In-game-Fotografie: Kunst und Copyright
Ein kleines Heads-up: VGT war - trotz des Namens - nie als Seite speziell zum Thema In-Game-Fotografie gedacht. Dieser Sommer steht allerdings, auch mit der wöchentlichen Serie, zugegebenermaßen sehr im Zeichen dieses speziellen Nischenthemas - so sehr, dass sich Kollege Glashüttner - siehe einen Artikel weiter unten - ja schon mit Recht darüber lustig gemacht hat. In Kürze folgt zum Thema noch ein Text eines Gastautors, doch gegen Herbst widmen wir uns wieder dem, was VGT auch sonst noch im Fokus haben will: dem Games-Feuilleton, wie hier definiert. Bis dahin aber Sommerloch und Déjà-vu ole: Der Vollständigkeit halber hier auch noch eine leicht erweiterte Fassung meines kürzlich für ZEIT online verfassten Texts zum Thema - auch für Leser des englischen Artikels wirds ab der zweiten Hälfte interessant, da geht's nämlich um die Frage nach dem Copyright.
Bei Facebook werden nach Angaben des Unternehmens 12.500.000 Fotos hochgeladen – pro Stunde. Bei Flickr sind zumindest noch 100.000 im selben Zeitraum. Mittlerweile hat sich die Lust am Motiv, an Komposition und bildlicher Erinnerung ins Virtuelle fortsetzt: in die immer größer und schöner werdenden künstlichen Welten von Computerspielen. In-Game-Fotografie heißt die Kunstform.
Der Sprung von der realen zur virtuellen Fotografie ist überraschend klein: Im First-Person-Shooter steuert der Spieler sozusagen eine körperlose Kamera, und moderne Open-World-Spiele wie Skyrim erlauben die freie Erforschung einer Umgebung, die in ihrer schieren Größe unzählige Bildmotive bereithält. Und auch wenn diese Welt selbst zur Gänze das Werk von Leveldesignern, Künstlern und Programmieren ist: Der subjektive Blickwinkel, die Auswahl des Bildausschnitts und das Auge für Komposition und den perfekten Moment sind auch hier die souveräne Leistung des In-Game-Fotografen. In-Game-Fotografie ist deshalb ebenso richtige Fotografie wie etwa Architekturfotografie.
Auch für Martin Geisler, Professor für Medien- und Kulturpädagogik an der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena, zugleich Leiter des Erfurter Instituts für Computerspiel Spawnpoint und selbst In-Game-Fotograf, ist diese Aneignung ein kreativer Akt. "Ich erschaffe die Umgebung nicht, ich besetze sie mit meinen Erlebnissen", sagt er. "Natürlich bin ich dabei auf die Grenzen der Schöpfer angewiesen – aber hier unterscheidet sich In-Game-Fotografie nicht von klassischer Fotografie."
Im Unterschied zur Games-Art-Szene, in der sich Medienkünstler wie Robert Overweg, John Paul Birchard oder Palle Torrson schon seit Jahren experimentell mit Games beschäftigen, tritt allerdings für die langsam aufblühende In-Game-Fotografieszene das Medium in den Hintergrund: Es ist das Bild selbst, das für sich stehen soll.
Star und Mitbegründer dieser Szene ist der britische Games-Journalist Duncan Harris. Auf seiner Seite Deadendthrills versammelt er seine Hochglanz-Gamesfotos, die ohne Nachretuschierung, aber dafür auf extrem leistungsstarken Rechnern entstehen. Dadurch erstrahlen die Spiele in einer Pracht, wie es sie auf handelsüblichen Spiele-Rechnern nicht gibt, weil sie so nicht flüssig spielbar wären.
Wie bei der Standfotografie, der still photography am Filmset, haben auch die Spielehersteller den Wert der schönen Bilder erkannt: Für das im Herbst erscheinende Stealth-Actionspiel Dishonored durfte Harris in einer exklusiven Vorabversion auf Bilderjagd gehen.
Für den Rest der Games-Fotografen ist die Vermarktung bislang kein Thema: Sie präsentieren ihre Werke auf Flickr oder in eigenen Tumblr-Blogs. Joshua Taylor, Iain Andrews oder Leonardo Sang lenken den Blick auf die Details und Nebenschauplätze der virtuellen Architekturen, während James Pollock mit seinen Schwarzweißbildern aus Red Dead Redemption und Skyrim an Klassiker der amerikanischen Naturfotografie anknüpft.
Pollocks Bilder unterscheiden sich durch die Aufnahmetechnik von denen der anderen: Während die meisten seiner Kollegen per Screenshot-Funktion oder mit eigenen PC-Programmen ihre Bilder schießen, fotografiert er mit einer realen Digitalkamera. Das Bild des TV-Bildschirms ist ein Umweg, der – wie auch bei dem ähnlich arbeitenden Francois Soulignac – zu interessanten Effekten führt.
Aber: Wem gehören diese Bilder?
Ein bisschen wie in den Machinima, jenen mit Hilfe von Computerspielen erschaffenen Kurzfilmen, zweckentfremden In-Game-Fotografen auf kreative Weise ihr Medium. Nur eine Frage ist hier, wie so oft, ungeklärt: Wem gehören die Bilder? Eigentlich ist die Rechtslage eindeutig: Das Copyright liegt bei den Spieleherstellern, nicht bei den Fotografen.
Ralf Hebecker, Professor für Gamedesign und -produktion an der HAW Hamburg, sieht hier allerdings Konfliktpotenzial: "Ich freue mich jetzt schon auf die Prozesse, in denen Richter zwischen dem Recht der Spielehersteller an ihrem Werk und jenem der Fotografen an ihren Kreationen abwägen müssen. Besonders interessant wird es ja dann, wenn manche künstlerische Arbeiten eine solche Schöpfungshöhe erreichen, dass das Recht an diesen Bildern anfängt, mit den Rechten der Games-Designer zu kollidieren."
Martin Lorber von Electronic Arts sagt: "Wir freuen uns sehr darüber, wenn die Spiele unserer Entwickler andere kreativ Schaffende und Künstler zu eigenen Werken anregen. Natürlich müssen dabei auch urheberrechtliche Fragen berücksichtigt werden, vor allem, wenn es um kommerzielle Verwertungen geht." Da müsse es einen Austausch zwischen den Fotografen und den Verlagen geben. Die Publisher und Entwickler behielten die Rechte an ihren Werken, die Schöpfer von In-Game-Fotografien aber "können ebenfalls Rechte an den von ihn erstellten Fotos haben, soweit diese eine eigene Gestaltungskraft und eine bestimmte Schöpfungshöhe aufweisen."
Für Duncan Harris selbst ist die Frage ums Copyright nichtig: "I don't and never have claimed any form of copyright over screenshots - it belongs squarely to publishers and developers." So urgierte der Brite auch beim ZEIT-Artikel auf die Entfernung der automatisiert eingefügten Copyright-Notice, die ihn - für ihn selbst: fälschlicherweise - als Inhaber desselben neben den Spielfirmen markierte.
Möglicherweise erkennen manche Spiele-Hersteller und -Verlage aber auch einen anderen Aspekt: Die Bilder aus virtuellen Welten zeigen eine neue Seite des Gamings. So gesehen ist es Gratiswerbung.