Spiel des Monats: Mille cavernes - St. Isaac
Diese Verbindung liegt bei diesem Spiel schon durch sein Szenario nahe, dass die namensgebende Opferung Isaaks mit Bibelfernsehen und Kindesmissbrauch als gegenwärtige Geschichte zwischen Fanatismus und Fäkalien neu interpretiert. Daneben zieht McMillen durch die Auswahl spielbarer Charaktere noch einen ganzen Reigen christlicher Figuren mit in den Schmutz: Eva, Kain, Samson, Judas, Lazarus, Maria Magdalena.
Ich glaube aber nicht, dass Isaac auf der Ebene seiner Erzählung etwas Interessantes über Religion zu sagen hat. Es nähert sich dem Thema mit einer vagen, allgemeinen Respektlosigkeit, die Rainer zurecht den Underground Comics zuordnet, und die ebensogut jeden anderen Aspekt der schönen, heilen Welt treffen könnte, gegen die sie sich auflehnt. Kurz, das Spiel ist kein Angriff auf Heiliges, nur auf Scheinheiliges.
Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen über Roguelikes und Religion zu sprechen. Nicht weil sich der Inhalt von Isaac dafür eignet, sondern weil er den Anlass darstellt, eine Beobachtung festzuhalten, die mir schon länger durch den Kopf geistert, nämlich, dass der Struktur dieser mystisch unergründlichen, sich ewig wiederholenden Spiele ein göttlicher Funke, wenigstens aber der Habitus des Spirituellen innewohnt. Es sei dies der erste Gedanke, den wir auf unserer Reise sammeln, auf dass wir ihm bald weitere zur Seite stellen.
Ich sollte vielleicht vorwegschicken, dass ich kein gläubiger Mensch bin. Mein Verhältnis zur Religion ist geprägt vom Unmut über Amtskirchen einerseits und selbstgefällige Atheisten andererseits, und ich halte sowohl den Papst als auch Richard Dawkins für verschrobene, alte Männer mit seltsamen und unwichtigen Meinungen. Deshalb beschränkt sich mein persönlicher Zugang zu dem Thema wohl auf wenig tiefgründige Beobachtungen über die äußere Erscheinungsform von Glauben, mit denen ich wiederum keinen Menschen im jeweils eigenen Empfinden kränken möchte.
Was mir jedenfalls bei diesen Spielen seit längerem ins Auge springt, ist, welch rituelle Annäherung sie ihren Spieler_innen abringen. Das Wesen von Roguelikes liegt in der ständigen Wiederholung und den kleinen Abweichungen, eine Verneigung vor ihren Regeln und ihrer Regelmäßigkeit, die der Verneigung im Gebet nicht unähnlich scheint: Hier wie dort finden wir eine Geste, die erst in der Ausführung mit Sinn gefüllt wird, wenn ihre allgemeine Form durch meine individuelle Darbietung Bedeutung erhält.
Es ist aber nicht nur die regelmäßige Übung, welche spätestens mit Spelunky zu einem täglichen Ritual erhoben wurde, von der ich spreche. Ebenso fasziniert bemerke ich die vielen kleinen, sinnvollen wie sinnlosen Gesten, die ich mir im Verlauf von Roguelikes aneigne: In Spelunky immer einen Stein aufzuheben, in Darkest Dungeon immer eine Fackel anzuzünden, bevor ich einen Raum betrete, oder in Isaac immer den Item Room zu suchen, bevor ich den Boss bekämpfe. Für viele dieser kleinen Rituale im Ritual gibt es einen Grund: die Minimierung gewisser Risiken. Es ist ein Weg, sich gegen das Unbekannte zu wappnen, und sicher spielt das Gefühl der Sicherheit, das ich daraus ziehe, eine genauso große Rolle, eben wie die Kraft, die Menschen aus ihrem Glauben ziehen.
Mehr noch, die Perfektionierung dieser Gesten trägt schon in sich selbst etwas Spirituelles. Sind die Regeln der Roguelikes die ständig kreisenden Symbole auf der Gebetsmühle, so sind diese Rituale mein Versuch, sie richtig zu drehen. Der Sinn dieser Übung liegt, meines Wissens nach, darin, jede simple, körperliche Handlung -- wie das Drehen der Mühle -- in den Pfad zur Erleuchtung zu integrieren. Es ist ein bewusstes Meditieren alltäglicher Bewegungen, ähnlich dem bedachten Vorgehen, das in vielen dieser Spiele zum Erfolg führt. Neben vielen anderen Tugenden -- wie Demut --, die von Schriften ebenso wie von Spielen gefordert werden. Siehe dazu auch Christian Donlan, der in Spelunky wichtige Lehren fürs Leben sieht und so seiner Tochter vermitteln will, oder Michael Abbott mit -- wie Christof so schön sagt -- seinem Bonmot zu dem Soul Dojo Dark Souls.
