen Zusammensetzung der USA entsprechen, es lässt aber vermuten, dass sich die SpielentwicklerInnen mit der Frage ethnischer Pluralität auseinandergesetzt haben, denn bisher war eine ethnisch diverse Besetzung nicht unbedingt Tradition des Slasherfilms.

3.

"Selbst" ein Spiel wie Until Dawn transportiert/kommuniziert politische Inhalte, politische Mythen. Zu einem Teil bewusst, zu einem anderen unbewusst. Alle vier oben angesprochenen Mythen sprechen dabei zeitgenössisch relevante gesellschaftspolitische Diskurse an. Der medizinkritische Diskurs ist sowohl zeitlos als auch geografisch nicht beschränkt, ebenso wie auch die Frage der Darstellung der Frau. Zwei der genannten vier politischen Diskursfelder sind aber genuin amerikanische Phänomene. Für den Indianerfluch (i.e. den kritischen Umgang mit dem eigenen postkolonialen Ursprungsmythos) gibt es kein entsprechendes Pendant in Europa. Die Frage der ethnischen Diversität wiederum ließe sich zwar auch auf zeitgenössische europäische Gesellschaften umlegen, hier stellt sich aber die Frage wie gut sich das in jener sehr amerikanischen Form des College-All-Star Teams auf europäische Gesellschaften umdenken lässt.

Was mich deshalb, lange nachdem ich Until Dawn gespielt hatte, am meisten an dem Spiel fasziniert hat, ist wie ausgesprochen "amerikanisch" es war, ja wie unbedingt es "amerikanisch" sein wollte. Selbst die britische Redakteurin Keza MacDonald war überrascht, dass es sich um eine britische Produktion handelte: "I did not know until after I’d finished it that Until Dawn was British, because it’s such a perfectly knowing pastiche of American horror-movie tropes that I felt it must have come from across the Atlantic."

Es ist bemerkenswert, dass ein britischer Entwickler (Supermassive Games) mit einem japanischen Vertrieb (Sony) für ein internationales Publikum (PS4) ein solch uramerikanisches Spiel produziert hat. (Dass die Handlung in Kanada spielt, fällt nicht wirklich auf). Das europäisch entwickelte, asiatisch vertriebene und interanational gespielte Spiel übernimmt dabei die referenzierten amerikanischen politischen Mythen.

Was mich vor allem interessiert, ist, was für einen Einfluss genuin US-Amerikanische politische Mythen auf europäische gesellschaftspolitische Diskurse nehmen. Was fangen wir - die SpielerInnen - mit den kommunizierten Botschaften an? Lässt sich ein amerikanischer Political-Correctness-Konsens auch auf europäische Gesellschaften übertragen? Nachdem wir über mehrere Jahrzehnte kulturellen Austauschs immer vertrauter mit der sensiblen Aufarbeitung der Ungleichbehandlung ethnischer Gruppen in der amerikanischen Gesellschaft wurden, ziehen wir daraus auch - unbewusst - Schlüsse über unsere multiethnischen Gesellschaften?

Wenn wir heute von der Tötung eines schwarzen Teenagers in einer amerikanischen Kleinstadt lesen, "wissen" wir sofort was für politische Implikationen dass nach sich ziehen wird, wir "wissen" dass eine hitzige Debatte zu Rassismus und Waffengesetzen in den USA zu erwarten ist. Heißt das aber auch, dass wir entsprechend begreifen, welche politischen Folgen beispielsweise die Tötung eines jungen Algeriers in den Pariser Banlieues oder einer jungen Jamaikanerin in London haben wird, welche schwelenden Konflikte hier Gefahr laufen können neu auszubrechen? Wie verstehen wir die amerikanische Aufarbeitung des Umgangs mit den „American Indians“? Versuchen wir solche politische Botschaften in einem größeren Rahmen zu verstehen? Schon die Gleichsetzung der „Indianerkriege“ mit dem „europäischen“ Holocaust ist mehr als problematisch.

Zugleich sollte man die (europäischen) KonsumentInnen, die SpielerInnen nicht unterschätzen. Wahre Identitätskrisen sind keine zu erwarten, der oft befürchtete „Identitätsverlust“ steht nicht vor der Tür. JedeR holt sich aus den Medien, was ihn interessiert. Bereits 1959 wies der amerikanische Soziologe Elihu Katz daraufhin, dass wir nicht fragen sollten “What do the media do to the people?“ sondern „What do people do with the media?“.


[1] "These religions are portrayed as having a keener respect for the forces of nature, as understanding its power and being careful to pay homage to its deities. " in: Bryan Stone, "The Sanctification of Fear: Images of the Religious in Horror Films" in The Journal of Religion and Film, Vol. 5, No.2, Oktober 2001

[2] Robert Saunders, “Hungry Lands. Conquest, Cannibalism , and the Wendigo Spirit” in Cynthia J. Miller und A. Bowdoin van Riper (Hg.), „Undead in the West. Vampires, Zombies, Mummies and Ghosts on the Cinematic Frontier“ 183 Link