Wer gut Spelunky spielt -- oder eben gut lebt --, tut im Wesentlichen immer noch dieselben Dinge wie andere, nur eben auf eine andere Art und Weise. Ist präsent und fühlt sich etwas Größerem verbunden, ob dies nun die unendlich verwobenen Muster des Zufalls sind oder ein anderes schöpfendes, göttliches Prinzip. Um Spelunky zu beenden, sind jedenfalls keine besonders komplizierten Schritte notwendig (auch wenn es durchaus hilft, gewisse Abläufe zu meistern). Es braucht nur die bewusste Anwendung der richtigen Schritte und, um uns wieder zu Isaac zurückzuführen, das Wissen um die vorhandenen Gefahren.
An Isaac mit seiner unbändigen Vielfalt an unbekannten Gegenständen lässt sich gut eine weitere Parallele ziehen: Was dem Christentum die Bibel, ist Isaac sein Quellcode. Sowohl Roguelikes als auch Religionen stützen sich auf die Kenntnis und Auslegung eines formativen Textes. Oft genug schon haben wir diese Spiele als Mysterium beschrieben, und als solche präsentieren sie sich zunächst auch, aber mein Zugang, als geübter Isaac-Spieler, als Eingeweihter, ist ein anderer.
Fortschritt bedeutet hier, wie in vielen Roguelikes, die Irrungen und Wirrungen ihrer zufälligen Struktur zu bändigen, indem ich den richtigen Abschnitt des Regelwerks zitiere, genau so, wie andere für jede Lebenslage den passenden Sinnspruch zur Verfügung haben -- unergründliche Wege, geschlossene Türen, offene Fenster, sowas. Das entsprechende Wissen hilft mir nicht die Situation zu verändern, aber es hilft mir, damit umzugehen. Wobei Menschen, die wie ich nicht an einen göttlichen Plan glauben, behaupten würden, die Gemeinsamkeit zwischen beiden läge hier darin, dass wir im Leben wie in Roguelikes Sinn im grausamen Zufall suchen.
Sicher liegt hier auch der größte Unterschied zwischen beiden: in der Tatsache, dass wir bei Roguelikes die Gewissheit haben, der Schöpfung eines großen Geistes und keinem kosmischen Unfall zu begegnen. Statt uns mit vagen Empfehlungen begnügen zu müssen, können wir, wie die Isaac-Gemeinde, harte Zahlen aus dem Code holen. Und dennoch bleibt die Ungewissheit, sowohl weil die Interaktion gewisser Elemente untereinander oft auch bei genauer Kenntnis ihrer individuellen Funktion Rätsel aufgibt, die der Auslegung von Schriften und Gleichnissen ähnlich wirkt, als auch, weil der stete Teufel Zufall es unmöglich macht, zu sagen, welche Option in diesem Moment die bessere ist.
Ich wage aber auch zu behaupten, dass die Existenz dieser sicheren Antworten für unseren Umgang mit den Spielen nicht brennend relevant ist, weil die wenigsten Spieler_innen sich so tief in die Materie versenken dürften. Für alle, deren Beschäftigung zwischen völliger Unwissenheit und mäßigem Interesse schwankt, dürfte die Beziehung vergleichbar sein, denn ob ein Faktum unüberprüfbar oder bloß unüberprüft ist, macht für den persönlichen Bezug zunächst wohl keine Unterschiede. Ich kann an die großen Regeln der Roguelikes glauben, auch ohne sie auswendig zu kennen.
Schon durch ihren Umfang machen sie das für viele ihrer Anhänger_innen quasi unumgänglich. Auch ich habe schließlich nicht selbst überprüft, welche Werte welcher Gegenstand in Isaac wie steigert. Ich verlasse mich hierbei auf sekundäre Quellen: Ebenso wie das Wort Gottes seine menschlichen Vertreter braucht, brauchen die im Code gewonnen Informationen eine für die religiöse Sendung tauglichere Verpackung in Form von Wikis und eine entsprechend missionarische Gemeinde, die das Spiel ebenfalls gefunden hat, bloß dass sie ihre Predigten als Let’s Plays bezeichnen.
Hier also meine gewagte These: In Isaac geht es nicht um Religion, Isaac ist eine Religion.
Okay, das ist überzogen. Über vieles von dem, was ich hier behaupte, ließe sich streiten. Ich meine, es gibt dennoch genug her um folgende Beobachtung festzuhalten: Roguelikes zu spielen ist ein kontemplativer, meditativer, sogar spiritueller Akt. Um die äußerlichen Prüfungen zu bestehen, braucht es innere Tugenden, bewusstes Handeln und den unerschütterlichen Glauben an ein gutes Ende der Reise. Ich hoffe stark, ein solches steht uns auch auf unserer bevor.
Die Wanderung geht voran, stetig tiefer in die Finsternis.